Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tun­gen in der Pflege

Mit­mach­falle Betriebsrat?

Einige Anmer­kun­gen zur Situa­tion und Pra­xis von Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tun­gen (1) in der Pflege bei der Cari­tas und Dia­ko­nie (nicht nur?!) in Köln.

Wenn auf von der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung (MAV) initi­ier­ten Betriebs­ver­samm­lun­gen eines gro­ßen Anbie­ters von Pflege in Köln aus dem kirch­li­chen Bereich nur eine hand­voll Kolleg:innen da sind und wenn man sel­ber als Beschäf­tigte in Alten­hei­men in Köln oder in der ambu­lan­ten Pflege die MAV prak­tisch kaum wahr­nimmt – dann gibt es für mich Gesprächs­be­darf über die Rea­li­tät und Pra­xis der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tun­gen im kirch­lich- pfle­ge­ri­schen Bereich in Köln.

Auch andere Kolleg:innen haben Fra­gen an die MAVs.

Und die Kolleg:innen?
Die Kolleg:innen sel­ber wür­den, wenn man sie grund­sätz­lich nach Funk­tion und Auf­ga­ben der MAV fra­gen würde, unbe­stimmt bzw. nicht kon­kret wer­den. Irgend­wie scheint klar, dass die Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung in Cari­tas und Dia­ko­nie «etwas für uns» ist; irgend­wie «gut» (dazu spä­ter mehr). Es gibt aber über­haupt keine Vor­stel­lun­gen über die Auf­ga­ben der MAV – wenn man fragt, kommt viel­leicht etwas von «da kann man hin­ge­hen und sich bera­ten las­sen, wenn man Fra­gen hat». Es gibt keine Vor­stel­lun­gen über das, was betrieb­li­che Mit­be­stim­mung aus­macht. Häu­fig aber auch hört man aber auch, dass die in der MAV «nix tun»; die «kannste ver­ges­sen». Oder: «du kannst nur zu Kol­le­gin X gehen, die ande­ren kannste ver­ges­sen».
Was sind denn dann über­haupt die Zweck der Arbeit (des Betriebs­ra­tes bzw.) der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung (natür­lich nicht nur) in der Alten­pflege?
Auf die Frage gibt die Alten­pfle­ge­rin Manuela Frit­sche im Inter­view mit dem ND am 20.08.2020 (2) eine ein­deu­tige Ant­wort in einem Satz:
«Damit die Will­kür der Füh­rungs­kräfte auf­hört.»
Genau darum geht es.
Im Vor­der­grund ste­hen in den Hei­men wie selbst­ver­ständ­lich Gewinn­erwar­tun­gen; die Rechte der Kolleg:innen wer­den – wenn über­haupt – dann kaum beach­tet, nicht der Gesund­heits- und Arbeits­schutz, nicht die Arbeits­schutz­ge­setze und Aus­füh­rungs­re­geln nach BG, nicht die Ver­ein­bar­keit von Fami­lie und Job (Wunsch­plan hin oder her …) – es herrscht Will­kür. Gleich­zei­tig, und das ist ja ein Teil der Heu­che­lei, bekla­gen sich die Ver­bände der Betrei­ber von Pfle­ge­ein­rich­tun­gen über den Per­so­nal­man­gel. (Da möchte man doch immer wie­der dazwi­schen gehen und laut sagen: ihr habt es doch sel­ber in der Hand!)
Im All­tag zeigt sich diese Will­kür oft genug in einer unge­heu­ren Arbeits­hetze und in einem gesund­heits­ge­fähr­den­den Stress. Aber eben nicht nur, auch etwa in über­lan­gen Schicht­fol­gen, in man­geln­dem Frei­zeit­aus­gleich, in nicht abge­spro­che­nen Schicht­plan­än­de­run­gen, usw., usw., usf.
Und natür­lich gibt es auch Kolleg:innen, die tem­po­rär oder auf­grund ihrer beson­de­ren Situa­tion in der Ten­denz die Situa­tion abwei­chen­der wahr­neh­men – und auf die dann gern von der Geschäfts­füh­rung ver­wie­sen wird mit der Begrün­dung, es sei doch alles in Ord­nung («Wer beschwert sich denn?»)
