Behör­den und NSU

Was sagt der Unter­su­chungs­aus­schuss NSU zum Anschlag in der Köl­ner Probsteigasse?

Der Par­la­men­ta­ri­sche Unter­su­chungs­aus­schuss zum Kom­plex NSU (PUA NSU) wurde am 4. Novem­ber 2014 vom NRW-Land­tag ein­ge­rich­tet. Er sollte behörd­li­ches Fehl­ver­hal­ten im Ver­hält­nis zum NSU und sei­nen Unter­stüt­zern im Zeit­raum ab Okto­ber 1991 unter­su­chen. Im ein­zel­nen ging es um die Ermitt­lun­gen zu den Anschlä­gen vom 19. Januar 2001 in der Köl­ner Prob­stei­gasse, vom 9. Juni 2004 in der Keup­straße und 4. April 2006 in Dort­mund. Der Auf­trag umfasste zudem den drei­fa­chen Poli­zis­ten­mord in Dort­mund und Wal­trop am 14. Juni 2000 und den Anschlag am 27. Juli 2000 (S‑Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn).

Der Text als pdf             

Der Schluss­be­richt liegt seit dem 31. März vor. Umfang 1150 Sei­ten. In der Sit­zung des Land­tags am ver­gan­ge­nen Don­ners­tag, 6. April, erläu­terte ihn der Vor­sit­zende Sven Wolf. Im fol­gen­den ver­su­che ich, die Frage zu beant­wor­ten, ob die PUA-Erkennt­nisse zum Anschlag in der Prob­stei­gasse das Design, das Gene­ral­bun­des­an­walt, BKA und Ver­fas­sungs­schutz ihren Ermitt­lun­gen geben, zu durch­drin­gen ver­moch­ten. Hilf­reich sind dabei Infor­ma­tio­nen von NSU-Watch.

In den Tagen vor Weih­nach­ten 2000 hin­ter­ließ ein vor­geb­li­cher Kunde im Lebens­mit­tel­la­den der Fami­lie M., die aus dem Iran stammt, einen gefloch­te­nen Korb mit einer Tüte Erd­nuß­flips und einer weih­nacht­li­chen Stol­len­dose. Wei­tere Waren hatte er im Laden dazu­ge­packt. Er ver­ab­schie­dete sich unter dem Vor­wand, Geld holen zu müs­sen, kehrte aber nicht zurück. Der Korb wurde spä­ter in einem Hin­ter­zim­mer abge­legt, wo die 19-jäh­rige Toch­ter des Inha­bers am 19. Januar 2001 den Deckel der Stol­len­dose anhob. Es folgte eine Explo­sion, die hoch­gra­dige Ver­bren­nun­gen in Gesicht und rech­ter Hand zur Folge hat­ten, Schnitt­ver­let­zun­gen am Ober­kör­per und bei­den Bei­nen. Mas­sive Schä­den ent­stan­den im Laden, an Gebäu­de­tei­len und im Innenhof.

Bei den Ermitt­lun­gen der Poli­zei wurde ein ras­sis­ti­sches Motiv nicht in Erwä­gung gezo­gen. Dem­ge­gen­über stellt der PUA eine auf­fäl­lige Ähn­lich­keit mit drei Bom­ben­an­schlä­gen fest, die 1992 und 1993 in Köln ver­übt wor­den sind. Er kann nicht nach­voll­zie­hen, „warum weder die Ermitt­lungs­kom­mis­sion ‹Probst› noch der Staats­schutz eine Ver­bin­dung“ zu die­sen Anschlä­gen zogen.

