Sumpf und Seuche

13.04.2021 | Refe­rat auf der Kreisvorstandssitzung

Bis zum 26. Sep­tem­ber kommt noch Vie­les ins Rutschen

Arche­gos Capital

Der Arche­gos­au­rus lebte wäh­rend des Kar­bon, des Perm und der Trias, also vor 300 bis 200 Mil­lio­nen Jah­ren, ver­fügte über eine lange Schnauze und ähnelte, obgleich er nicht gepan­zert war, heu­ti­gen Kro­ko­di­len. Nicht ganz klar ist, ob die­ses Vieh der Ahne heu­ti­ger Amphi­bien oder nur aus­ge­stor­ben ist.

Eben­so­we­nig ist klar, was sich der Eigen­tü­mer des Hedge­fonds gedacht hat, als er ihm den Namen Arche­gos gab. Es han­delt sich um den gebür­ti­gen Korea­ner Bill Hwang. Der Zusam­men­bruch sei­nes Hedge­fonds Ende März sorgt bei eini­gen gro­ßen Ban­ken für gewal­tige Schä­den. Die Schwei­zer Groß­bank Cre­dit Suisse bezif­fert ihren Ver­lust mit 4,4 Mil­li­ar­den Fran­ken, also vier Mil­li­ar­den Euro. Die japa­ni­sche Bank Nomura ver­liert zwei Mil­li­ar­den Dollar.

Aber es gibt wei­tere Ban­ken, die dem Hedge­fonds Geld für Akti­en­käufe gelie­hen hat­ten und die nun­mehr Mil­li­ar­den abschrei­ben müssen.

Hedge­fonds hebeln gerne, das heißt, sie spe­ku­lie­ren mit dem Geld ande­rer Leute. Arche­gos nutzte dafür bevor­zugt soge­nannte Dif­fe­renz­kon­trakte, CfDs. Das sind Deri­vate, mit denen auf Kurs­än­de­run­gen gewet­tet wird. Vor­geb­lich wer­den mit CfDs Kurs­schwan­kun­gen abge­si­chert, tat­säch­lich aber wird spe­ku­liert – mit den Risiko erheb­li­cher Nach­schuss­pflich­ten. Es müs­sen Sicher­hei­ten hin­ter­legt wer­den. Aktien die­nen als Pfand. Im Falle von Kurs­ver­lus­ten beei­len sich die Ban­ken mit der Ver­kauf der hin­ter­leg­ten Papiere, sobald es der Schuld­ner ver­säumt, wei­tere Wert­pa­piere nach­zu­schie­ßen. Es gilt: wer zuerst kommt, mahlt zuerst.

Aus Grün­den, die ich nicht kenne, waren in der Woche nach dem 22. März die Aktien des US-Medi­en­un­ter­neh­mens namens Via­comCBS nach star­ken Kurs­ge­win­nen plötz­lich ein­ge­bro­chen. Gold­man Sachs und Mor­gan Stan­ley beeil­ten sich, ver­pfän­dete Papiere im Wert von 20 Mil­li­ar­den Dol­lar auf den Markt zu wer­fen. Gold­man Sachs ver­hö­kerte noch am Frei­tag, den 26. März, Aktien von Baidu, Ten­cent Music Enter­tain­ment und Vip­shop Hol­dings im Wert von 6,6 Mil­li­ar­den Dol­lar und Aktien von Via­com CBS und Iqiyi im Volu­men von 3,9 Mil­li­ar­den Dol­lar. Mor­gan Stan­ley warf wenige Stun­den spä­ter Aktien von Far­fetch, Dis­co­very, Baidu und GSX Techedu im Wert von rund 13 Mil­li­ar­den Dol­lar auf den Markt. In der Presse wurde das kom­men­tiert als eine Aktion nach dem Motto: «Rette sich, wer kann». Andere Ban­ken hat­ten das Nach­se­hen, denn der­ar­tige Aktio­nen beschleu­ni­gen den Wertverfall.

