Auch 20 Jahre nach dem Brand­an­schlag von Solingen:

»Das Pro­blem heißt Rassismus«

Werbeplakat für die Demo in Solingen.

Solin­gen, 25.05.2013 | Mehr als 2.000 Men­schen haben am Wochen­ende in Solin­gen gegen Ras­sis­mus und Neo­na­zis­mus de­mons­triert. Anlass war der ras­sis­tisch moti­vier­te Brand- und Mord­anschlag auf das Wohn­haus der Fami­lie Genç am 29. Mai 1993, also vor 20 Jah­ren. Bei dem Anschlag kamen fünf Frauen und Mäd­chen der Fami­lie ums Leben. 

20 Jahre Solin­ger Brand­anschlag 1993: »Erst stirbt das Recht – dann ster­ben Men­schen«. Wir doku­men­tie­ren die Kund­ge­bungs­re­de von Rolf Göss­ner wäh­rend der bun­des­wei­ten De­mons­tra­tion in Solingen:

Kund­ge­bungs­rede von RA Dr. Rolf Göss­ner, Vize­prä­si­dent der Inter­na­tio­na­len Liga für Men­schen­rechte, wäh­rend der bun­des­wei­ten Demons­tra­tion am Sams­tag, 25.05.2013 in Solingen:

»Erst stirbt das Recht – dann ster­ben Menschen«

Am 29. Mai 1993 star­ben in Solin­gen 5 Mit­glie­der der Fami­lie Genç bei einem Brand­anschlag. Bei­nahe zeit­gleich wurde durch die so­genann­te Dritt­staa­ten­re­ge­lung das Grund­recht auf Asyl in Deutsch­land fak­tisch abge­schafft. Beide Ereig­nisse jäh­ren sich jetzt zum 20. Mal.

Der Solin­ger Brand­anschlag geschah in einem von extre­mem Ras­sis­mus gepräg­ten gesell­schaft­li­chen Klima: Poli­tik und Medien hetz­ten mit der Parole »Das Boot ist voll!« gegen »Aus­län­der«, und bei den Pogro­men von Hoyers­werda und Ros­tock-Lich­­ten­ha­gen applau­dier­ten »brave Bür­ge­r_innen« der Nazi­gewalt, wäh­rend Poli­zei und Behör­den taten­los zusa­hen. Rund 2.000 Men­schen wur­den 1992 Opfer rassis­ti­scher Gewalt; 17 Men­schen wur­den von Neo­na­zis ermordet.

Auch in Solin­gen exis­tierte eine extrem rechte Szene. Drei der vier Täter trainier­ten in einer Kampf­sport­schule, deren Lei­ter Bernd Schmitt Kon­takte zur »Natio­na­lis­ti­schen Front« pflegte und Neo­na­zis für Angrif­fe auf ihre poli­ti­schen Geg­ner ausbil­dete. Seine Erkennt­nis­se über die rechte Szene ver­kaufte er an den Verfas­sungs­schutz (VS), der ihn als V‑Mann ange­wor­ben hatte.

Heute, 20 Jahre spä­ter, wird gegen die Terror­grup­pe »Natio­nal­so­zia­lis­ti­scher Unter­grund« (NSU) ermit­telt. Uwe Böhn­hardt, Uwe Mund­los und Beate Zsch­äpe ermor­de­ten mindes­tens neun Men­schen aus ras­sis­ti­schen Moti­ven, verüb­ten zwei Anschläge in Köln und erschos­sen in Heil­bronn eine Poli­zis­tin. Die Fahn­dungs­behör­den ermit­tel­ten im »migran­ti­schen Milieu«, denn die Exis­tenz einer Nazi­ter­ror­grup­pe schien angeb­lich unvor­stell­bar – obwohl VS-Behör­­den auch in die­sem Fall jahre­lang Perso­nen aus dem Umfeld des NSU-Trios als V‑Leute bezahlt hatten.

Migrant_innen wer­den in Deutsch­land aller­dings nicht nur durch mili­tante Neo­na­zis, son­dern auch durch insti­tu­tio­nel­len und gesell­schaft­li­chen Ras­sis­mus bedroht: Die Abschie­be­po­li­tik Deutsch­lands hat zahl­rei­che Menschen­leben auf dem Gewis­sen und in den Talk­shows wird gegen den angeb­li­chen »Asyl­miss­brauch« ost­euro­pä­ischer Roma gehetzt – 20 Jahre nach den Mor­den von Solin­gen, 20 Jahre nach der Abschaf­fung des Grund­rechts auf Asyl grün­den sich wie­der Bür­ger­ini­tia­ti­ven »gegen Asylantenheime«.