Am 21. Dezem­ber 1992 war vor der Woh­nungs­tür einer tür­ki­schen Fami­lie in der Ehren­fel­der Pla­ten­straße ein als Weih­nachts­ge­schenk ver­pack­tes Paket abge­legt wor­den. Es ist an Ali C. adres­siert, auf einer Karte steht:„Viel Gülük mit dem neuen Tep­pi­schrei­ni­ger. Heute Sie, mor­gen das ganze Haus!“ (KR 24.12.92). Beim Öff­nen wer­den Fatma C. und ihr Schwa­ger Ali C. durch eine Explo­sion und eine Stich­flamme ver­letzt. Sie kom­men mit Ver­bren­nun­gen ins Kran­ken­haus. Dabei war nur der Zün­der explo­diert, nicht aber der Spreng­satz mit 5 Litern Ben­zin. Poli­zei­spre­cher Anton Seit erklärte damals: „Wenn der eigent­li­che Brand­satz hoch­ge­gan­gen wäre, hätte es Tote gege­ben.“ (KR, 24.12.1992). Die Poli­zei zieht neben einer Fami­li­en­fehde auch ein aus­län­der­feind­li­ches Motiv für den Anschlag in Betracht. Die Fami­lie C. selbst geht sofort davon aus, dass es sich um einen aus­län­der­feind­li­chen Anschlag han­deln müsse: „Auf diese Weise sind wir schon frü­her beschimpft wor­den. Und sonst haben wir abso­lut keine Feinde“. Gefahn­det wird zunächst nach einem 25–30jährigen Mann, der vom Tat­ort weg­ge­lau­fen sein soll. Die Fahn­dung führt zu kei­nem Ergeb­nis. Schon sechs Wochen nach der Tat wird die Ermitt­lungs­akte geschlossen.

Wenig spä­ter, am 12. Februar 1993, geht eine Spreng­falle in der Gel­dern­straße in Bil­der­stöck­chen hoch. Hier leben vor­wie­gend Migran­ten. Der 52jährige Alfred O. fin­det auf dem Bür­ger­steig eine Plas­tik­tüte mit einem Win­kel­schlei­fer der Marke Bosch und nimmt das Gerät mit in seine Woh­nung. Er schließt das Gerät an eine Steck­dose an, um eine Hei­zung zu repa­rie­ren. Dabei explo­diert die Trenn­flex und zer­reißt ihm den Ober­schen­kel. Ein frem­den­feind­li­cher Anschlag wurde damals nicht in Erwä­gung gezogen.

Auch in der Nibe­lun­gen­sied­lung in Mau­en­heim leben vor­wie­gend Tür­ken. Am 13. März 1993 fin­det der 42jährige Ford-Arbei­ter Recep S. auf einem Park­platz an der Etzel­straße eine schwarze Leder­ta­sche und darin einen Auto­staub­sauger. Er kann ihn brau­chen, denn er will sei­nen Wagen her­rich­ten, um ihn zu ver­kau­fen und nach 16 Jah­ren in Deutsch­land wie­der in die Tür­kei zurück­zu­keh­ren. Recep S. löst die Explo­sion aus, als er den Staub­sauger an den Ziga­ret­ten­an­zün­der anschließt. Sein Ober­kör­per ist schwer ver­letzt. Er ver­liert ein Auge. Nach sie­ben Wochen im Kran­ken­haus ist er arbeits­un­fä­hig. Im Okto­ber 2014 wird der Fall noch ein­mal im Express auf­ge­grif­fen. Cilek, ein Freund von Recep S. erzählt von der schwar­zen Leder­ta­sche, die eines Tages wie zufäl­lig auf dem beleb­ten Park­platz lag. Zunächst habe damit kei­ner etwas anfan­gen wol­len. Aber wenige Stun­den, bevor Recep S. Die Spreng­falle aus­löste, hatte ein 13jähriger Junge die Tasche mit nach Hause genom­men. Sein Vater for­derte ihn aber auf, die Tasche wie­der zurück­zu­le­gen. An der Tasche fand sich ein mit Filz­stift auf­ge­brach­ter Schrift­zug „Össal Güven“. Güven kann Vor- und Nach­name sein. Aber einen Vor­na­men „Össal“ gibt es in die­ser Schreib­weise nicht. Weder auf tür­kisch noch auf kurdisch.

