Frank­reich: Rien ne va plus

Demonstration, Fahnen, Transparent.

Hundert­tausende auf der Straße


17.12.2019 |
Seit dem 5. Dezem­ber sind Hun­dert­tau­sende gegen die geplante Ren­ten­re­form auf der Straße ++ Eisen­bahn und Metro ste­hen still ++ LKW-Fah­rer im Streik ++ Regie­rung bleibt unnach­gie­big, Gewerk­schaf­ten kün­den här­te­ren Kampf an ++ Georg Poli­keit infor­miert über die Punkte, an denen sich der Pro­test entzündet.

Eine sol­che Situa­tion in Deutsch­land ist für die meis­ten Deut­schen kaum vor­stell­bar: ein seit fast 14 Tagen anhal­ten­der lan­des­wei­ter Streik der Eisen­bah­nerin­nen und Eisen­bah­ner legt den Per­so­nen- und Güter­ver­kehr weit­ge­hend lahm. Und par­al­lel dazu über den glei­chen Zeit­raum eine weit­ge­hende Still­le­gung des öffent­li­chen Nah­ver­kehrs in den meis­ten Groß­städ­ten und Bal­lungs­ge­bie­ten, ein­schließ­lich des gesam­ten Vor­ort­ver­kehrs. Plus drei­mal in die­sen 14 Tagen Hun­dert­tau­sende auf den Stra­ßen bei Demons­tra­tio­nen der Gewerk­schaf­ten, eben­falls ver­bun­den mit Streiks in vie­len Betrie­ben und Büros, im gesam­ten Schul- und Bil­dungs­we­sen, bei Kin­der­ta­ges­stät­ten, in Kran­ken­häu­sern und ande­ren medi­zi­ni­schen Ein­rich­tun­gen, bei Elek­tri­zi­täts­wer­ken, Raf­fi­ne­rien und Treib­stoff­de­pots, in den See­hä­fen und im Stra­ßen­gü­ter­ver­kehr, in vie­len staat­li­chen und kom­mu­na­len Dienst­stel­len, bei Anwäl­ten und Gerichten.

Da darf man die soziale Pro­test­be­we­gung, die die Fran­zö­sin­nen und Fran­zo­sen seit dem 5. Dezem­ber gezeigt haben, wohl doch schon als außer­ge­wöhn­lich bezeich­nen. Und es sieht alles danach aus, dass diese Bewe­gung auch über die Fei­er­tage anhal­ten wird, es mög­li­cher­weise zu Weih­nach­ten nur ein­ge­schränk­ten Zug­ver­kehr geben kann und die Bewe­gung Anfang des neuen Jah­res viel­leicht mit ver­stärk­ter Kraft fort­ge­setzt wer­den wird.

Der letzte Stand am 16. Dezem­ber war, dass auch am letz­ten Wochen­ende (14./15 Dezem­ber) und am Mon­tag­vor­mit­tag (16.12.) der Streik bei der Eisen­bahn weit­hin anhielt. Die Direk­tion der Staats­bahn SNCF hatte trotz aller Bemü­hun­gen im Durch­schnitt nur ein von vier fahr­plan­mä­ßig vor­ge­se­he­nen Schnell­zü­gen, ein von fünf Inter­ci­tys und drei von zehn Regio­nal­zü­gen zum Fah­ren brin­gen kön­nen. Bei der Pari­ser Metro blie­ben acht Linien auch an die­sem Wochen­ende und dem fol­gen­den Mon­tag wie alle vor­her­ge­hen­den Tage seit dem 5.12. völ­lig geschlos­sen. Bei fünf wei­te­ren war der Ver­kehr laut der Direk­tion «sehr gestört». Metros fuh­ren fast über­all nur ver­ein­zelt, haupt­säch­lich in den Spit­zen­zei­ten mor­gens und abends, man­che Stre­cken konn­ten nur mit ver­ein­zel­ten Bus­sen im Ersatz­ver­kehr bedient wer­den. Nur zwei voll­au­to­ma­ti­sierte Metro­li­nien funk­tio­nier­ten unein­ge­schränkt. Der städ­ti­sche Bus­ver­kehr soll laut Direk­tion zu 60 % abge­si­chert wor­den sein. Aber zugleich wur­den am 16. Dezem­ber mor­gens um neun Uhr 628 Kilo­me­ter Stau im Groß­raum Paris registriert.