Denn bei nied­ri­ge­rem Pati­en­ten­auf­kom­men kann der Arbeits­all­tag mit­un­ter, tem­po­rär auch pati­en­ten- und mit­ar­bei­ter­ge­rech­ter sein, dass glei­che gilt auch bei zeit­wei­lig aus­ge­gli­che­nem Per­so­nal­stand im Betrieb; näm­lich z.B. dann, wenn durch empa­thisch-sozia­les Manage­ment der Kran­ken­stand beson­ders nied­rig ist.
Auch das muss gesagt sein: Lei­der gibt es auch immer wie­der auch die ein oder andere Kolleg:in, die nicht voll­um­fäng­lich gut pflegt und damit vor­ge­ge­bene Zei­ten und Per­so­nal­schlüs­sel auch so aus­hal­ten kann; andere wie­derum haben eine stun­den­mä­ßig sehr begrenzte Teil­zeit­stelle und kön­nen dem­ge­mäße Kla­gen dann viel­leicht so nicht repro­du­zie­ren – sie kön­nen die Ver­hält­nisse bei ihrem begrenz­tem Stun­den­um­fang bes­ser aus­hal­ten. (Genau des­halb wür­den sie aber auch nie die Wochen­stun­den erhö­hen!)
Aber auch dann ist der All­tag immer wie­der durch­setzt von Momen­ten, in denen Rechte nicht beach­tet wer­den, von Arbeits­hetze, usf.
Es geht eben um die Aus­dehn­bar­keit der Belas­tung auch hin­ter die Belas­tungs­gren­zen von uns Pflegearbeiter:innen, wenn Lei­tun­gen das wol­len und der kaum Gren­zen gesetzt wer­den; «mal so, mal so», immer wie­der wie‘s beliebt. Wie eben Manuela Frit­sche es rich­tig aus­ge­drückt, es geht um Will­kür in der Pla­nung.
Wie hier ersicht­lich wird, fokus­siere ich auf unsere All­tags­er­fah­rung in der Pflege. Es gibt natür­lich auch wesent­li­che andere Berei­che der betrieb­li­chen Mit­be­stim­mung, die (zunächst) nicht so unmit­tel­bar für den All­tag rele­vant schei­nen. Aber dass ich hier den Fokus drauf setze hat einen ein­fa­chen Grund: der Betriebsrat/die MAV kann mit­hel­fen, unsere unmit­tel­bare Erfah­rung in der Pflege, also unse­ren Arbeits­all­tag bes­ser zu machen! (Und nur neben­bei: indem die MAV unse­ren All­tag ein­fa­cher macht, betreibt sie auch Qua­li­täts­ma­nage­ment, denn Arbeits- und Gesund­heits­schutz ist zwar keine hin­rei­chende, aber not­wen­dige Bedin­gung für gute Pflege !)
Weil die MAV die Instru­mente dazu in der Hand hat.
Unser Leben bzw. unser All­tag in der Pflege kann ein­fa­cher sein, weil sich die MAV der Will­kür ent­ge­gen­setzt.
ich halte dafür 4 Punkte in der Arbeit von Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tun­gen für unbe­dingt erfor­der­lich:
1.) Für ganz zen­tral halte ich die Kon­trolle der Dienst­pläne (und in der ambu­lan­ten Pflege – zumin­dest stich­punkt­ar­tig – die Kon­trolle der Tou­ren­pläne). Es erschreckt immer wie­der, dass es unter den Kolleg:innen völ­lig unbe­kannt ist, dass (auch die) MAV hier eine starke Mit­be­stim­mung hat. Es ist unbe­kannt, dass der MAV die Kon­trolle der Dienst­pläne obliegt! Unbe­kannt des­halb erst recht, dass sie bei der Ableh­nung des neu geplan­ten Dienst­plans für den Fol­ge­mo­nat nicht auf die etwaig feh­lende Ein­hal­tung von Arbeits­ge­set­zen ver­wei­sen muss; es reicht, wenn Kolleg:in XY an Tag X kei­nen Spät­dienst machen will, das der MAV mit­teilt, die dann den Dienst­plan (für die betref­fende Kol­le­gin) ableh­nen kann.