Die japa­ni­sche Bank Nomura schätzt ihren Ver­lust auf zwei Mil­li­ar­den Dol­lar. Ihr Akti­en­kurs der Nomura Hol­dings fiel um 16 Pro­zent. Der Cre­dit Suisse ging es ebenso. Ihr Kurs rauschte am Mon­tag, 29. März, eben­falls um 16 Pro­zent nach unten. Für die Schwei­zer Bank ist die Arche­gos-Affäre schon das zweite Desas­ter inner­halb weni­ger Tage. Anfang März hatte sie begon­nen, vier zusam­men mit Greens­ill Capi­tal betrie­bene Lie­fer­ket­ten-Finan­zie­rungs-Fonds abzu­wi­ckeln. Gesamt­vo­lu­men zehn Mil­li­ar­den Dol­lar. Noch ist nicht klar, was davon übrig bleibt, ebenso, ob und wie die Cre­dit Suisse die Inves­to­ren ent­schä­di­gen wird.

Einige Ver­öf­fent­li­chun­gen ver­glei­chen die Affäre mit dem Zusam­men­bruch des Hedge­fonds LTCM (Long-Term Capi­tal Manage­ment) im Jahr 1998. Aller­dings hatte diese Krise eine andere Grö­ßen­ord­nung. Damals ver­fügte die LTCM über 4 Mrd Dol­lar Eigen­ka­pi­tal. Dem stand ein Port­fo­lio für 125 Mrd Dol­lar als Leer­ver­kauf gegen­über. Die Deri­vate erreich­ten am Ende einen Wert von 1,25 Bil­lio­nen Dol­lar. Beson­ders pein­lich war, dass unter den Direk­to­ren des Hedge­fonds Myron S. Scho­les und Robert Car­hart Mer­ton waren, denen noch 1997 der Nobel­preis für Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten ver­lie­hen wor­den war. Die Gefahr für das inter­na­tio­nale Finanz­sys­tem konnte erst durch eine Ret­tungs­ak­tion der FED abge­wen­det wer­den. Alan Green­span senkte die Leit­zin­sen. Die LTCM bekam fri­sches Kapi­tal in Höhe von ins­ge­samt 3,75 Mrd Dol­lar und eine neue Geschäfts­füh­rung. Im Jahr 2000 wurde der Fonds auf­ge­löst. In der Arche­gos-Krise ver­bren­nen, wenn man den Zei­tun­gen glau­ben darf, etwa 50 Mrd Dol­lar. Aber die Affäre ist noch nicht ausgestanden.

Greens­ill

Am 3. März wurde die Bre­mer Greens­ill Bank durch die Finanz­auf­sicht geschlos­sen. Bei Greens­ill han­delt sich um den deut­schen Able­ger des gleich­na­mi­gen bri­tisch-aus­tra­li­schen Finanz­in­sti­tuts. Die Bank hatte sich auf kurz­fris­tige Finan­zie­rungs­lö­sun­gen spe­zia­li­siert, über­nahm einer­seits Rech­nun­gen von klam­men Unter­neh­men, ande­rer­seits ver­sprach sie unge­wöhn­lich hohe Zin­sen und sam­melte in gro­ßem Stil Ein­la­gen ein. Methode Schneeball.

2019 war die Bilanz­summe gera­dezu explo­diert und um 472 Pro­zent auf gut 3,8 Mil­li­ar­den Euro gestie­gen. Ende 2020 waren es nach BaFin-Anga­ben dann rund 4,5 Mil­li­ar­den Euro. Auch die Kun­den­ein­la­gen hat­ten sich von 2018 auf 2019 fast von knapp 582 Mil­lio­nen Euro auf über 3,2 Mil­li­ar­den Euro versechsfacht.

Wir kön­nen davon aus­ge­hen, dass drei Mil­li­ar­den Euro durch die Ein­la­gen­si­che­rung gedeckt sind. Aber 500 Mil­lio­nen Euro sind es nicht. Zahl­rei­che Kom­mu­nen sind betrof­fen. Ganz oben ran­giert das Land Thü­rin­gen mit 50 Mio Euro. Dann folgt schon Mon­heim mit 38 Mio, Esch­born mit 35 Mio, Wies­ba­den mit 20 Mio Euro. Und so wei­ter. 38 Kom­mu­nen wol­len gemein­sam um ihr Geld kämpfen.