SNCF-Chef Faran­dou sah sich ver­an­lasst, die strei­ken­den Eisenbahner*innen dazu auf­zu­ru­fen, wenigs­tens wäh­rend der Fei­er­tage «eine Pause zu machen», weil sich an die­sen Tagen Mil­lio­nen Men­schen, Fami­lien, Kin­der mit ihren Eltern, Ver­wandte und Freunde zusam­men­fin­den wol­len und sie «nur schwer­lich ver­ste­hen wür­den», dass die Züge nicht fah­ren. Das war ein erneu­ter Ver­such, die Öffent­lich­keit gegen die Strei­ken­den und die «starr­sin­ni­gen» Gewerk­schaf­ten aufzubringen.

Aber aus Gewerk­schafts­krei­sen kam prompt die Ant­wort: das beste Mit­tel, damit es an Weih­nach­ten Züge gibt, sei eine posi­tive Ant­wort der Direk­tion auf die gewerk­schaft­li­chen For­de­run­gen noch vor dem 17. Dezem­ber. Der Gene­ral­se­kre­tär der Eisen­bah­ner­ge­werk­schaft der CGT, Lau­rent Brun, erklärte in aller Klar­heit: «Es sind die Strei­ken­den, die ent­schei­den. Aber offen gesagt, für uns ist es ‹Nein›. Wir sind auch für einen Stopp des Streiks vor Weih­nach­ten. Die Regie­rung ver­fügt also über eine Woche, um den Rück­zug ihres Vor­ha­bens zu ver­kün­den, und wenn sie das tut, kann der Kon­flikt sehr schnell been­det wer­den. Aber im gegen­tei­li­gen Fall kommt das nicht infrage».

 

Auch am 17. Dezem­ber waren wie­der Hun­dert­tau­sende gegen die Ren­ten­re­form auf der Straße

 
   
  Karte der Mobilisation (cgt).  
  Trommlergruppe mit Trommelfässern.  
  Demonstrantin mit Plakat.  
     
     

 

Auch CGT-Gene­ral­se­kre­tär Phil­ippe Mar­ti­nez sagte, wenn die Regie­rung ihr Pro­jekt zurück­ziehe und ernst­haft dar­über reden will, wie das gegen­wär­tige Sys­tem zu ver­bes­sern ist, «eh bien, dann geht alles gut. Wenn nicht, wer­den die Strei­ken­den ent­schei­den, was sie am Don­ners­tag und Frei­tag tun». In eini­gen Betriebs­tei­len der SNCF haben die Beschäf­tig­ten auf Voll­ver­samm­lun­gen bereits über die Fort­set­zung des Streiks auch wäh­rend der Fei­er­tage und bis zum Jah­res­ende abge­stimmt. Laut einer Umfrage von IFOP für das «Jour­nal de diman­che» (Sonn­tags­zei­tung) haben genau wie in der Vor­wo­che 54 Pro­zent der Befrag­ten an die­sem Wochen­ende ihre Unter­stüt­zung für den Streik erklärt, wäh­rend 30 Pro­zent ihre Ableh­nung bekundeten.

Fehl­ge­schla­gene Abwiegelungsversuche

Die von Macrons rechts­kon­ser­va­ti­vem Regie­rungs­chef Phil­ippe am 11. Dezem­ber ver­kün­de­ten «Ein­zel­hei­ten» zu den Ren­ten­re­form­plä­nen der Regie­rung und die dabei angeb­lich gemach­ten «Kon­zes­sio­nen» haben nicht die erhoffte Wir­kung gehabt. Im Gegen­teil: dem Regie­rungs­chef ist das Kunst­stück gelun­gen, nun auch noch die «refor­mis­ti­schen» Gewerk­schaf­ten CFDT und UNSA, die bis­her still­ge­hal­ten und das Regie­rungs­vor­ha­ben im Prin­zip bejaht haben, gegen das Pro­jekt auf­zu­brin­gen. Nach Phil­ip­pes «Erläu­te­run­gen» sahen sich selbst diese auf «Sozi­al­part­ner­schaft» fest­ge­leg­ten Gewerk­schafts­bünde ver­an­lasst, ihre Mit­glie­der nun eben­falls zu Aktio­nen am 17. Dezem­ber aufzurufen.