2.) Wei­ter­hin halte ich es für unab­ding­bar, dass es Vor­dru­cke für Über­las­tungs- bzw. Gefähr­dungs­an­zei­gen gibt. Und vor­al­lem, dass jeder Kollegin/jedem Kol­le­gen klar ist, was es damit auf sich hat. Näm­lich, dass sich die gesetz­li­che Grund­lage für Gefähr­dungs­an­zei­gen aus demAr­beits­schutz­ge­setz her­lei­tet. (Und dass der Betriebs­arzt (bzw. der Arbeits­si­cher­heits­aus­schuss des Betrie­bes) bei wei­ter bestehen­der Lage auch externe Stel­len infor­miert wird/werden kann bzw. muss – das sollte man den Lei­tun­gen doch gege­be­nen­falls mal mit­tei­len!) Man kann zu dem gan­zen Kom­plex auch eine betrieb­li­che Kam­pa­gne star­ten, um die Kolleg:innen zu infor­mie­ren. Die Gewerk­schaft ver.di hat dazu einen tol­len Rea­der her­aus­ge­ge­ben!
3.) Des­wei­te­ren, ganz zen­tral und not­wen­dig: den Beschäf­tig­ten muss über­haupt erst ein­mal klar gemacht wer­den, wel­che Rechte sie sel­ber, und wel­che Rechte die MAV hat!
Das Erschre­ckende und Erschüt­ternde ist doch, dass die Kolleg:innen kaum etwas dar­über wis­sen. Kün­di­gun­gen, Krank­mel­dun­gen und die Schreie­reien gegen­über Lei­tun­gen haben oft darin ihr Ursa­che. Wie man/frau sich ratio­nal, begrün­det und erfolg­reich gegen­über Zumu­tun­gen wehrt, ist sel­ten wirk­lich annä­hernd umfang­reich befrie­di­gend bekannt.
Immer wie­der kön­nen zunächst junge Kolleg:innen die Kon­flikte, den Stress und den Druck durch Lei­tun­gen über­haupt nicht ein­ord­nen («Haben die etwas gegen mich?»). Und das ist auch kein Wun­der. Denn es gibt sie schon lange nicht mehr, die sozi­al­de­mo­kra­ti­schen (und die sozia­lis­ti­schen / kom­mu­nis­ti­schen) Milieus, in denen man als Arbei­ter­kind groß wird und auf­grund des­sen man die Aus­ein­an­der­set­zun­gen im Betrieb als ursäch­lich durch den Gegen­satz von Kapi­tal und Arbeit bedingt zu sehen ver­steht. Wo man schnell begreift, sich zu posi­tio­nie­ren und Kon­flikte im Betrieb rich­tig iden­ti­fi­ziert. Nie­mand wächst mehr auf wie bei­spiels­weise Kurt Bach­mann (3), dem sein sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Vater ein­mal sagte: «Wenn du Über­stun­den machst, brauchst du gar nicht mehr nach Hause zu kom­men. Ein Arbei­ter ver­dient sei­nen Lebens­un­ter­halt in acht Stun­den, und wenn es nicht reicht, dann kämpft er für mehr Lohn.»
Und es gibt auch schon seit Jahr­zehn­ten nicht mehr gesell­schaft­lich eine Matrize, eine Folie im Hin­ter­grund, eine für alle wahr­nehm­bare, unmit­tel­bare The­ma­ti­sie­rung von Eigen­tums- und Klas­sen­ver­hält­nis­sen, sodass man eigene Erfah­run­gen ein­ord­nen kann. (3) (4) Schlim­mer noch, die Lebens­wirk­lich­kei­ten von Arbei­tern und ihren Fami­lien sind nicht (mehr) Teil der selbst­be­wuss­ten, star­ken, empowern­den, gemein­sa­men Reflek­tion in einer eige­nen Kul­tur (6) – wer­den öffent­lich so gut wie negiert, allen­falls ver­ächt­lich dis­kri­mi­niert (7). Klasse sei, so Prof. Dr. Nicole Mayer-Ahuja, in der BRD der Ele­fant im Raum, «der eigent­lich nicht zu über­se­hen ist, aber tot­ge­schwie­gen wird.»