Beide Spreng­fal­len ent­hiel­ten pro­fes­sio­nelle Spreng­kap­seln mit TNT. Das LKA teilt mit: „Nach einer Ana­lyse des LKA Düs­sel­dorf han­delt es sich bei dem Spreng­stoff um TNT (Tri­ni­tro­tuol), das nur im mili­tä­ri­schen Bereich benutzt wird. Es könnte aus Bestän­den der Bun­des­wehr oder der NVA stam­men“ (KR,18.03.1993).
Noch im März 1993, und das kam dann auch im PUA zur Spra­che, war der Ver­fas­sungs­schutz dar­über infor­miert wor­den, dass Neo­na­zis von der Natio­na­lis­ti­schen Front im Novem­ber 1992 in der Nähe von Bonn TNT erwor­ben hat­ten. Auch ein Anschlag sei geplant gewe­sen. Den­noch notierte der Inlands­ge­heim­dienst, obwohl die zwei TNT-Spreng­fal­len in Köln bereits explo­diert waren: „Bis­her ist kein schä­di­gen­des Ereig­nis ein­ge­tre­ten.“ Auch wur­den weder LKA noch Köl­ner Poli­zei über den Spreng­stoff­kauf der Neo­na­zis informiert.

Obwohl sich die Betrof­fe­nen in ihren Wohn­vier­teln über den frem­den­feind­li­chen Cha­rak­ter die­ser Anschläge klar waren, wurde von den Ermitt­lungs­be­hör­den zu kei­ner Zeit ein ras­sis­ti­scher oder extrem rech­ter Hin­ter­grund erwo­gen. Viel­mehr ver­mu­te­ten sie einen psy­chisch gestör­ten Ein­zel­tä­ter: „Ein frem­den­feind­li­cher Hin­ter­grund kann […] aus­ge­schlos­sen wer­den, weil der Unbe­kannte die Spreng­sätze offen­bar völ­lig will­kür­lich ablegt“, zitiert die Köl­ni­sche Rund­schau am 17. März 1993 den Ermitt­ler Uwe K. Aber einen frem­den­feind­li­chen Hin­ter­grund aus­zu­schlie­ßen, erscheint umso will­kür­li­cher, als just im Vor­feld der Asyl­rechts­än­de­rung vom 26. Mai 1993 Dut­zende von Neo­nazi-Anschlä­gen und ras­sis­ti­scher Aus­schrei­tun­gen, erin­nern wir uns an Hünxe, Mölln, Solin­gen, an Hoyers­werda und Ros­tock-Lich­ten­ha­gen das poli­ti­sche Klima mar­kier­ten.
Laut NSU-Watch regis­trierte die Köl­ner Poli­zei in den sechs Mona­ten von Januar bis Ende Juli 1993 im Groß­raum Köln 232 „nach­weis­bare Fälle“ frem­den­feind­li­cher Straf­ta­ten, 42 mehr als im Ver­gleichs­zeit­raum des Vor­jah­res.
Bis heute sind die drei Anschläge im Köl­ner Nor­den nicht auf­ge­klärt, die Täter nicht ermittelt.

Edgar Mitt­ler, Ermitt­lungs­lei­ter zum Anschlag in der Prob­stei­gasse, sagte vor dem PUA aus, er habe den Staats­schutz­kol­le­gen zwar direkt eine Zweit­akte zur Prü­fung zukom­men las­sen, aber weder von ihnen noch vom Ver­fas­sungs­schutz sei ein Hin­weis auf einen mög­li­chen ras­sis­ti­schen Hin­ter­grund gekom­men. Der Lei­ter des Kom­mis­sa­ri­ats für „Rechts- und Links­extre­mis­mus“, Gün­ter Gebert, wurde nicht in die Ermitt­lun­gen ein­ge­bun­den. Viel­leicht sei der Fall bei sei­nem ver­stor­be­nen Vor­ge­setz­ten oder dem Kol­le­gen vom Kom­mis­sa­riat für „Aus­län­der­ex­tre­mis­mus“ gelan­det. Er machte auch deut­lich, dass er der Neo­nazi-Szene in Köln damals ter­ro­ris­ti­sche Taten nicht zutraute. Über­se­hen wurde die Ähn­lich­keit der Tar­nung als Geschenk, die Opfer­aus­wahl und der Abla­ge­zeit­punkt kurz vor Weih­nach­ten. Mitt­ler kannte die Fälle, ver­kannte aber den Zusam­men­hang. Auf den hätte ihn das LKA hin­wei­sen müs­sen, meint er.