Zuvor hat­ten schon die fünf Gewerk­schafts­bünde CGT, Solidai­res, Force Ouvrière, FSU und CFE-CGC, die sich aus Anlass der Ren­ten­re­form­pläne der Regie­rung zu einer «Inter­syn­di­cale» zusam­men­ge­tan haben, sowie die mit ihnen ver­bün­de­ten Schü­ler­ver­bände MNL (Natio­nale Bewe­gung der Ober­schü­ler) und UNL (Natio­nale Union der Ober­schü­ler) und der natio­nale Stu­den­ten­ver­band UNEF für die­sen 17. Dezem­ber zu einem drit­ten lan­des­wei­ten gewerk­schaft­li­chen Akti­ons­tag auf­ge­ru­fen, erneut ver­bun­den mit ört­li­chen Streiks und Demons­tra­tio­nen sowohl in der Pri­vat­wirt­schaft wie in den öffent­li­chen Unter­neh­men und Dienststellen.

  Demonstrant:innen mit Fahnen und Transparent.  
  17.12.2019  

 

Beim ers­ten Akti­ons­tag am 5. Dezem­ber hat­ten sich nach CGT-Anga­ben rund 1,5 Mil­lio­nen Men­schen in mehr als 250 Orten an den Demos betei­ligt und selbst das fran­zö­si­sche Innen­mi­nis­te­rium nannte eine Betei­li­gung von mehr als 800.000. Beim zwei­ten Akti­ons­tag am 10. Dezem­ber waren es nach Gewerk­schafts­an­ga­ben 885.000, nach dem Innen­mi­nis­te­rium 339.000. Es war also zu erwar­ten, dass die Betei­li­gung am 17. Dezem­ber diese Zah­len min­des­tens erneut errei­chen, wahr­schein­lich aber über­tref­fen und wie­der die Mil­lio­nen­grenze errei­chen und viel­leicht über­schrei­ten wird.

«Äqui­va­lenz-Alter» ab 64 Jahren

Der Knack­punkt dafür, dass auch die refor­mis­ti­schen Gewerk­schaf­ten zu Aktio­nen am 17.12. auf­rie­fen, war die Miss­ach­tung der von ihnen ver­kün­de­ten «roten Linie» durch die Regie­rung, näm­lich dass die vor­ge­se­hene Ren­ten­re­form nicht mit haus­halts­po­li­ti­schen Spar­maß­nah­men im Ren­ten­sys­tem ver­knüpft wer­den dürfe.

Pre­mier­mi­nis­ter Phil­ippe hatte aber bei sei­nen Erläu­te­run­gen am 11.12. in gewohn­ter Arro­ganz gegen­über Gewerk­schafts­for­de­run­gen den­noch ange­kün­digt, dass an der Ein­füh­rung eines «Äqui­va­lenz­al­ters» von 64 Jah­ren für den Bezug einer nor­ma­len Voll­rente fest­ge­hal­ten wird, um damit ein Gleich­ge­wicht zwi­schen Ein­nah­men und Aus­ga­ben im neuen Ren­ten­sys­tem ohne Defi­zit abzu­si­chern. Das heißt, das bis­her gel­tende Ren­ten­ein­tritts­al­ter ab 62 Jah­ren bleibt zwar for­mal bei­be­hal­ten, aber wer zu die­sem Zeit­punkt, also vor dem «Äqui­va­lenz­al­ter» von 64 Jah­ren tat­säch­lich in Rente gehen will, muss Abschläge bei der Ren­ten­höhe von 5 Pro­zent pro Jahr hin­neh­men. De facto läuft das auf eine Anhe­bung des Ren­ten­ein­tritts­al­ters auf 64 Jahre und damit eine Ver­län­ge­rung der Lebens­ar­beits­zeit für die große Mehr­heit der Beschäf­tig­ten hin­aus. Und dies, obwohl Arbeits­me­di­zi­ner seit län­ge­rem fest­stel­len, dass viele Lohn­ab­hän­gige oft schon viel frü­her von ihrer Berufs­tä­tig­keit so gestresst und gesund­heit­lich geschä­digt sind, dass sie ihren Beruf eigent­lich nicht mehr aus­üben sollten.

Die angeb­li­chen «Zuge­ständ­nisse» von Pre­mier Phil­ippe am 11.12. erwie­sen sich bei genaue­rer Betrach­tung nur als ein tak­ti­sches Manö­ver nach dem Motto: Nach­ge­ben in Ein­zel­hei­ten, um Leicht­gläu­bige zu täu­schen, die Arbei­ter und Ange­stell­ten und ihre Gewerk­schaf­ten zu spal­ten und den neo­li­be­ra­len reak­tio­nä­ren Kern des gan­zen Vor­ha­bens umso bes­ser durch­set­zen zu können.

