Kasch­mir-Aktio­nen der indi­schen Regierung

Indi­ens Regie­rung treibt
ein gefähr­li­ches Spiel

Landkarte von Kaschmir und umliegenden Gebieten.

«Die Regie­rung Modi hat unse­rer Ver­fas­sungs­ord­nung einen schwe­ren Schlag ver­setzt, indem sie Arti­kel 370 und andere Bestim­mun­gen der Ver­fas­sung ein­sei­tig aus dem Weg räumte und den Staat Jammu und Kasch­mir spaltete».

Mit die­sen Wor­ten ver­ur­teil­ten fünf indi­sche Links­par­teien in einer gemein­sa­men Erklä­rung am 5. August das jüngste Vor­ha­ben der rech­ten hindu-natio­na­lis­ti­schen Regie­rung von Minis­ter­prä­si­dent Naren­dra Modi, dem indi­schen Bun­des­staat Jammu und Kash­mir an der Ost­grenze Indi­ens zu Paki­stan und China den bis­he­ri­gen Auto­no­mie-Sta­tus zu ent­zie­hen und die Region in zwei getrennte, direkt von der Zen­tral­re­gie­rung ver­wal­tete «Uni­ons­ter­ri­to­rien» aufzuteilen.

Unter­zeich­net war die Erklä­rung von der Com­mu­nist Party of India – Mar­xist (CPIM), der Com­mu­nist Party of India (CPI), der Com­mu­nist Party of India (Mar­xist-Leni­nist) Libe­ra­tion (CPIML‑L), dem All India For­ward Bloc (AIFB) und der Revo­lu­tio­nary Socia­list Party (RSP).

Vor der Bekannt­gabe ihrer Ent­schei­dung, die Gül­tig­keit des Ver­fas­sungs­ar­ti­kels 370 für den Bun­des­staat Jammu und Kash­mir auf­zu­he­ben, hatte die Zen­tral­re­gie­rung etwa 35 000 Sol­da­ten nach Kash­mir geschickt. Tou­ris­ten war das Ver­las­sen der Region unter Hin­weis auf eine dro­hende «Ter­ror­ge­fahr» emp­foh­len wor­den. Füh­rende lokale Poli­ti­ker, dar­un­ter die frü­here Chef­mi­nis­te­rin des Bun­des­staa­tes, Meh­booba Mufti, die der People’s Demo­cra­tic Party (PDP – «Demo­kra­ti­schen Volks­par­tei») ange­hört, wur­den unter Haus­ar­rest gestellt.

Bereits am 5. August, dem Tag der Bekannt­gabe der Regie­rungs­ent­schei­dung zu Kash­mir, ver­an­stal­te­ten die fünf Links­par­teien eine gemein­same Pro­test­de­mons­tra­tion in Neu-Delhi in der Nähe des Par­la­ments, die aber von der Poli­zei gestoppt wurde. Sie rie­fen zu wei­te­ren Pro­test­ak­tio­nen in den nach­fol­gen­den Tagen und in ganz Indien auf. Auch im Par­la­ment selbst ver­an­stal­te­ten die lin­ken Abge­ord­ne­ten zusam­men mit eini­gen Abge­ord­ne­ten der Kon­gress-Par­tei und ande­rer Oppo­si­ti­ons­par­teien eine etwa ein­stün­dige Pro­test­ak­tion durch Klap­pern mit den Pult­de­ckeln, Ver­las­sen der Sitze und anhal­tende Sprech­chöre in den Gän­gen des Sit­zungs­saals und dem Raum vor dem Rednerpult.

Auch meh­rere füh­rende Abge­ord­nete der eher bür­ger­lich-sozi­al­de­mo­kra­tisch ori­en­tier­ten Kon­gress-Par­tei brach­ten hre Ableh­nung des Modi-Vor­ge­hens zum Aus­druck- Sie nann­ten die Auf­he­bung des Arti­kels 370 der Ver­fas­sung für den Bun­des­staat Jammu & Kash­mir, der die Grund­lage für sei­ner Auto­no­mie­rechte war, einen «schwar­zen Tag» für die indi­sche Ver­fas­sungs­ge­schichte. Die unter Haus­ar­rest gestellte frü­here Chef­mi­nis­te­rin Mufti bezeich­nete die ein­sei­tige Ent­schei­dung der Modi-Regie­rung ohne Kon­sul­ta­tion mit der Bevöl­ke­rung des betrof­fe­nen Bun­des­staa­tes als «ille­gal und ver­fas­sungs­wid­rig». Sie werde Indien in Jammu und Kash­mir zu einer «Besat­zungs­macht» machen.