Köln hängt zwei­fach drin. Die Ein­la­gen von Gesell­schaf­ten des Stadt­werke-Kon­zerns wer­den die­sen zwar erstat­tet. Die Büh­nen der Stadt Köln aber gehen leer aus. Sie hat­ten in zwei Tran­chen jeweils 7,5 Mil­lio­nen Euro kurz­fris­tig als Fest­geld ange­legt, um Nega­tiv­zin­sen zu ver­mei­den. Das Geld ist weg.

Zum Ver­gleich: Als wir im Jahr 2013 gegen Bür­ger­zen­tren und ande­ren sozia­len Ein­rich­tun­gen dro­hende Spar­maß­nah­men abwen­den konn­ten, ging es um 20 Mil­lio­nen Euro.

Wire­card

Wire­card war ein bör­sen­no­tier­ter deut­scher Zah­lungs­ab­wick­ler und Finanz­dienst­leis­ter mit Bank­li­zenz. Irgend­wann fehl­ten 1,9 Mil­li­ar­den Euro. Im Juni ver­gan­ge­nen Jah­res mel­dete Wire­card Insol­venz an. Es geht um Betrug. Chef Mar­kus Braun ist in Haft, Vor­stands­mit­glied Jan Mar­sa­lek flüchtig.

Dol­phin

Eine andere schöne Geschichte ging eben­falls im ver­gan­ge­nen Juni zu Ende. Ges­tern berich­tete die ARD spät abends in einer Repor­tage davon. Unweit von Sass­nitz auf Rügen liegt die Ruine des Her­ren­hau­ses von Gut Lan­cken. Urspüng­li­cher Eigen­tü­mer von Schloss Dwasie­den war Ban­kier Adolph von Han­se­mann (1826−1903) gewe­sen. Adolph war der Sohn von David Han­se­mann, im Revo­lu­ti­ons­jahr 1848 preu­ßi­scher Finanz­mi­nis­ter, 1851 Grün­der der Dis­conto-Gesell­schaft, dem Vor­gän­ger-Insti­tut der Deut­schen Bank.

Nach 1990 mach­ten sich einige Leute Gedan­ken, was man mit die­ser Ruine anfan­gen könnte. Schließ­lich erwarb im Jahr 2018 das Immo­bi­li­en­un­ter­neh­men Dol­phin Capi­tal das Schloss. Preis 18 Mil­lio­nen Euro. Die Mit­tel stamm­ten von aus­län­di­schen Anle­gern. Das Anwe­sen wurde als Belei­hungs­ob­jekt genutzt. Das Unter­neh­men ließ für Dwasie­den Grund­schul­den von 117 Mil­lio­nen Euro ins Grund­buch ein­tra­gen. Ähn­lich ver­fuhr es mit wei­te­ren 60 bis 100 Immo­bi­lien und Grundstücken.

Schon im Juli 2020 mel­dete das Unter­neh­men, mitt­ler­weile umbe­nannt in Ger­man Pro­perty Group, Insol­venz an. Grün­der und Geschäfts­füh­rer des Unter­neh­mens ist Charles Sme­thurst. Er geriet zwar bald wegen Ver­dachts auf Insol­venz­ver­schlep­pung und Kapi­tal­an­la­ge­be­trug ins Visier der Staats­an­walt­schaft Han­no­ver. Die aber ließ sich Zeit. Sme­thurst hat offen­bar nur klei­nere Anle­ger aufs Kreuz gelegt.

Schät­zungs­weise eine Mil­li­arde Euro sind im Aus­land ein­ge­wor­ben wor­den, vor­wie­gend in Groß­bri­tan­nien. Ihnen wur­den Pläne vor­ge­legt, nach denen aus den denk­mal­ge­schütz­ten Immo­bi­lien auf­wen­dige Wohn­an­la­gen wer­den soll­ten. Den Anle­gern stellte Sme­thurst Ren­di­ten von 15 Pro­zent jähr­lich in Aus­sicht. Die vor­han­de­nen Immo­bi­lien und Grund­stü­cken gal­ten als Sicher­heit. Zur Ger­man Pro­perty Group gehö­ren mehr als 200 Gesell­schaf­ten. Aller­dings ist das Fir­men­ge­flecht noch nicht voll­stän­dig aufgedröselt.