Vor allem machte Phil­ippe am 11.12. klar, dass es bei der Abschaf­fung der bis­her gel­ten­den, 42 unter­schied­li­chen Ren­ten­sys­teme blei­ben soll, die aus ver­schie­de­nen Grün­den his­to­risch ent­stan­den und zum Teil mit posi­ti­ven Son­der­re­ge­lun­gen für bestimmte Berufs­grup­pen ver­bun­den sind, u. a. mit einem frü­he­rer Ren­ten­be­ginn schon ab 58 oder 59 Jah­ren (wenn sie schon mit 15 oder 16 Jah­ren als Lohn­ab­hän­gige zu arbei­ten begon­nen, also eine beson­ders lange Berufs­tä­tig­keit hin­ter sich haben, oder für bestimmte Berufs­grup­pen mit beson­ders anstren­gen­den, beschwer­li­chen oder gesund­heits­ge­fähr­den­den Tätig­kei­ten, wenn sie mit viel Nacht‑, Sonn­tags- und wech­selnde Schicht­ar­beit ver­bun­den sind, z. B. Lok­füh­rer, Kran­ken­haus­per­so­nal, Lkw- und Bus-Fah­rer oder Fahr­per­so­nal im öffent­li­chen Nah­ver­kehr). Jedoch bezah­len z.B. Feu­er­wehr­leute wie die meis­ten ande­ren betrof­fe­nen Berufs­grup­pen auch Son­der­bei­träge, um frü­her in Rente gehen zu können.

Von Regie­rungs­seite wur­den diese Son­der­re­ge­lun­gen gene­rell als heute unge­recht­fer­tigte und aus alten Zei­ten stam­mende über­holte «Pri­vi­le­gien» dif­fa­miert. Sie sol­len angeb­lich aus Grün­den der Gleich­be­hand­lung aller Berufs­tä­ti­gen durch ein ein­heit­li­ches «uni­ver­sel­les Ren­ten­sys­tem nach Punk­ten» ersetzt wer­den, bei dem jeder und jede Beschäf­tigte pro ein­ge­zahl­tem Euro Bei­trag in die Alters­ver­sor­gung gleich viel Ren­ten­punkte ange­schrie­ben bekommt, die bei Ren­ten­ein­tritt dann in eine ent­spre­chende Geld­summe umge­rech­net werden.

Demonstrant:innen mit Fahnen.Was hier als Anwen­dung des Gleich­heits­prin­zips dar­ge­stellt wird, besei­tigt aller­dings nicht die reale Ungleich­heit der indi­vi­du­el­len Berufs­lauf­bah­nen mit unter­schied­li­chen Ein­kom­mens­hö­hen und unter­schied­li­chen Beschäf­ti­gungs­zei­ten, frü­he­rem oder spä­te­rem Ein­tritt ins Berufs­le­ben infolge Stu­dium oder ande­ren Qua­li­fi­zie­rungs­zei­ten, zeit­wei­ser und oft unter­bro­che­ner oder lang­an­hal­ten­der Tätig­keit in Nied­rig­lohn­jobs oder Zei­ten der Arbeits­lo­sig­keit und Krank­heit. ins­be­son­dere aber auch die Ungleich­heit zwi­schen Män­ner- und Frau­en­löh­nen. Diese reale Unter­schied­lich­keit der Berufs­lauf­bah­nen wird bei dem von Macron gewoll­ten «uni­ver­sel­len» Ren­ten­sys­tem nicht genü­gend berücksichtigt.

Nied­ri­gere Ren­ten durch ande­res Berechnungssystem

Das Macron-Sys­tem sieht auch eine Ände­rung der Berech­nungs­grund­la­gen für die Ren­ten­höhe vor. Bis­her war die Ren­ten­höhe abhän­gig von der Dauer der Berufs­tä­tig­keit und von den nach der Höhe des Ver­diensts ein­ge­zahl­ten Bei­trä­gen in die Alters­ver­si­che­rung. Dabei wur­den für die Fest­le­gung der Ren­ten­höhe die 25 bes­ten Jahre mit dem höchs­ten Ver­dienst (in der Pri­vat­wirt­schaft) oder die letz­ten sechs Monate vor Ren­ten­ein­tritt (bei Beschäf­tig­ten im öffent­li­chen Dienst und öffent­li­chen Unter­neh­men) zugrunde gelegt.