Der Bericht (S. 301 ff.) des PUA kri­ti­siert die Ermitt­lun­gen zum Spreng­fal­len­an­schlag in der Prob­stei­gasse im Jahr 2001 als unzu­rei­chend. Ein mög­li­cher frem­den­feind­li­cher Hin­ter­grund der Tat sei nicht ernst­haft in Betracht gezo­gen wor­den. Nicht nach­voll­zieh­bar sei, dass den Ermitt­lern zwar eine Ver­wick­lung des ira­ni­schen Geheim­diens­tes in den Anschlag als mög­lich erschien, nicht aber ein ras­sis­ti­sches Motiv oder eine Tat­be­tei­li­gung von Neo­na­zis.
Dass es anschei­nend auch beim Ver­fas­sungs­schutz NRW kei­nen Vor­gang zu dem Anschlag in der Prob­stei­gasse gege­ben haben soll, sei eben­falls nicht nach­zu­voll­zie­hen. Es sei äußerst irri­tie­rend, dass der Lei­ter des Refe­rats „Aus­wer­tung Rechts­extre­mis­mus“ beim Ver­fas­sungs­schutz NRW, der Zeuge Hans-Peter Lün­gen, den Anschlag in der Prob­stei­gasse nicht wahr­ge­nom­men haben will. Der Aus­schuss habe nicht auf­klä­ren kön­nen, ob der Ver­fas­sungs­schutz NRW kei­nen Vor­gang hat anle­gen las­sen oder ob die­ser Vor­gang aus dem Akten­be­stand gelöscht wor­den ist.
Auch die Staats­an­walt­schaft Köln wird kri­ti­siert. „Ange­sichts der Art und Schwere der Tat sowie einer Ver­fol­gungs­ver­jäh­rung von 20 Jah­ren war es nicht sach­ge­recht, die Ver­nich­tung aller vor­han­de­nen Asser­vate bereits fünf Jahre nach der Tat anzu­ord­nen. Dadurch gin­gen Beweis­mit­tel ver­lo­ren, die ins­be­son­dere nach der Selbst­ent­tar­nung des NSU im Jahr 2011 mög­li­cher­weise noch von ent­schei­den­der Bedeu­tung hät­ten sein kön­nen.“ (S. 302)

Novem­ber 2011. Der NSU fliegt auf. Das Paulchen-Panther-Video

Der Schluss­be­richt: „Am 18. Januar 2012 über­sandte das BKA dem BfV (Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz) die im Zusam­men­hang mit dem Anschlag in der Prob­stei­gasse erstell­ten Phan­tom­bil­der. Am 6. Februar 2012 fand eine Bespre­chung zwi­schen zwei Ermitt­lungs­per­so­nen der BAO (Beson­dere Auf­bau­or­ga­ni­sa­tion) Trio des BKA und Ver­tre­tern und Ver­tre­te­rin­nen des BfV statt, bei der sei­tens des BKA der Ermitt­lungs­stand zum Anschlag in der Prob­stei­gasse dar­ge­stellt und die Phan­tom­bil­der über­reicht wur­den. Bei dem Aus­tausch­tref­fen wurde ver­ab­re­det, dass sich das BfV beim BKA mel­det, sobald es neue Hin­weise erlangt. Beim BfV erkannte eine Mit­ar­bei­te­rin eine Ähn­lich­keit zwi­schen dem nach Anga­ben des Dja­vad M. gezeich­ne­ten Phan­tom­bild und einem Mit­glied der ‹Kame­rad­schaft Köln›, respek­tive ‹Kame­rad­schaft Wal­ter Span­gen­berg›. Die Ähn­lich­keit stellte sie anhand eines Fotos fest, das sich auf der Kopie einer Fest­platte befand, die bei einer Durch­su­chung im Rah­men des HNG-Ver­bots­ver­fah­rens (HNG = Hilfs­or­ga­ni­sa­tion für Natio­nale Poli­ti­sche Gefan­gene und deren Ange­hö­rige e.V.) im Jahr 2010 bei Axel Reitz auf­ge­fun­den wurde. Auf die­sem Foto ist das besagte Mit­glied der Kame­rad­schaft Köln neben Axel Reitz ste­hend zu sehen. Die Mit­ar­bei­te­rin des BfV konnte diese Per­son nicht iden­ti­fi­zie­ren, wor­auf­hin sich das BfV am 8. Februar 2012 an den Ver­fas­sungs­schutz NRW wandte. Dort stellte man fest, dass die Per­son behörd­lich bekannt war. Zwi­schen 1989 und 2012 war Johann Hel­fer Ver­trau­ens­per­son des Ver­fas­sungs­schut­zes NRW.“ (S. 315)