Grenke

Grenke ist ein Finanz­dienst­leis­ter aus Baden-Baden. Das Kern­ge­schäft der Akti­en­ge­sell­schaft ist Lea­sing von Pro­duk­ten der Büro­kom­mu­ni­ka­tion, sie ver­fügt aber auch über eine Bank­li­zenz. Im ver­gan­ge­nen Sep­tem­ber bezich­tigte die Inves­to­ren­gruppe Vice­roy Rese­arch um den Leer­ver­käu­fer Fraser Per­ring, die schon vor Wire­card gewarnt hatte, Grenke der Bilanz­fäl­schung und der Bei­hilfe zur Geld­wä­sche. Ein gro­ßer Anteil der als flüs­sig aus­ge­wie­se­nen Mit­tel in Höhe von einer Mil­li­arde Euro exis­tiere nicht. Der Fall Grenke ist noch nicht ausgestanden.

Game­stop

Die Geschichte um Game­stop hatte ich schon am 6. Februar erzählt, das wie­der­hole ich heute nicht.*

Mir geht es hier nicht um Moral, wie ihr Euch den­ken könnt. Die ist in die­sen Fäl­len ohne­hin im Eimer. Aber sie beleuch­ten anschau­lich, was pas­siert, wenn vor dem Hin­ter­grund von Über­pro­duk­tion Kapi­tal, dem die Ent­wer­tung droht, ver­geb­lich nach pro­fi­ta­blen Anla­ge­mög­lich­kei­ten sucht. Wenn es nicht in ren­ta­ble Pro­duk­tion inves­tiert wer­den kann, wird es nicht ver­wer­tet, son­dern ver­wet­tet. Die Folge ist eine wach­sende Labi­li­tät des Finanz­markts. Es dro­hen Crashs in unge­kann­ter Größenordnung.

Bekannt­lich hat Corona die Über­pro­duk­ti­ons­krise seit Beginn des ver­gan­ge­nen Jah­res noch veschärft. Das drückt sich auch im expo­nen­ti­el­len Wachs­tum der Schul­den aus.

Glo­bal Debt

Das Insti­tute of Inter­na­tio­nal Finance hat im Februar die Höhe der Welt­schul­den für das Jahr 2020 auf 281 Bil­lio­nen Dol­lar taxiert. Das sind 355% des Welt-Brut­to­in­lands­pro­dukts (BIP). 24 Bil­lio­nen Dol­lar mehr als im Jahr zuvor und 35% mehr als die Vor­jah­res­quote. Im ver­gan­ge­nen Jahr betrug das Welt-BIP 84 Bil­lio­nen Dol­lar. Die neuen Schul­den von 24 Bil­lio­nen Dol­lar ent­spre­chen 28,6% des letzt­jäh­ri­gen Welt-BIPs. Die Schul­den­kurve ragt so steil wie nie. Diese Schul­den reprä­sen­tie­ren indes Ansprü­che. Sie wol­len ver­zinst wer­den. Es ist Geld­ka­pi­tal, das sich ren­tie­ren muss. Es drängt auf Verwertung.

Nun ist in Deutsch­land im Jahr 2020 das BIP um 4,9% auf 3.332 Mrd Euro gesun­ken. Die Pro­duk­ti­vi­tät pro Erwerbs­tä­ti­gen-Stunde fiel um 0,2%. Exporte und Importe bra­chen ein. Der Welt­han­del redu­zierte sich schon 2019 um 0,4%, ver­lor im Jahr 2020 sogar 6,6% sei­nes Umfangs. Im Euro­raum fehl­ten 11,3% bei den Expor­ten, 9,8% bei den Impor­ten. In Deutsch­land betra­gen die ent­spre­chen­den Werte Minus 9,3% bzw. Minus 7,1%. Wir erle­ben eine der ein­schnei­dends­ten Kri­sen. Nun hän­gen aber 28% der deut­schen Arbeits­plätze direkt oder indi­rekt vom Export ab.