Nach dem neuen Sys­tem sol­len über die Punkte aber die Bei­träge in allen Jah­ren der gesam­ten Berufs­tä­tig­keit zugrunde gelegt wer­den, ein­schließ­lich aller Zei­ten nied­rig ent­lohn­ter Teil­zeit­jobs mit vie­len Unter­bre­chun­gen und Zei­ten der Arbeits­lo­sig­keit. Dar­aus lässt sich schon rein mathe­ma­tisch able­sen, dass für die meis­ten Betrof­fe­nen nach dem neuen Sys­tem eine nied­ri­gere Rente her­aus­kom­men wird als nach dem bis­he­ri­gen Berechnungssystem.

Dar­über hin­aus ist der Wert der ange­sam­mel­ten Ren­ten­punkte, wenn das indi­vi­du­elle Punk­te­konto am Ende des Arbeits­le­bens in eine bestimmte Geld­summe umge­rech­net wird, keine fest­ste­hende Größe. Er soll viel­mehr von der all­ge­mei­nen Wirt­schafts­ent­wick­lung, bei­spiels­weise von der Gesamt­ent­wick­lung der Preise und Löhne abhän­gig sein. Es lässt sich also nicht im Vor­aus berech­nen, wie hoch am Ende die indi­vi­du­elle Rente sein wird. Noch offen ist auch, wie die Umrech­nungs­for­mel letzt­lich genau aus­se­hen wird und wer dar­über zu ent­schei­den hat. Damit bleibt bei dem neuen Sys­tem auch die Ungleich­heit von Män­ner- und Frau­en­ren­ten, weil die Frauen auf­grund der nied­ri­ge­ren Frau­en­löhne bei glei­cher Beschäf­ti­gung auch weni­ger Punkte auf ihrem Konto haben werden.

Min­dest­rente auf Armutshöhe

Als soziale Errun­gen­schaft wurde auch die Ankün­di­gung von Pre­mier Phil­ippe dar­ge­stellt, dass das neue Ren­ten­sys­tem mit der Ein­füh­rung einer Min­dest­rente von 1.000 € pro Monat ver­bun­den sein soll. Fak­tisch bedeu­tet das aber die Fest­le­gung der Min­dest­rente auf die Höhe der der­zeit gel­ten­den sta­tis­ti­schen Armuts­grenze – für die Gewerk­schaf­ten der reine Hohn! Die CGT for­dert die Ein­füh­rung einer Min­dest­rente von 1.800 €.

Täu­schungs­ma­nö­ver mit angeb­li­cher
Beschrän­kung auf Jüngere

Zu den größ­ten Coups, mit denen Phil­ippe die Oppo­si­tion gegen seine Ren­ten­re­form abwie­geln und spal­ten wollte, gehört auch die Ankün­di­gung, dass das neue Sys­tem über­haupt nur für die jün­ge­ren Jahr­gänge, erst für die nach dem Jahr 1975 Gebo­re­nen gel­ten soll, womit die Ein­füh­rung des neuen Sys­tems prak­tisch auf das Jahr 2037 hin­aus­ge­scho­ben werde. Für alle älte­ren Jahr­gänge soll das bis­he­rige Ren­ten­sys­tem wei­ter gel­ten, sich also für sie an ihren Ren­ten über­haupt nichts ändern.

Kaschiert wer­den sollte damit aber, dass Phil­ippe in der glei­chen Rede ankün­digte, dass das mit die­ser «Reform» vor­ge­se­hene «Äqui­va­lenz­al­ter» von 64 Jah­ren für den Bezug einer Voll­rente bereits im Jahr 2022 ein­ge­führt wer­den soll, und zwar für alle Ren­ten­sys­teme und Alters­grup­pen, nicht nur für die Jün­ge­ren. Das heißt, die Parole «Für die Älte­ren ändert sich gar nichts» stimmte nicht. Sie war und ist ein Täuschungsversuch.