4.) Aus all die­sen Grün­den ist es unbe­dingt erfor­der­lich, dass die MAV mehr infor­miert! Auch über die 5 Fel­der der Mit­be­stim­mung im Betrieb; dar­über, wo es starke Mit­be­stim­mungs­rechte gibt. Gerade nicht weni­gen Kolleg:innen ursprüng­lich aus dem Aus­land ist «Betriebs­rat» fremd.
Übri­gens auch «Gewerk­schaft» («Was meinst du mit ver.di?»). Natür­lich muss da eine MAV neu­tral sein; aber es sollte offen­siv auch Mate­rial von ver.di genutzt wer­den anstatt wie häu­fig üblich (z.B.) in der Dia­ko­nie der hand­zah­men Mit­mach­falle VKM den Vor­tritt zu las­sen. Auf einer Betriebs­ver­samm­lung kann auch über Funk­tion und Bedeu­tung von Gewerk­schaft infor­miert wer­den. Erschre­ckend: es gibt immer wie­der Kolleg:innen, die mei­nen, wenn sie kirch­lich arbei­ten, dann dür­fen sie nicht Mit­glied in einer Gewerk­schaft sein. Die MAV der Kir­chen kann doch auch einen Ver­tre­ter von ver.di als Sach­ver­stän­di­gen zu einem Vor­trag zu einem bestimm­ten Thema auf eine Betriebs­ver­samm­lung ein­la­den.
Nur wenn die Kolleg:innen eine Grund­lage haben, könn­ten sie doch begrün­det sagen, was sie für Vor­schläge an die Arbeit der MAV haben! BR- bzw. MAV-Arbeit sollte im Vor­der­grund für jede(n) Kolleg:in im All­tag einen Nut­zen haben, weil sie kon­kret ist.
Sonst ist sie eine Mit­mach­falle für die Kolleg:innen, die zur Wahl gehen.
Es ist erschre­ckend, dass es aus vie­len MAVs her­aus über­haupt keine trans­pa­rente Infor­ma­ti­ons­ar­beit gegen­über den Kolleg:innen gibt. Obwohl sie natür­lich das Recht haben, las­sen sich Mit­ar­bei­ter­ver­tre­te­rin­nen mei­ner eige­nen Erfah­rung nach in Köln häu­figst so gut wie gar­nicht vor Ort bei den Kolleg:innen bli­cken. Wenn es über­haupt ein schwar­zes Brett gibt, dann feh­len aktu­elle Infos (Tarif­in­fos, Urteile, Aktu­el­les zum Arbeits­schutz usw., usf.!); aktu­elle MAV-Infos in den Fächern der Kolleg:innen. Mit­un­ter fehlt auch die Ein­rich­tung einer Sprech­stunde für die Kolleg:innen.
Eine trans­pa­rente Infor­ma­ti­ons­po­li­tik gegen­über den Beschäf­tig­ten ist Teil der Kom­mu­ni­ka­tion mit der Beleg­schaft; damit, und indem sich die MAV in den kon­kre­ten Arbeits­all­tag der Kolleg:innen mit­be­stim­mend ein­mischt, bringt sie doch diese hin­ter sich und stärkt ihre Posi­tion gegen­über der Geschäfts­lei­tung!
Wer sich nun aber an die­sem Punkt grund­sätz­li­cher die Situa­tion der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tun­gen im Bereich der Kir­chen anschaut, stößt zunächst unwei­ger­lich auf Fried­rich Fürs­ten­bergs Ana­lyse von 1958: «Der Betriebs­rat, Struk­tur­ana­lyse einer Grenz­in­sti­tu­tion».