Ein Erbe des bri­ti­schen Kolonialismus

Der seit mehr als 70 Jah­ren schwe­lende Kash­mir-Kon­flikt zwi­schen Indien und Paki­stan ist ein Erbe des bri­ti­schen Kolo­nia­lis­mus. Er hat bis­her bereits zu drei offe­nen Krie­gen zwi­schen den bei­den Staa­ten geführt, näm­lich in den Jah­ren 1947–1949, 1965 und 197172. Seine nun durch die Modi-Regie­rung betrie­bene erneute Zuspit­zung ist als um so gefähr­li­cher ein­zu­schät­zen, als sowohl Indien wie Paki­stan mitt­ler­weile über Atom­waf­fen verfügen.

Bis 1947 war die Kash­mir-Region Teil des bri­ti­schen Kolo­ni­al­reichs in Asien. Als es seine Macht­ha­ber nach dem Ende des zwei­ten Welt­kriegs und ange­sichts sich ver­stär­ken­der anti­ko­lo­nia­ler Unab­hän­gig­keits­be­we­gun­gen für zweck­mä­ßi­ger hiel­ten, die bis­he­rige Form der direk­ten Kolo­ni­al­herr­schaft auf­zu­ge­ben und statt des­sen neue neo­ko­lo­nia­ler Abhän­gig­keits­ver­hält­nisse anzu­stre­ben, wurde die Kolo­nie Bri­tisch-Indien in die zwei unab­hän­gi­gen Staa­ten Indien und Paki­stan geteilt. Zugleich wur­den damit reli­giöse Gegen­sätze geschürt. In der neu ent­stan­de­nen Indi­schen Union erlang­ten die in den meis­ten Bun­des­staa­ten in der Bevöl­ke­rung mehr­heit­lich ver­an­ker­ten Hin­dus die Vor­herr­schaft, wäh­rend Paki­stan zu einem von Mos­lems beherrsch­ten Staat wurde. Die an der Grenze zwi­schen den bei­den lie­gende Kash­mir-Region wurde zum Zank­ap­fel. Obwohl mehr­heit­lich von Mos­lems bewohnt, lehn­ten die dama­li­gen regio­na­len Macht­ha­ber den Anschluss Kash­mirs an das von der Mos­lem­liga regierte Paki­stan ab. Als dar­auf­hin von Paki­stan aus mos­le­mi­sche Mili­zen in Kash­mir ein­dran­gen, erklärte sich der Maha­ra­dscha des «Fürs­ten­staa­tes» im Okto­ber 1947 für den Anschluss an Indien. Die indi­sche Zen­tral­re­gie­rung schickte umge­hend meh­rere tau­send indi­sche Soldaten.

Seit­dem blieb die Region von immer wie­der auf­bre­chen­den Span­nun­gen geprägt. Die UNO ver­mit­telte meh­rere Waf­fen­still­stands­ab­kom­men. Dazu gehörte auch, dass dem indi­schen Teil der Region, dem Bun­des­staat Jammu & Kash­mir, dem ein­zi­gen indi­schen Bun­des­staat mit mos­le­mi­scher Bevöl­ke­rungs­mehr­heit, eine weit­ge­hende Auto­no­mie mit eige­ner Ver­fas­sung, geson­der­ter Flagge und dem Recht auf eigene Ent­schei­dun­gen unab­hän­gig von der Zen­tral­re­gie­rung zuge­stan­den wur­den, und zwar in allen Fra­gen außer der Außen‑, Ver­tei­di­gungs- und Kommunikationspolitik.

Des­halb bezeich­ne­ten die Links­par­teien die Auf­he­bung die­ser Son­der­rechte zu Recht als «den größ­ten Angriff auf die natio­nale Ein­heit und das Kon­zept Indi­ens als einer Union von Staa­ten». Das sei «ein Ver­rat an allen Ver­spre­chun­gen», die die Zen­tral­re­gie­rung im Laufe der Jahre wie­der­holt gemacht hat.