Alle wer­den Ver­lie­rer sein

Die CGT hat also recht, wenn sie in einem ihrer Flug­blät­ter für den 17. Dezem­ber über das Regie­rungs­vor­ha­ben schrieb: «Das wird ein Rück­schritt für alle Alters­klas­sen und alle Berufe sein. Das ist die Uni­ver­sa­li­tät nach unten! Das ist ab jetzt die all­ge­meine Absen­kung der Ren­ten und die Ver­län­ge­rung der Arbeits­dauer… Lohn­ab­hän­gig Beschäf­tigte der Pri­vat­wirt­schaft wie des öffent­li­chen Sek­tors, mit oder ohne Spe­zi­al­re­gime – alle wer­den Ver­lie­rer sein. Schlim­mer noch: die Jugend wird geop­fert, da das neue Sys­tem ab 2022 unein­ge­schränkt auf Jugend­li­che ab 18 Jah­ren ange­wandt wird… Die Reform ver­ur­teilt die Jugend, die Beschäf­tig­ten mit pre­kä­ren Arbeits­ver­trä­gen und die Frauen zu Armutsrenten.»

Geschenk für die Versicherungskonzerne

Fahnen, Transparente.Recht hat die Gewerk­schaft offen­sicht­lich auch mit ihrer Fest­stel­lung: «Diese Reform ist ein Geschenk für die pri­va­ten Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­men, deren Erfin­der Jean-Paul Dele­voye, Hoch­kom­mis­sar für die Ren­ten, ihr Ver­trau­ter ist». Gemeint ist damit der mit der Ren­ten­re­form beauf­tragte Hoch­kom­mis­sar Dele­voye, den Macron im Sep­tem­ber zum Regie­rungs­mit­glied im Minis­ter­rang ernannt hat. Anfang Dezem­ber kam her­aus, dass die­ser Mann bei der gesetz­lich vor­ge­schrie­be­nen Angabe von Neben­tä­tig­kei­ten für hohe Regie­rungs­be­amte in meh­re­ren Fäl­len ganz zufäl­lig ver­ges­sen hat, seine Tätig­kei­ten für ver­schie­dene Ein­rich­tun­gen der Ver­si­che­rungs­wirt­schaft wie den mit 5.000 € pro Monat dotier­ten Pos­ten als Lei­ter eines Aus­bil­dungs­zen­trums für Ange­stellte der Ver­si­che­rungs­wirt­schaft anzu­ge­ben. Statt drei­zehn inzwi­schen ein­ge­stan­de­nen Neben­be­schäf­ti­gun­gen, einige davon aller­dings rein ehren­amt­lich, hatte er ursprüng­lich nur drei ange­ge­ben. Am Mon­tag (16.12.) trat er auf eige­nen Wunsch zurück, nicht ohne sich als Opfer von «gewalt­sa­men Angrif­fen und einem Gemisch aus Lügen» zu bezeichnen.

Das kann aller­dings nicht ver­wi­schen, dass pri­vate Ver­si­che­rungs­kon­zerne wie Axa oder die Alli­anz in der Tat dar­auf hof­fen und ihr Per­so­nal bereit dar­auf ein­stel­len, die Beschäf­tig­ten für den Abschluss von pri­va­ten Zusatz­ver­si­che­run­gen zu gewin­nen, wenn die Ren­ten­re­form der Regie­rung wie vor­ge­se­hen Wirk­lich­keit wird. Anfang Dezem­ber wurde bekannt, dass auch der berüch­tigte US-ame­ri­ka­ni­sche Finanz­gi­gant und Pen­si­ons­fond Black­Rock mit sei­nen Lob­by­is­ten bereits mehr­fach bei ver­schie­de­nen Regie­rungs­in­stan­zen sein Inter­esse für die Ein­zel­hei­ten der geplan­ten fran­zö­si­schen Ren­ten­re­form bekun­det hat.

Eine alter­na­tive, des 21. Jahr­hun­derts
wür­dige Ren­ten­re­form ist möglich

Demonstrant:innen mit Fahnen.Nach dem gewerk­schafts­ge­führ­ten sozia­len Auf­stand seit dem 5. Dezem­ber ist klar: die Fran­zö­sin­nen und Fran­zo­sen wol­len sich für die Zeit ihrer Rente von Staats­prä­si­dent Macron und sei­ner Regie­rung nicht die But­ter vom Brot neh­men las­sen. Sie wol­len soziale Errun­gen­schaf­ten, die zum Teil bis auf die ers­ten Jahre nach der Befrei­ung des Lan­des vom deut­schen Faschis­mus zurück­ge­hen, nicht weg­neh­men las­sen. Sie wol­len nicht, weil die Men­schen heute dank medi­zi­ni­scher, sozia­ler und tech­ni­scher Fort­schritte im Durch­schnitt län­ger leben und älter wer­den, auch län­ger arbei­ten müs­sen und dafür auch noch weni­ger Rente als bis­her bekommen.