Auch wenn viel­leicht viele Kol­le­gin­nen den Betriebs­rat als eine Ein­rich­tung «für uns» anse­hen, ist er das eben mit­nich­ten:
„Schon Fried­rich Fürs­ten­berg (1958) beschrieb den Betriebs­rat Ende der 1950er Jahre aber als eine pro­ble­ma­ti­sche «Grenz­in­sti­tu­tion». Die Posi­tion des Betriebs­rats im Sys­tem der betrieb­li­chen Arbeits­be­zie­hun­gen ist dadurch gekenn­zeich­net, dass er in einem Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen den Erwar­tun­gen der Unter­neh­mens­lei­tung einer­seits und der Beleg­schaft ande­rer­seits steht. Der Betriebs­rat ist kein lupen­rei­ner Ver­tre­ter von Arbeit­neh­mer­inter­es­sen, son­dern viel­mehr eine «inter­me­diäre Insti­tu­tion“ (Mül­ler-Jentsch 1995). Er muss zwei gegen­sätz­li­che Inter­es­sensphä­ren und unter­schied­li­che Hand­lungs­lo­gi­ken verknüpfen.»(8; Her­vor­he­bung durch uns.) Und: Der Betriebs­rat ist «nicht bloß der Reprä­sen­tant der Beleg­schafts­in­ter­es­sen, son­dern nimmt die Rolle eines Bin­de­glieds zwi­schen den drei Par­teien Beleg­schaft, Geschäfts­füh­rung und Gewerk­schaft ein. Zu jeder der drei Par­teien unter­hält der Betriebs­rat eine eigen­stän­dige Bezie­hung, die mit eige­nen Pro­blem­la­gen ver­knüpft ist.» (9)
Damit ist aber auch klar, dass man sich immer genau anschauen und kri­tisch hin­ter­fra­gen muss, was der Betriebs­rat macht; es braucht eine kri­ti­sche Soli­da­ri­tät – und instink­tiv gehen die Kol­le­gin­nen ja auch prak­tisch so vor, dass sie sich genau anschauen, was die ein­zel­nen Kol­le­gin­nen im BR so machen.
Wenn aber für Fürs­ten­berg der Betriebs­rat zwi­schen Beleg­schaft, Geschäfts­füh­rung und Gewerk­schaft sitzt, dann ist die Situa­tion im Bereich von Cari­tas und Dia­ko­nie noch schwie­ri­ger - hier wird nach ein­ge­schränk­te­rer Mit­be­stim­mung und Tarif­fin­dung über den sog. «drit­ten Weg» gear­bei­tet; man nimmt Gewerk­schaf­ten ihre Haupt­auf­gabe, die Tarif­ge­stal­tung. Pflege im Bereich der Kir­chen tut so, als sei sie Enklave, sepa­riert, nicht zuge­hö­rig. Das ist schon des­halb kom­plett irre, weil die Kir­chen der zweit­größte Arbeit­ge­ber in Deutsch­land sind.
Doch es herrscht auch im Innern eine hoch­ar­ro­gante bür­ger­li­che Betriebs­kul­tur des Sepa­rie­rens («Wir sind Kir­che.»), Aus­druck auch der Ideo­lo­gie der «Dienst­ge­mein­schaft», die die Kir­chen aus der Nazi­zeit in die BRD rüber ret­te­ten. Nicht wenige Kol­le­gin­nen neh­men zumin­dest Ver­satz­stü­cke die­ser Selbst­sti­li­sie­run­gen unhin­ter­fragt oder unbe­wusst in ihren Arbeits­all­tag mit hin­ein («Dür­fen wir denn über­haupt Mit­glied bei ver.di sein?»)
So soll Gewerk­schaft zusätz­lich mar­gi­na­li­siert wer­den. Und auch das Selbst­ver­ständ­nis der MAVen bewegt sich lei­der oft im Rah­men kirch­lich gesetz­ter Ideo­lo­geme («Wir haben unsere eigene Gewerk­schaft, den VKM.»).
