Hun­ger 2023

Die größte Zunahme der welt­wei­ten Ungleich­heit seit dem Zwei­ten Weltkrieg

Aus­schnitt aus einem Zei­tungs­be­richt mit Zeich­nun­gen des indi­schen Kom­mu­nis­ten Chit­ta­pro­sad (1915−1978) über die Hun­ger­ka­ta­stro­phe 1943/1944 in Ben­ga­len. Beschlag­nahmt von der bri­ti­schen Kolo­ni­al­ver­wal­tung. Expo­nat auf der Docu­menta im Som­mer 2017. Im Herbst 1942 hatte es wet­ter­be­dingt Ern­te­aus­fälle gege­ben. Der Reis­preis stieg. Die Regie­rung Ben­ga­lens legte eine Ober­grenze des Reis­prei­ses fest. Dar­auf hor­te­ten die Händ­ler den Reis. Ein Schwarz­markt ent­stand. Die Menge von Nah­rungs­mit­teln war aber nicht gemin­dert. Es stieg der export­ori­en­tierte Anbau.
Amar­tya Sen, Wirt­schafts­no­bel­preis­trä­ger 1998, war 9 Jahre alt und Zeuge der Hun­gers­not, aber als Kind rei­cher Eltern selbst nicht betrof­fen. Sen konnte in sei­ner nächs­ten Umge­bung keine Anzei­chen der Kata­stro­phe erken­nen, weil nur die unters­ten, die «unsicht­ba­ren» Schich­ten der Gesell­schaft betrof­fen waren. Er stellte spä­ter fest, dass es eigent­lich genug Lebens­mit­tel gege­ben hätte. Sie erreich­ten aber nicht die­je­ni­gen, die sie brauch­ten.
Die bri­ti­schen Kolo­ni­al­her­ren blie­ben untä­tig. Die Behör­den ver­schlei­er­ten die Opfer­zah­len und zen­sier­ten die Presse. Den Men­schen, die ver­hun­ger­ten, fehlte die poli­ti­sche Macht, an die­ser Situa­tion etwas zu ändern.

Am 18. Novem­ber 2008 hatte ich zum Thema Hun­ger schon ein­mal in der MV der Innen­stadt­gruppe refe­riert. Der Ver­gleich mit der Situa­tion vor 14 Jah­ren lie­fert womög­lich einige Aufschlüsse.

2008:

14 Mil­lio­nen Kin­der wer­den keine 6 Tage alt. Alle fünf Sekun­den ver­hun­gert ein Kind unter zehn Jah­ren. Anders gesagt: Pro Tag ster­ben 20 000 Kin­der. Täg­lich ver­hun­gern 100 000 Men­schen, das sind rund 30 Mil­lio­nen im Jahr. Durch Unter­ernäh­rung erblin­den jähr­lich 7 Mil­lio­nen. 250 Mil­lio­nen Kin­der arbei­ten ab dem 5. Lebens­jahr. 923 Mil­lio­nen Men­schen lei­den an chro­ni­scher Unter­ernäh­rung und in der Folge an schwe­ren Behin­de­run­gen. Im Jahr zuvor waren es noch 854 Mil­lio­nen.
Das sind UN-Zahlen.

Unter­ernäh­rung und Hun­ger sind aber nicht Folge eines Lebens­mit­tel­man­gels, son­dern der Lebens­mit­tel­preise. Allein an einem ein­zi­gen Tag, am 27. Februar 2008, wurde an der Chi­ca­goer Wei­zen­börse eine Preis­er­hö­hung um 25 Pro­zent regis­triert.
Die FAZ erklärte der­ar­tige Preis­be­we­gung mit der Akti­vi­tät von Zockern. Ins­ge­samt klet­ter­ten laut KR vom 14. April 2008 die Wei­zen­preise in den drei Jah­ren zuvor um 181 Pro­zent. Der Grund war die Finanz­krise. Das Kapi­tal floh aus dem Hypo­the­ken­schrott in das Geschäft mit Roh­stof­fen, mit Gold, Öl, Zinn, Soja und eben Weizen.

2023:

Oxfam ist eine inter­na­tio­nale Wohl­tä­tig­keits­or­ga­ni­sa­tion. Sie wurde 1942 als Oxfor­der Komi­tee zur Lin­de­rung von Hun­gers­not in Groß­bri­tan­nien gegrün­det. Damals ging es darum, die Fol­gen der deut­schen Besat­zungs­po­li­tik in Grie­chen­land zu lin­dern. Ob die Hun­gers­not in Ben­ga­len 194344 Oxfam geküm­mert hat, ent­zieht sich mei­ner Kenntnis.

Laut einer Pres­se­mit­tei­lung von Oxfam vom 16. Januar 2023 hun­gern rund 828 Mil­lio­nen Men­schen – etwa jeder zehnte Mensch auf der Erde. Die Zahl der Hun­gern­den ist inner­halb von zwei Jah­ren um 150 Mil­lio­nen angestiegen.


Hun­ger 2023