In eini­gen Pres­se­be­rich­ten wurde erwähnt, dass es dabei u. a. auch darum gehe, die bis­her in Kash­mir gel­tende Bestim­mung zu kip­pen, wonach nur in die­sem Bun­des­staat ansäs­sige Ein­woh­ner Grund­stü­cke erwer­ben kön­nen. Offen­bar soll damit eine hindu-natio­na­lis­ti­sche Ein­wan­de­rungs­welle in die Pro­vinz ermög­licht wer­den. Befürch­tet wird, dass dies letzt­lich dazu füh­ren könnte (und soll), die mos­le­mi­sche Bevöl­ke­rungs­mehr­heit in Kash­mir zu ver­drän­gen und einem hindu-natio­na­lis­ti­schen Kapi­ta­lis­mus in der Region ein neues Betä­ti­gungs­feld zu eröffnen.

Es wird aber auch dar­auf ver­wie­sen, dass die von der Bha­ra­tiya Janata Party (BJP) geführte Regie­rung Modi nicht nur den schwe­len­den Kon­flikt in Kash­mir neu anhei­zen, son­dern dar­über hin­aus mit dem dadurch geschür­ten Hindu-Natio­na­lis­mus ihre Herr­schaft in ganz Indien wei­ter fes­ti­gen und aus­bauen will. Die große Mehr­heit der Bevöl­ke­rung soll sich im Kon­flikt mit dem mos­le­mi­schen Paki­stan um die regie­rende BJP zusam­men­schlie­ßen. Schon im Wahl­kampf um das Unter­haus im Früh­jahr d. J. konnte die BJP damit die Wahl­er­geb­nisse ent­schei­dend zu ihren Guns­ten beein­flus­sen. Es gelang ihr, die hindu-natio­na­lis­ti­sche Stim­mungs­ma­che so weit zu stei­gern, dass sie nicht nur erneut die Mehr­heit im indi­schen Zen­tral­par­la­ment erobern, son­dern ihren Stimm­an­teil auch auf den Rekord­stand von 37,4 Pro­zent erhö­hen konnte. Sie erreichte, nicht zuletzt auch durch das von der eins­ti­gen bri­ti­schen Kolo­ni­al­macht über­nom­mene Mehr­heits­recht, sich damit eine satte abso­lute Mehr­heit im Par­la­ment zu sichern. Die Schü­rung eines rabia­ten Hindu-Natio­na­lis­mus in wei­ten Tei­len der Bevöl­ke­rung soll der Regie­rung aber nicht nur in Wahl­kämp­fen zum Macht­er­halt die­nen, son­dern auch nach den Wah­len als innen­po­li­ti­sche Waffe benutzt wer­den, um auf­kom­mende soziale Kon­flikte und For­de­run­gen zu über­tün­chen und jede Art von Unzu­frie­den­heit und Kri­tik an der Modi-Regie­rung nie­der­zu­hal­ten. Inso­weit hat das Vor­ge­hen der Modi-Regie­rung in der Kash­mir­frage nicht nur für die unmit­tel­bar betrof­fene Pro­vinz Bedeu­tung. Es zielt auf die Ziele der Modi-Par­tei auch in allen ande­ren indi­schen Bun­des­staa­ten und betrifft damit auch alle ande­ren indi­schen Par­teien, die zur Modi-Regie­rung in Oppo­si­tion stehen.

Die BJP-Regie­rung treibt mit dem Anhei­zen des Kash­mir-Kon­flikts ein gefähr­li­ches Spiel, um ihre eigen­süch­ti­gen Macht­in­ter­es­sen in ganz Indien zu ver­fol­gen. Sie zün­delt an einem regio­na­len Brand­herd, um jede Kri­tik gegen ihre Poli­tik durch natio­na­lis­ti­sche Stim­mungs­ma­che zu ersticken.

Die indi­schen Lin­ken for­dern die unver­züg­li­che Rück­nahme der gegen die Kash­mir-Region getrof­fe­nen Ent­schei­dun­gen. Die Stär­kung der Bin­dun­gen der Bevöl­ke­rung von Jammu & Kash­mir an den Rest Indi­ens könne «nur durch den poli­ti­schen ‚Dia­log mit allen Betei­lig­ten erfol­gen», heißt es in ihrer Stel­lung­nahme. Offen­sicht­lich ver­dient diese Hal­tung auch die soli­da­ri­sche Unter­stüt­zung auf inter­na­tio­na­ler Ebene – im Inter­esse der Ver­hin­de­rung eines wei­te­ren gefähr­li­chen Kon­flikt­her­des und der Siche­rung des Weltfriedens.

Georg Poli­keit
Bild: Von Fur­fur – Diese Datei wurde von die­sen Wer­ken abge­lei­tet:
India Jammu and Kash­mir loca­tion map.svg
Kasch­mir umstrit­tene Gebiete.PNG, CC BY-SA 4.0, Link