Die sozia­len Wir­kun­gen die­ser Abhän­gig­keit wer­den gegen­wär­tig noch durch Kurz­ar­beit gedämpft. Im April 2020 waren 6 Mio in Kurz­ar­beit, 2 Mio noch im Okto­ber. Mitt­ler­weile sind wir wie­der bei 3 Mio. Zum Ver­gleich: Auf dem Höhe­punkt der Finanz­krise 2009 waren es 1,5 Mio. Die Arbeits­lo­sig­keit ist auf 2,8 Mio gestiegen.

Dro­hende Kreditausfälle

Im Mai ver­gan­ge­nen Jah­res, zum Zeit­punkt unse­rer Kreis­mit­glie­der­ver­samm­lung im Bür­ger­zen­trum Stollwerck, galt noch die Insol­venz­an­trags­pflicht bei Über­schul­dung. Die Befrei­ung von die­ser Pflicht führte in der Folge dazu, dass Betriebe trotz Über­schul­dung wei­ter­ma­chen konn­ten. Das Bun­des­ka­bi­nett hat im Januar die Befrei­ung von der Insol­venz­an­trags­pflicht ein wei­te­res Mal ver­län­gert, bis zum 30. April. Die Insol­venz­pflicht im Falle von Über­schul­dung wird ab 1. Mai wie­der in Kraft tre­ten. Ange­sichts des­sen kün­digte die Köl­ner IHK-Prä­si­den­tin Nicole Grü­ne­wald für April oder Mai die Stunde der Wahr­heit an. Das heißt, dass die Auf­lö­sung des Insol­venz­staus zu geball­ten Kre­dit­aus­fäl­len füh­ren und Ban­ken gefähr­den wird. Womög­lich las­sen sich aber die Wahl­kämp­fer von CDU und SPD bis zur Bun­des­tags­wahl am 26. Sep­tem­ber einen wei­te­ren Auf­schub einfallen.

Scho­nung der Industrie

Unter­des­sen bie­ten Kanz­le­rin und Minis­ter­prä­si­den­ten der stau­nen­den Öffent­lich­keit ein Bild der Hilf­lo­sig­keit gegen­über den wach­sen­den Corona-Infek­tio­nen. Vor allem fällt mitt­ler­weile die Scho­nung der Indus­trie auf. Es wer­den zwar pri­vate Kon­takte durch Coro­naschutz­ver­ord­nun­gen klein­lichst gere­gelt, aber gegen­über der Indus­trie scheint noch nicht ein­mal eine Test­pflicht durch­setz­bar. Moni­tor berich­tete am ver­gan­ge­nen Don­ners­tag (8. April) von Aus­brü­chen in der Industrie:

«Ibben­bü­ren, Mitte März: Beim Logis­tik-Dienst­leis­ter Fiege wer­den mehr als 100 Mit­ar­bei­ter posi­tiv auf das Corona-Virus getes­tet. Papen­burg, Ende März: Bei der Meyer-Werft mel­den die Gesund­heits­be­hör­den mehr als 200 Corona-Fälle bei Stamm­be­leg­schaft und Sub­un­ter­neh­men. Osna­brück, Mitte Februar: Beim Spei­se­eis­her­stel­ler Fro­neri steht die Pro­duk­tion nach einem Corona-Aus­bruch still – mehr als 200 Beschäf­tigte hat­ten sich infi­ziert. Drei Aus­brü­che, die erneut zei­gen, was eigent­lich lange bekannt ist: Tests sind wich­tig, denn so wur­den die Aus­brü­che ent­deckt. Und, der Arbeits­platz ist ein rele­van­ter Infek­ti­ons­trei­ber. Er liegt laut RKI – nach dem pri­va­ten Umfeld – auf Platz zwei der Infektionsherde.»