Im Juni 2014 ging es im Münch­ner NSU-Pro­zess um den Anschlag in der Prob­stei­gasse. In sei­nem Paul­chen-Pan­ther-Video hatte sich der NSU dazu bekannt. Trotz der man­geln­den Ähn­lich­keit von Böhn­hardt und Mund­los mit dem Phan­tom­bild geht die Bun­des­an­walt­schaft von ihrer Täter­schaft aus. Es gebe keine Anhalts­punkte, die für einen ande­ren Täter als Mund­los oder Böhn­hardt sprä­chen, teilte sie mit. (KR 6.6.2014)
Das Phan­tom­bild war nach den Anga­ben des Laden­in­ha­bers und sei­ner Toch­ter erstellt wor­den.
Am 9. Februar 2012 iden­ti­fi­zierte die Lei­te­rin der NRW-Ver­fas­sungs­schut­zes Mat­hilde Kol­ler den Neo­nazi Johann Hel­fer – ohne aller­dings mit­zu­tei­len, dass der Betref­fende als V‑Mann auf der Gehalts­liste ihrer Behörde steht. Johann Hel­fer ist seit lan­gem in der Neo­na­zi­szene aktiv, unter ande­rem war er Mit­glied der Kame­rad­schaft Wal­ter Span­gen­berg. Die Mit­tei­lung über seine Eigen­schaft als V‑Mann gab sie erst eine Woche spä­ter. Aber weder sie noch die Bun­des­an­walt­schaft, auch nicht das BKA sahen „Anhalts­punkte für eine Tat­be­tei­li­gung“ des Man­nes – anders als die Opfer, nach deren Anga­ben das Phan­tom­bild her­ge­stellt wor­den war. Kol­ler bat vier Monate spä­ter, im Juni 2012, um ihre Ver­set­zung in den Ruhe­stand und gab dafür per­sön­li­che Gründe an. Anläss­lich ihrer Ver­neh­mung am 25. August 2015 im PUA bekannte sie, dass sie nicht bereit oder in der Lage gewe­sen sei, nach den Land­tags­wah­len im Mai 2012 mit dem Staats­se­kre­tär des neuen Innen­mi­nis­ters zusam­men­zu­ar­bei­ten. Über den Inhalt des Kon­flikts mit dem Staats­se­kre­tär gab sie keine Auskunft.

Merk­wür­dig mutet an, dass Johann Hel­fer, der übri­gens alle Medien, die im Zusam­men­hang mit dem Anschlag in der Prob­stei­gasse sei­nen Namen nann­ten, mit straf­be­wehr­ten Unter­las­sungs­ver­fü­gun­gen über­zog, auch nach Kol­lers Hin­weis nicht von der Poli­zei ver­nom­men wurde. Das bestä­tig­ten sowohl Ermitt­ler als auch der Anwalt von Johann Hel­fer dem WDR-Maga­zin WEST­POL in der Sen­dung vom 21. Juni 2015.

Sven Wolf war die­ses Detail am ver­gan­ge­nen Don­ners­tag (6. April 2017) im Land­tag wich­tig genug, um zu sagen, daß sich der Aus­schuss inten­siv mit der Frage beschäf­tigt habe, ob die­ser Johann Hel­fer der Täter war. Sie seien gemein­sam zur der Über­zeu­gung gekom­men: er war es nicht. Wer es war, das könne der Aus­schuss nicht sagen.