Die Logik, dass wer län­ger lebt, auch län­ger arbei­ten müsse, ist nach Ansicht der kampf­ent­schlos­se­nen fran­zö­si­schen Gewerk­schaf­ten eine rein kapi­ta­lis­ti­sche Logik. Sie ent­spricht dem Inter­esse der Unter­neh­mer, die Men­schen zum län­ge­ren Arbei­ten zu zwin­gen, damit sie ihnen durch diese Arbeit län­ger Gewinne und Reich­tum schaffen.

Im Gegen­satz dazu ist ange­sichts der durch die neuen digi­ta­len Tech­ni­ken gewal­tig gestei­gerte Pro­duk­ti­vi­tät eine wei­tere Ver­kür­zung sowohl der Wochen- als auch der Lebens­ar­beits­zeit not­wen­dig und auch mög­lich und finan­zier­bar. Die län­gere Lebens­zeit der Men­schen muss nicht zwangs­läu­fig der Stei­ge­rung des Mehr­werts und des Reich­tums des Finanz­ka­pi­tals die­nen. Sie kann zu einem erfreu­li­chen gesell­schaft­li­chen Fort­schritt wer­den, wenn die mit den Pro­duk­ti­vi­täts­fort­schrit­ten mög­lich wer­dende Ver­kür­zung der Arbeits­zeit mit einer ent­spre­chen­den Umver­tei­lung des gemein­sam erzeug­ten gesell­schaft­li­chen Reich­tums ver­bun­den wird.

Die CGT stellte des­halb in einer Erklä­rung fest: «Da steht Pro­jekt gegen Pro­jekt. Die Regie­rung berei­tet eine Gesell­schaft vor, wo Pre­ka­ri­tät (Unsi­cher­heit der Exis­tenz) und Armut die Norm wären. Die CGT ihrer­seits schlägt ein ande­res Sozi­al­mo­dell vor, das auf der Soli­da­ri­tät und der Ver­bes­se­rung der Rechte (der lohn­ab­hän­gig Beschäf­tig­ten) beruht, indem das der­zei­tige Sys­tem wei­ter ver­bes­sert wird: Rente ab 60, Lohn­er­satz­quote von 75 % (des bis­he­ri­gen Ver­diensts), vor­ge­zo­ge­ner Ren­ten­be­ginn für beschwer­li­che Tätig­kei­ten, Min­dest­rente bei 1800 Euro. Dies alles kann finan­ziert wer­den, wenn die Löhne erhöht, sta­bile Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nisse geschaf­fen, das Spek­trum der Bei­trags­zah­ler erwei­tert wer­den und mit den Mil­li­ar­den Euro aus­ma­chen­den Bei­trags­be­frei­un­gen Schluss gemacht wird.»

Mit ande­ren Wor­ten: die fran­zö­si­schen Gewerk­schaf­ten ver­tei­di­gen nicht auf Bie­gen und Bre­chen das bis­he­rige Ren­ten­sys­tem. Statt Ver­schlech­te­run­gen wol­len sie es aber wei­ter zuguns­ten der Beschäf­tig­ten aus­ge­baut und ver­bes­sert sehen. Sie haben Vor­schläge für eine Alter­na­tive zu den Regie­rungs­plä­nen vor­ge­legt, doch die Regie­rung, die stän­dig den «Dia­log» zwi­schen ihr und den «Sozi­al­part­nern» anmahnt, wei­gerte sich bis­her hart­nä­ckig, über diese Alter­na­tiv­vor­schläge auch nur die Dis­kus­sion zu eröff­nen. Unüber­seh­bar würde ein die­sen Vor­schlä­gen ent­spre­chen­des Ren­ten­sys­tem eine andere Ver­tei­lung des gesell­schaft­li­chen erar­bei­te­ten Reich­tums erfor­dern. Offen­sicht­lich ist das der ent­schei­dende Punkt, warum Staats­chef Macron, der «Prä­si­dent der Rei­chen», wie er von vie­len in Frank­reich genannt wird, nicht bereit ist, dar­auf einzugehen.

Text: Georg Poli­keit
Fotos: cgt
Quelle: kommunisten.de