Wochen zuvor hatte die Köl­ni­sche Rund­schau von der Firma Miele in Eus­kir­chen berich­tet. Die Pro­duk­tion musste wegen Corona zeit­weise gestoppt wer­den mit der Folge, dass wei­tere Betriebe, die auf Moto­ren aus Eus­kir­chen ange­wie­sen waren, die Bän­der anhal­ten mussten.

In der Dezem­ber­aus­gabe der DrP haben wir gesagt:

«Die Infek­ti­ons­zah­len stei­gen trotz Coro­naschutz­ver­ord­nung. Für die Aus­brei­tung der Pan­de­mie ist nicht der Kul­tur- und Frei­zeit­be­reich ver­ant­wort­lich. Viel­mehr sind das Schu­len, Kin­der­gär­ten, Nah­ver­kehr und Betriebe, wo der Min­dest­ab­stand unter­schrit­ten wer­den darf und eigene Rege­lun­gen für das Tra­gen der All­tags­maske gel­ten. Die Unver­hält­nis­mä­ßig­keit fällt mitt­ler­weile auf. Geschützt wird die Pro­duk­tion, genauer: die Mehrwertproduktion.»

Nach den Beschlüs­sen der Minis­ter­prä­si­den­ten­kon­fe­renz (MPK) im Januar konnte BDI-Prä­si­dent Russ­wurm erleich­tert mit­tei­len: Anders als von den Ver­fech­tern einer Zero­Co­vid-Stra­te­gie ver­langt, könne die Arbeit in den Fabri­ken vor­erst wei­ter­lau­fen. Er warnte auch die Regie­rung davor, Gren­zen ein­sei­tig zu schlie­ßen. Die Waren­ströme müss­ten in Europa wei­ter fließen.

Das Oster­de­ba­kel

Nach der MPK in der Nacht zum 23. März kom­men­tiert FAZ-Mit­her­aus­ge­ber Bert­hold Koh­ler «Das Osterdebakel»:

«Der Beschluss zur ver­län­ger­ten Oster­ruhe war so wenig durch­dacht, dass er nicht rea­li­sier­bar gewe­sen wäre, wie meh­rere Minis­ter­prä­si­den­ten sag­ten, die wie die ganze Runde dem Vor­schlag zuge­stimmt hat­ten. Das Echo auf ihn, ins­be­son­dere aus der Wirt­schaft, war ver­hee­rend gewe­sen. Von dort kam nun Lob für die Füh­rungs­stärke, die sich in der Rück­nahme zeige.»

Der Beschluss zur «Oster­ruhe» war noch keine 24 Stun­den alt, als er am Diens­tag­abend, 23. März, beim «Auto­gip­fel» auf die Tages­ord­nung kam. Teil­neh­mer waren außer Angela Mer­kel die Bun­des­mi­nis­ter und Regie­rungs­chefs von «Auto­län­dern», etwa Nie­der­sach­sens. Sie dis­ku­tier­ten mit Ver­tre­tern der Auto­in­dus­trie über die zukünf­tige Rolle des Ver­bren­nungs­mo­tors. Es ging angeb­lich um mehr Kli­ma­schutz und um die Zukunft der Auto­mo­bil­in­dus­trie. Aber die Auto­in­dus­trie warnte auch vor den Fol­gen eines «Oster-Lock­down». «Plötz­li­che Betriebs­still­le­gun­gen sind für eine inter­na­tio­nal ver­netzte Wirt­schaft nicht dar­stell­bar», erklärte die Prä­si­den­tin des Ver­ban­des der Auto­mo­bil­in­dus­trie (VDA), Hil­de­gard Mül­ler, noch am Diens­tag­abend. «Lackier­werke und Ener­gie­zen­tra­len sowie vie­les andere mehr kön­nen nicht ein­fach auf Zuruf still­ge­legt wer­den.» Die Bran­che erwarte ver­nünf­tige und an unter­neh­me­ri­sche Akti­vi­tä­ten aus­ge­rich­tete prak­ti­ka­ble Rege­lun­gen, sagte sie.