Auch hier gilt also das Hin­ter­fra­gen, die kri­ti­sche Soli­da­ri­tät mit der MAV. Beleg­schaf­ten im kirch­lich-pfle­ge­ri­schen müs­sen des­halb in die Lage gebracht wer­den, sich ihrer Mög­lich­kei­ten im Betrieb bewusst zu wer­den, gegen die Pra­xis von Lei­tun­gen anzu­ge­hen, und koope­ra­ti­ven, kon­flikt­ver­mei­den­den MAVen zumin­dest kri­ti­sche Fra­gen zu stel­len. Dazu braucht es Impulse von Außen – könn­ten diese von ver.di kom­men?
Hier sei hier noch­mals auf die Alten­pfle­ge­rin Manuela Frit­sche ver­wie­sen, die im erwähn­ten Inter­view mit dem ND äußerte: «Nach­dem ich aber gemerkt habe, dass man in Lei­tungs­po­si­tio­nen ein Arsch­loch sein muss, dachte ich: Das ist nicht meins.» (10) Es ist ver.dis Phi­lo­so­phie, dass «alle zusam­men» in eine Gewerk­schaft gehö­ren; Lei­tun­gen wie die Pflege. Mit ande­ren Wor­ten also: Arsch­lö­cher und ihre aus­ge­beu­te­ten Alten­pfle­ge­rin­nen zusam­men. Zum ande­ren stützt sich ver.di auf Betriebs­räte bzw. Mitarbeitervertreter:innen – also mit­hin im kirch­lich-pfle­ge­ri­schen Bereich auf Struk­tu­ren, die sich aus mei­ner Sicht zu nah und zu gern in die kirch­li­che Cor­po­rate Iden­tity ein­bin­den las­sen.
Wir brau­chen aber das Empower­ment von Beleg­schaf­ten, zumin­dest Schritte dahin – und die Kon­zen­tra­tion auf kri­ti­sche Betriebs­räte, die in ihrer all­täg­li­chen Pra­xis, kon­kret, im unmit­tel­ba­ren Arbeits­all­tag, für die Kol­le­gin­nen da sein wol­len. Für Gewerk­schaft würde das aus mei­ner Sicht bedeu­ten, die kirch­lich-pfle­ge­ri­schen Rea­li­tä­ten anzu­er­ken­nen und das Orga­ni­sie­ren von Kol­le­gin­nen von Außen in den Vor­der­grund zu rücken.
Denn ich erlebe immer wie­der im kirch­lich-pfle­ge­ri­schen Bereich eine Situa­tion wie im Früh­ka­pi­ta­lis­mus – nicht die Ver­elen­dung oder die Recht­lo­sig­keit, aber die all­täg­li­che Hilf­lo­sig­keit der Kol­le­gin­nen ange­sichts des Klas­sen­kampfs von Lei­tun­gen gegen sie betreffend.

Die Situa­tion ist erschre­ckend und nicht hinnehmbar.

Jeka­te­rina Belilowa

Anmer­kun­gen:
(1) https://wikiless.org/wiki/Mitarbeitervertretung?lang=de
(2) https://www.nd-aktuell.de/artikel/1141058.betriebsrat-es-geht-nicht-
immer-nur-um-satt-und-sauber.html
(3) https://wikiless.org/wiki/Kurt_Bachmann?lang=de
(4) https://taz.de/Soziologin-ueber-soziale-Ungerechtigkeit/!5789872/
(5) Prof. Dr. Nicole Mayer-Ahuja in: Zeit­schrift Mar­xis­ti­sche Erneue­rung,
Nr. 116, Dezem­ber 2018, S.14.
(6) https://www.suhrkamp.de/buch/didier-eribon-rueckkehr-nach-reims-t-
9783518072523
(7) https://www.tvnow.de/shows/hartz-und-herzlich-10617
(8) https://de.readkong.com/page/der-betriebsrat-als-co-manager-chancen-
risi­ken-und-8261963
(9) «Orga­ni­zing und Betriebs­räte»; Diplom­ar­beit von Moritz Lange an der
FU Ber­lin, 2009. Lei­der im Netz nicht mehr auf­find­bar.
(10) https://www.nd-aktuell.de/artikel/1141058.betriebsrat-es-geht-nicht-
immer-nur-um-satt-und-sauber.html


Einige Anmer­kun­gen zur Situa­tion und Pra­xis von Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tun­gen in der Pflege