Wir solidari­sie­ren uns mit den Opfern von Rassis­mus und unter­stüt­zen Geflüch­tete in ihren Kämp­fen für das Recht zu leben, wo immer sie wol­len! Wir for­dern die Auflö­sung des Verfas­sungs­schut­zes und den sofor­tigen Stopp jeg­li­cher Subven­tionen rech­ter Orga­ni­sa­tio­nen durch staat­liche Behör­den! Das Pro­blem heißt Ras­sis­mus! fight rascism now!


Dr. Rolf Göss­ner ist Rechts­an­walt, Publi­zist und Vize­prä­si­dent der Inter­na­tio­na­len Liga für Men­schen­rechte (Ber­lin; www.ilmr.de), außer­dem stellv. Rich­ter am Staats­ge­richts­hof der Freien Han­se­stadt Bre­men sowie Mit­glied der Depu­ta­tion für Inne­res der Bre­mi­schen Bür­ger­schaft. Mit­her­aus­ge­ber des jähr­lich erschei­nen­den »Grund­rechte-Report. Zur Lage der Bür­ger- und Men­schen­rechte in Deutsch­land«. Inter­net: www.rolf-goessner.de . Autor zahl­rei­cher Bücher zum The­men­be­reich »Innere Sicher­heit« und Bür­ger­rechte, zuletzt:

  • Geheime Infor­man­ten. V‑Leute des Ver­fas­sungs­schut­zes: Neo­na­zis im Dienst des Staa­tes, Mün­chen 2003; Akt. Neu­auf­lage als e‑book 2012 bei Knaur-Ver­lag, Mün­chen. Down­load-Direkt­link: http://bit.ly/J8XWNC
  • Men­schen­rechte in Zei­ten des Ter­rors. Kol­la­te­ral­schä­den an der »Hei­mat­front«, Ham­burg 2007.

Rolf Göss­ner war der erste Red­ner wäh­rend der Auf­takt­kund­ge­bung. Seine Rede mit dem Titel »Erst stirbt das Recht – dann ster­ben Men­schen« kann in Lang­fas­sung nach­ge­le­sen werden.


Wei­tere Redner_innen wäh­rend der Demonstration/Kundgebungen u.a.:

  • Cor­ne­lia Kerth (Bun­des­vor­sit­zende der Ver­ei­ni­gung der Ver­folg­ten des Nazi­re­gimes VVN/BdA)
  • Ale­vi­ti­schen Gemeinde Deutsch­lands: Ali Dogan (Gene­ral­se­kre­tär)
  • Ana­to­li­sche Föde­ra­tion Wuppertal
  • Vertreter_ in von «Das Pro­blem heißt Ras­sis­mus”: Antifa-Grup­pen, anti­ras­sis­ti­sche Initia­ti­ven und Flüchtlingsunterstützer_innen aus nrw
  • Kara­wane für die Rechte der Flücht­linge und MigrantInnen
  • Kutlu Yurts­even (Keup­straße, Köln)
  • Solin­ger Appell – Forum gegen Krieg und Ras­sis­mus: Diet­mar Gaida
  • Taner Aday (Jour­na­list und 1993 Spre­cher des »Solin­ger Appells«)
  • Wolf Wet­zel (freier Autor, u.a. «Der NSU-VS-Kom­plex. Wo beginnt der NSU – wo hört der Staat auf?”, 2013)

Die Solin­ger Demons­tra­tion und Kund­ge­bun­gen unter dem Motto »Das Pro­blem heißt Ras­sis­mus«, zu denen ein anti­fa­schis­ti­sches Bünd­nis ver­schie­de­ner Grup­pen auf­ge­ru­fen hatte, zog auch vor den Anschlags­ort in der Unte­ren Wer­n­er­straße. Im Anschluss der Demons­tra­tion gab die tür­ki­sche Musik­gruppe GRUP YORUM auf dem Abschluss­kund­ge­bungs­platz »Neu­markt« in Solin­gen ein Konzert.


Rolf Göss­ner: »Erst stirbt das Recht – dann ster­ben Men­schen« in Lang­fas­sung

Wei­tere Informationen