Chris­tine plaudert

Aus­flug der Köl­ner Innen­stadt­gruppe ins flut­ge­schä­digte Ahrtal

May­schoß, 1. Okto­ber 2023. Herbst­lich wird es erst über­mor­gen. Heute ist der Him­mel blit­ze­blau und wol­ken­los. May­schoß brummt. Der Fest­platz ist voll. Die Win­zer­ge­nos­sen­schaft hat gut mit dem Ver­kauf zu tun, auch wenn er durch einen Neben­ein­gang der Ruine erfol­gen muss.
Von den Gebäu­den an der Ahr­kante wird das letzte abge­ris­sen. Ein Bag­ger hält inne, denn es ist Sonn­tag. Ab «Picasso Pizza» tut sich schein­bar nichts, ein ein­zi­ges Haus ist ein­ge­rüs­tet. Hin­ter dem Fest­platz pas­sie­ren wir Tiny Hou­ses – Not­woh­nun­gen oder Unter­künfte für Gäste? – und errei­chen den Mönch­ber­ger Hof. Hier gibt es Platz unter Sonnenschirmen.

Es beginnt mit Früh- und endet mit Spät­bur­gun­der.
Marius, ein jun­ger Gewerk­schaf­ter, erhält reich­lich Aus­kunft, vor allem von Chris­tine. Sie wurde vor vier Jah­ren auf dem Verdi-Bun­des­kon­gress von der Jugend gefei­ert, auf Papp­schil­dern stand «Chris­tine fol­gen!» oder «Chris­tine, wir lie­ben Dich!». Es ging zunächst um Sat­zungs­fra­gen. Sie habe «den Kon­gress gerockt», meinte spä­ter von Olaf H. Aber so war es.
Wir strei­ten über die Halt­bar­keit des Leit­an­trags E 084. Klingt gif­tig, wurde aber vom jüngs­ten Verdi-Kon­gress beschlos­sen, nennt sich «Per­spek­ti­ven für Frie­den, Sicher­heit und Abrüs­tung in einer Welt im Umbruch» und for­mu­liert eine regie­rungs­treue Hal­tung zu Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukraine. Doch Verdi regis­triert auch die Ver­än­de­rung der glo­ba­len Kräf­te­ver­hält­nisse.
Die strit­tige Per­so­nal­frage Akman will bewer­tet sein. Chris­tine hatte zur Vor­sicht gera­ten. Ent­lang von Lie­fer­ket­ten den Han­del gewerk­schaft­lich zu orga­ni­sie­ren – das klinge nur bezaubernd.

In letz­ter Zeit erfah­ren wir mehr von Chris­tine. Offen­bar sind dazu plau­der­freund­li­che Gele­gen­hei­ten nötig. Neu­lich im «Früh» ging es um die Haft, die sie wegen ille­ga­ler Betä­ti­gung für die KPD im Klin­gel­pütz ver­brin­gen musste. Da lausch­ten auch die Kell­ner. Ein­zi­ges Indiz für eine Straf­tat war ein Bün­del von adres­sier­ten Brief­ku­verts – ohne Inhalt. Aber dem Gericht reichte das zur Ver­ur­tei­lung. Das Gefäng­nis­es­sen war schlecht. Das nasse Brot ver­trug Chris­tine nicht. Ihre Beschwerde bewirkte, dass K‑14-Beamte sie in der Düre­ner Straße vor die locken­den Aus­la­gen eines Deli­ka­tes­sen­la­den stell­ten, in der ver­geb­li­chen Hoff­nung, unsere Genos­sin zum Plau­dern ver­lei­ten zu kön­nen.
Die Nach­bar­zel­len im Knast blie­ben unbe­legt. Hof­gang immer nur allein. In der Gemein­schafts­du­sche (zwei Mal in den vier­ein­halb Mona­ten ihrer Haft) durfte sie in die Wanne, damit sie geson­dert beob­ach­tet wer­den konnte.
Aber sie las viel, konnte sich ein­mal pro Woche aus der Gefäng­nis­bi­blio­thek bedie­nen. Eine Bewa­che­rin hän­digte ihr mal abwei­chend von der Biblio­theks­ord­nung ein dickes Buch aus. Inner­halb von zwei Tagen war es aus­ge­le­sen. Es han­delte sich um die Roman­tri­lo­gie «Para­cel­sus» von Kol­ben­he­yer. Womög­lich war es ein geziel­ter Angriff auf ihre Welt­an­schau­ung, wenn nicht nach 1945 über­haupt ver­säumt wor­den ist, den Inhalt der Gefäng­nis­bi­blio­thek einer Revi­sion zu unterziehen.

Einige von uns machen einen Spa­zier­gang. Ayfer fin­det Wal­nüsse, aber keine Pilze.
Die Strau­ßen­wirt­schaft der Fami­lie Jos­ten gerät nach­mit­tags an ihre Kapa­zi­täts­grenze, die Wir­tin schickt Gäste weg.
Hin und wie­der zockelt ein Plan­wa­gen auf dem Rot­wein­wan­der­weg über uns.
Wan­de­rer sind nur wenige zu sehen. Es ist zu warm.


Der Aus­flug der Köl­ner Innen­stadt­gruppe ins flut­ge­schä­digte Ahrtal.


Köln Innen­stadt Ahr­aus­flug 2023 (wei­tere Fotos)