Am Mitt­woch­vor­mit­tag konnte Frau Mül­ler prompt die Ent­schei­dung der Kanz­le­rin begrü­ßen, den Bund-Län­der-Ent­scheid zur soge­nann­ten Oster­ruhe zu stop­pen: «Einen Feh­ler ein­zu­räu­men, zeugt von Größe».

Auch der Bun­des­ver­band der Arbeit­ge­ber (BDA) hält sich zugute, er habe «sich nach­drück­lich für die Auf­he­bung die­ser recht­lich und orga­ni­sa­to­risch höchst frag­wür­di­gen und gefähr­li­chen ‹Erwei­te­rung der Oster­ru­he­zeit› eingesetzt.»

«Frag­wür­dig» und «gefähr­lich» ist sie aber allen­falls für die Mehr­wert­pro­duk­tion. Tat­säch­lich sind regie­rungs­sei­tig keine Stra­te­gien erkenn­bar, mit der die Pan­de­mie auf­ge­hal­ten wer­den soll. Offen­kun­dig rei­chen die Ein­schrän­kun­gen im Frei­zeit­be­reich nicht aus, solange die indus­tri­elle Pro­duk­tion unge­hin­dert weiterläuft.

Patrick Köbele erklärte am Don­ners­tag: «Die­ses Chaos hat Sys­tem, das Sys­tem heißt Kapi­ta­lis­mus. Die mate­ri­el­len Fol­gen wer­den auf die Arbei­ter, Ange­stell­ten, Arbeits­lo­sen und Rent­ner, auf Jugend­li­che und Kin­der, auf die klei­nen Gewer­be­trei­ben­den und Kul­tur­schaf­fen­den abge­wälzt. Es wird Zeit, sich gemein­sam gegen diese Regie­rung, die allein im Inter­esse der Ban­ken und Kon­zerne han­delt, zu wehren.»

Und so sagen wir:

Run­ter mit den Infi­zier­ten­zah­len! Unter­stützt Zero­Co­vid! Gesund­heit vor Profite!

Aktu­elle Seuchenlage

Offen­bar müs­sen wir, nach allem, was man liest, davon aus­ge­hen, dass mit der Novelle des Infek­ti­ons­schutz­ge­set­zes, die gerade dis­ku­tiert wird, wei­tere Kon­takte im Frei­zeit­be­reich, womög­lich noch in Schu­len und Kin­der­gär­ten, begrenzt wer­den, aber die indus­tri­el­len Infek­ti­ons­herde nicht ein­ge­schränkt werden.

Dabei ver­schärft sich die Lage täg­lich. Nach der gest­ri­gen Mel­dung des Gesund­heits­am­tes gibt es in Köln 2.969 Men­schen, die mit SarsCoV2 infi­ziert sind. Die Mutan­ten wer­den nur in ihrer Gesamt­heit regis­triert. Das sind bis ges­tern 3.748 Fälle der mutier­ten bri­ti­schen Corona-Virus-Vari­ante, 288 Fälle der süd­afri­ka­ni­schen Vari­ante, sie­ben Fälle der bra­si­lia­ni­schen Vari­ante und zwölf Fälle einer Muta­tion der mutier­ten bri­ti­schen Corona-Virus-Vari­ante. Über die Mutan­ten­quote im Ver­hält­nis zum Ursprungs­typ wer­den wir nur unzu­läng­lich auf­ge­klärt. Aber offen­kun­dig stellt sie schon die über­große Mehr­heit der Fälle. Auf der KMV am 6. Februar sag­ten wir:

«Die Seu­chen­be­kämp­fung bleibt halb­her­zig, vor allem wer­den im rest­li­chen Infek­ti­ons­ge­sche­hen tüch­ti­gere, infek­tiö­sere, durch­set­zungs­fä­hi­gere Muta­tio­nen des Virus her­an­ge­züch­tet. Ges­tern wur­den 1068 Infi­zierte in Köln gemel­det, 137 davon mit der bri­ti­schen Virus­va­ri­ante, 74 Fälle sind von der Muta­tion aus Süd­afrika ver­ur­sacht. Das sind zusam­men 20% der Fälle. Diese Quote wird schnell stei­gen. Die Muta­tio­nen wer­den in kur­zer Frist die Ein­däm­mungs­ef­fekte von Lock­down und Imp­fung überholen.