Diese Aus­sage des Vor­sit­zen­den stützt sich offen­bar auf Ver­neh­mun­gen der Zeu­gin­nen Annette Gre­ger, Ober­staats­an­wäl­tin beim Gene­ral­bun­des­an­walt, der Kri­mi­nal­kom­mis­sa­rin Annika Vog­gen­rei­ter, sowie Johann Hel­fer selbst. Ich zitiere:

Im Rah­men sei­ner Ver­neh­mung vom 23. Februar 2012 wur­den Dja­vad M. sowohl die Licht-
bild­vor­la­ge­da­tei, in der das ver­frem­dete Pass­bild des Johann Hel­fer inte­griert war, als
auch eine die Ganz­kör­per­auf­nahme des Johann Hel­fer ent­hal­tende Wahl­licht­bild­vor­lage
gezeigt. Weder auf dem einen noch auf dem ande­ren Bild erkannte er Johann Hel­fer als Tat-
ver­däch­ti­gen wie­der.
Auch Mahs­hid M. wurde in ihrer Ver­neh­mung vom 19. März 2012 eine das ver­frem­dete
Pass­bild des Johann Hel­fer ent­hal­tende Wahl­licht­bild­vor­lage gezeigt. Hier­auf­hin schloss
sie den auf Bild 3 abge­bil­de­ten Johann Hel­fer als Tat­ver­däch­ti­gen aus. Hin­sicht­lich der ihr
in einer wei­te­ren Wahl­licht­bild­vor­lage vor­ge­leg­ten Ganz­kör­per­auf­nahme des Johann Hel-
fer gab sie an, dass das Gesicht lei­der nicht rich­tig zu erken­nen sei und die abge­bil­dete Per-
son von der Sta­tur „irgend­wie zu klein“ aus­sehe.
Die Zeu­gin Annika Vog­gen­rei­ter ver­merkte dar­auf, dass somit aktu­ell keine Anhalts­punkte
für eine Täter­schaft des Johann Hel­fer vor­lie­gen.
Nach Aus­sage der Zeu­gin Annika Vog­gen­rei­ter sei damit die Spur aber nicht kom­plett abge-
schlos­sen gewe­sen, son­dern zu die­sem Zeit­punkt nur nicht vor­ran­gig wei­ter ver­folgt wor-
den.
Über die bereits geschil­der­ten Ermitt­lungs­maß­nah­men der Erhe­bun­gen poli­zei­li­cher Erkennt-
nisse zu Johann Hel­fer sowie der Durch­füh­rung von Licht­bild­vor­la­gen hin­aus, erge­ben sich
aus den Akten jedoch keine wei­ter­ge­hen­den Ermitt­lun­gen zu die­ser Spur.
Mit die­sem Akten­be­fund kor­re­spon­diert auch die Aus­sage der Zeu­gin Anette Gre­ger, die
deut­lich zum Aus­druck gebracht hat, dass auf­grund der feh­len­den Wie­der­erken­nung durch
die bei­den Augen­zeu­gen Dja­vad und Mahs­hid M. die Spur „Johann Hel­fer“ für den GBA
„nicht mehr inter­es­sant“ gewe­sen sei. Zusam­men­fas­send hat sie zu die­ser Spur erklärt:

„Es war für uns zunächst mal natür­lich ein extrem wich­ti­ger, ver­fah­rens­re­le­van­ter Sach-
ver­halt auch. Es war hier ein Hin­weis, dass ein Täter … Diese Ähn­lich­keit zwi­schen dem Aus­se­hen 2011 und dem Phan­tom­bild 2001 ist frap­pie­rend. Also, es war hier ein Hin­weis, dass ein Täter außer­halb von Böhn­hardt / Mund­los / Zsch­äpe an einem Tat­ort war und die­sen Spreng­stoff zurück­ge­las­sen hat. Also wir hät­ten, wenn sich die­ser Hin­weis ver­dich­tet hätte, da sofort einen Zugriff gemacht, wie wir es im Übri­gen auch bei ande­ren der Unter­stüt­zung ver­däch­ti­gen Per­so­nen gemacht haben.
Aber wir haben dann nach unse­ren Abklä­run­gen die Bewer­tung für uns getrof­fen, dass Johann Hel­fer für uns nicht tat­ver­däch­tig ist, weil sein Aus­se­hen zum dama­li­gen Zeit­punkt nicht der Beschrei­bung des für uns auch sehr wich­ti­gen Zeu­gen Herrn M. ent­spricht. Wir haben – auch das ist Ihnen ja bekannt – auch durch­aus unter­schied­li­che Beschrei­bun­gen die­ser Per­son, die sich im Laden­lo­kal auf­ge­hal­ten hat, von Herrn M. Am 19. und 21. einer­seits und von der Schwes­ter der Geschä­dig­ten aus dem Jahr 2012 ande­rer­seits.
Diese Aus­sa­gen zur Beschrei­bung der Per­son pas­sen auch nicht eins zu eins zuein­an­der. Und wenn beide Per­so­nen dann bei der Vor­lage von Licht­bil­dern zu dem Ergeb­nis kom­men, dass diese Per­son nicht in Betracht kommt, ist diese Spur unbe­scha­det der Ähn­lich­keit, der äuße­ren Ähn­lich­keit, die jeder fest­stel­len kann – Hel­fer 2011 und Phan­tom­bild 2001 –, für uns abge­klärt, und zwar in dem Sinne, dass Herr Hel­fer für uns als Ver­däch­ti­ger nicht infrage kommt. Das ist im Übri­gen auch in der Haupt­ver­hand­lung in Mün­chen vom Straf­se­nat so gese­hen wor­den.“
Johann Hel­fer wurde nicht durch das BKA bzw. den GBA ver­nom­men. Die Zeu­gin Anette Gre­ger hat dazu erklärt:
„Es gab kei­nen Anlass mehr, den Hel­fer zeu­gen­schaft­lich zu ver­neh­men. Die Beschrei­bung von Herrn [M.], die er zeit­nah zu dem Anschlag abge­ge­ben hat, die Beschrei­bung der Per­son, die den Korb im Geschäft ste­hen­ließ, passt nicht unbe­dingt auf den Hel­fer – schon von der Beschrei­bung her. Und dann schlie­ßen Zeu­gen diese Per­son auch noch aus. Auch die­ses Aus­se­hen, was den Hel­fer 2002 zeigt, ist anders als die­ses Phan­tom­bild. Es gab für uns kei­nen Anlass mehr, den Hel­fer als Zeu­gen zu ver­neh­men. Wir dür­fen Zeu­gen­ver­neh­mun­gen nur machen, wenn wir eine Sach­ver­halts­auf­klä­rung damit bezwe­cken kön­nen.“ (S. 321 ff.)

Auf eine Anfrage des Lei­ters des Ver­fas­sungs­schut­zes NRW, des Zeu­gen Burk­hard Freier, vom 19. Juni 2013, in der er um Mit­tei­lung des Sach­stan­des der Ermitt­lun­gen hin­sicht­lich der mög­li­chen Tat­be­tei­li­gung des Johann Hel­fer bat, teilte der GBA mit Schrei­ben vom 1. Juli 2013 mit, dass die Per­son Johann Hel­fer durch das BKA mit fol­gen­dem Ergeb­nis abge­klärt wurde: „Hin­weise auf eine Täter­schaft die­ser Per­son am Anschlag in der Prob­stei­gasse in Köln haben sich nicht erge­ben.“ (S. 323)