Am Ende wird die Seu­che auch Indus­trie­be­triebe still­le­gen, wenn die gesund­heits­ge­fähr­de­ten Beschäf­tig­ten das nicht zuvor erledigen.»

Der Markt bringt es nicht!

Mit den Kri­sen­fol­gen, zu denen ich den Unwil­len zähle, die Seu­che zu stop­pen und Men­schen­le­ben zu ret­ten, ver­liert das poli­ti­sche Per­so­nal wei­ter an Glaub­wür­dig­keit. dass wir es in Wahr­heit mit dem Wider­spruch von gesell­schaft­li­cher Pro­duk­tion und der pri­va­ten Aneig­nung ihrer Ergeb­nisse zu tun haben, erken­nen immer mehr Men­schen. Pri­va­tes Eigen­tum an Pro­duk­ti­ons­mit­teln steht den Lebens­in­ter­es­sen der Men­schen offen­kun­dig im Wege. Die Ener­gie­kon­zerne las­sen sich die unzu­läng­li­che Reduk­tion von CO2 mit über­höh­ten Prei­sen für die Haus­halts­en­er­gie beloh­nen. Pri­vate Immo­bi­li­en­kon­zerne hal­ten die Woh­nun­gen rar und ver­mie­ten sie über­teu­ert. Die Armut wächst. Immer mehr Geld geht in die Rüs­tung. In der Ukraine wird der Krieg gegen Russ­land vor­be­rei­tet, im Nahen Osten gegen Iran, mit Tai­wan gegen China.

Das neue Ver­samm­lungs­ge­setz, Poli­zei­ge­setze, die Lega­li­sie­rung neuer Über­wa­chungs­me­tho­den, die Auf­rüs­tung von Poli­zei, viel­fäl­tige und wach­sende Hin­weise auf faschis­ti­sche Gesin­nung in den Sicher­heits­ap­pa­ra­ten, der Ver­lust der Kon­trolle über Waf­fen bei Mili­tär und Poli­zei wei­sen auf den reak­tio­nä­ren Staats­um­bau. Extrem rechte Bewe­gun­gen und Coro­na­leug­ner wer­den begüns­tigt. Unter dem Vor­wand, die NPD und andere faschis­ti­sche Orga­ni­sa­tio­nen beob­ach­ten zu müs­sen, finan­ziert der Ver­fas­sungs­schutz mit­tels V‑Leuten just diese Orga­ni­sa­tio­nen, för­dert ihr Ent­ste­hen und hält sie am Leben. Offen­bar hält der kapi­ta­lis­ti­sche Staat für den Fall sozia­ler Unru­hen neben Poli­zei und Mili­tär auch rech­ten Ter­ror in Reserve.

Dem­ge­gen­über ist das Erstar­ken demo­kra­ti­scher und sozia­ler Bewe­gun­gen fäl­lig. Wir brau­chen ein öffent­li­ches Gesund­heits­we­sen mit aus­rei­chen­dem und qua­li­fi­zier­tem Per­so­nal. Gesund­heit vor Pro­fite! Große pri­vate Immo­bi­li­en­kon­zerne gehö­ren in öffent­li­che Hand, ebenso wie Grund und Boden. Woh­nen muss wie­der bezahl­bar sein. Not­wen­dig ist eine Neue Woh­nungs­ge­mein­nüt­zig­keit. Wir kämp­fen gegen Zwangs­räu­mun­gen und Strom­ab­stel­lun­gen. Run­ter mit den Mie­ten und den Prei­sen für Haus­halts­en­er­gie. Ver­ge­sell­schaf­tet die Ener­gie­kon­zerne! Run­ter mit den Prei­sen für öffent­li­che Verkehrsmittel!

Weder Södet noch Lascher!

Klaus, 13. April 2021


Zu Game­stop im
Refe­rat zur Kreis­mit­glie­der­ver­samm­lung
der DKP Köln, 6. Februar 2021