Am Ende des Kapi­tels „Die Spur Johann Hel­fer“ (S. 315) resü­miert der Unter­su­chungs­aus­schuss (Kri­ti­sche Wür­di­gung, S. 326 f.):
Johann Hel­fer hat in sei­ner Ver­neh­mung durch den Aus­schuss eine Betei­li­gung an dem Anschlag in der Prob­stei­gasse vehe­ment abge­strit­ten. Der Aus­schuss hat nach dem Ergeb­nis der Beweis­auf­nahme keine Belege dafür, dass Johann Hel­fer die Spreng­falle in dem Lebens­mit­tel­ge­schäft der Fami­lie M. hin­ter­las­sen hat oder in sons­ti­ger Weise an dem Anschlag in der Prob­stei­gasse betei­ligt gewe­sen ist. Zwar ist sowohl auf dem Foto, das den Vor­gang „Johann Hel­fer“ beim Ver­fas­sungs­schutz NRW erst aus­löste, als auch auf dem im Jahr 2014 im Inter­net ver­öf­fent­lich­tem Bild die Ähn­lich­keit des Johann Hel­fer mit dem Phan­tom­bild deut­lich zu erken­nen, jedoch lie­gen dem Aus­schuss keine Erkennt­nisse dar­über vor, dass diese Licht­bil­der aus dem Jahr 2000 oder 2001 stam­men.
Gleich­wohl ist der Aus­schuss der Ansicht, dass die Bear­bei­tung der Spur „Hel­fer“ nicht voll­stän­dig erfolgt ist. Nach­dem die bei­den Dja­vad M. und Mahs­hid M. nach zwei Wahl­licht­bild­vor­la­gen den Zeu­gen Johann Hel­fer nicht als Able­ger der Spreng­falle wie­der erkann­ten, wur­den keine wei­te­ren Ermitt­lun­gen durch­ge­führt. Dies wäre an sich ein nach­voll­zieh­ba­res Vor­ge­hen des BKA, wenn die bei­den Wahl­licht­bild­vor­la­gen nicht von min­de­rer Qua­li­tät gewe­sen wären und den Stan­dards guter Ermitt­lungs­ar­beit voll­ends ent­spro­chen hät­ten.
Das für die Wahl­licht­bild­vor­la­gen ver­wen­dete Ganz­kör­per­bild des Johann Hel­fer ist von der­art schlech­ter Qua­li­tät, dass sich damit keine gesi­cher­ten Aus­sa­gen zu Sta­tur und Größe der abge­bil­de­ten Per­son machen las­sen. Zudem weicht die Qua­li­tät und Per­spek­tive der Auf­nahme deut­lich von den ande­ren Licht­bil­dern in der Wahl­licht­bild­vor­lage ab. Für die Wahl­licht­bild­vor­lage der Por­träts ver­wen­dete das BKA ein Pass­foto, das Johann Hel­fer mit kur­zen Haa­ren und einem Bart zeigt. Auf die­ses Foto wur­den dann län­gere Haare, dem Phan­tom­bild ent­spre­chend, mon­tiert. Jedoch wurde aus nicht nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den der Bart auf dem Por­trät­bild des Johann Hel­fer nicht retu­schiert – obwohl die bei­den Augen­zeu­gen Dja­vad M. und Mahs­hid M.ausgesagt hat­ten, dass der Täter des Anschlags kei­nen Bart getra­gen habe. Das BKA konnte im Zuge sei­ner Recher­chen keine brauch­ba­ren Fotos von Johann Hel­fer mit lan­gen Haa­ren erlan­gen.
Nicht nach­zu­voll­zie­hen und eben­falls zu kri­ti­sie­ren ist, dass die Recher­che­er­geb­nisse des Ver­fas­sungs­schut­zes NRW nicht die ermit­teln­den Sach­be­ar­bei­ter und Sach­be­ar­bei­te­rin­nen des BKA erreich­ten. Die­sen war nur die erste, knapp gehal­tene dienst­li­che Erklä­rung vom 9. Februar 2012 bekannt. Die dienst­li­che Erklä­rung, wel­che durch den Ver­fas­sungs­schutz NRW im Inter­net erlangte Fotos von Johann Hel­fer ent­hielt, wurde, ohne dass ein sach­li­cher Grund dafür erkenn­bar ist, sei­tens des Ver­fas­sungs­schut­zes NRW als Ver­schluss­sa­che ein­ge­stuft.
In der dienst­li­chen Erklä­rung vom 9. Februar 2012 wies der Ver­fas­sungs­schutz NRW auf die Vor­strafe des Johann Hel­fer wegen eines Spreng­stoff­de­likts im Jahr 1985 sowie die Tat­sa­che, dass er ein­ge­tra­ge­ner Besit­zer von Schuss­waf­fen war, nicht hin. Auch wenn die als Zeu­gen gehör­ten Mit­ar­bei­ter der Ver­fas­sungs­schut­zes NRW ange­ge­ben haben, die Infor­ma­tion über die Vor­strafe dem GBA münd­lich mit­ge­teilt zu haben, so musste das BKA diese, im Hin­blick auf den Tat­ver­dacht der Betei­li­gung an einem Spreng­stoff­an­schlag wich­tige Infor­ma­tion selbst recher­chie­ren. (S. 326 f.)

Klaus, 11. April 2017