Pro­teste gegen stei­gende Preise

Walter Stehling, Habecks Krisenküche, Gouache, 2022

Mil­lio­nen Men­schen dro­hen in die Armut zu fallen

Demons­tra­tio­nen gegen die explo­die­ren­den Ener­gie- und Lebens­mit­tel­preise gab es in den letz­ten Wochen schon in vie­len Städ­ten Deutsch­lands, vor allem im Osten des Lan­des. Laut eines Berichts des MDR vom 20.9.2022 gin­gen in Sach­sen-Anhalt tau­sende Men­schen bei Mon­tags­de­mos auf die Straße. Allein 3000 in Mag­de­burg und ca. 1000 in Halle.

Die Gewerk­schaf­ten und Sozi­al­ver­bände ver­hal­ten sich bis­lang zurück­hal­tend bis ableh­nend. Der Spre­cher des DGB Sach­sen-Anhalt, Mar­tin Man­del, warnt vor ein­fa­chen Ant­wor­ten vom rech­ten Spek­trum und folgt damit der Vorab-Dif­fa­mie­rung der Pro­teste aus Poli­tik und Medien, diese gin­gen von Extre­mis­ten und Demo­kra­tie­fein­den aus. Der DGB ver­stehe sich dage­gen als „kon­struk­ti­ver Part­ner der Poli­tik“. Man wolle Vor­schläge lie­fern, „wie Beschäf­tigte mit ihrem Ein­kom­men haus­hal­ten und nicht nur über­le­ben, son­dern ein ver­nünf­ti­ges Leben füh­ren kön­nen“, d.h. Spar­tipps geben.

Der MDR gibt auch die Äuße­rung des Vor­sit­zen­den der Liga der Freien Wohl­fahrts­pflege in Sach­sen-Anhalt, Chris­toph Stolte wie­der: „Die Frage ist ja, ob eine Mon­tags­de­mons­tra­tion heute, also Mitte Sep­tem­ber, gerade das rich­tige Mit­tel ist, um die schwere Krise, die wir haben, auch wirk­lich abzu­wen­den.“ Er hofft auf wei­tere Ent­las­tungs­pa­kete sei­tens der Bun­des­re­gie­rung und rät davon ab,  jetzt auf die Straße zu gehen.

So eine Posi­tion ist natür­lich nicht halt­bar. Die Bun­des­re­gie­rung hat hin­läng­lich unter Beweis gestellt, dass sie nur den Inter­es­sen der Kon­zerne dient. Die soge­nann­ten Ent­las­tungs­pa­kete sub­ven­tio­nie­ren allen­falls die Pro­fite der Ener­gie­kon­zerne. Das nach dem Gieß­kan­nen­prin­zip über Reich und Arm ver­teilte Geld kommt bei den Bedürf­ti­gen kaum bis gar nicht an. Die Ener­gie­preise schie­ßen durch die Decke, die soziale Not wächst, Mil­lio­nen Men­schen dro­hen in die Armut zu fal­len. Laut einer aktu­el­len Spar­kas­sen-Stu­die liegt die Armuts­grenze auf­grund der Preis­stei­ge­run­gen der­zeit bei einem Net­to­ein­kom­men von 3.600 Euro für einen Zwei-Per­so­nen­haus­halt. (Zum Ver­gleich: 2019 lag die Armuts­grenze für einen Zwei-Per­so­nen­haus­halt mit zwei Kin­dern unter 14 Jah­ren nach Anga­ben des sta­tis­ti­schen Bun­des­am­tes noch bei 2469 Euro.)

Das rei­che gerade so aus, um über die Run­den zu kom­men. 60 % der deut­schen Haus­halte kön­nen bereits jetzt nicht mehr von ihrem Ein­kom­men leben und müs­sen auf ihre Spar­ein­la­gen, wenn über­haupt vor­han­den, zurück­grei­fen. Der Sozi­al­ver­band VdK warnt vor einer Welle von Pri­vat­in­sol­ven­zen. Immer mehr Men­schen kön­nen ihre hor­ren­den Gas­ab­schläge und Ener­gie­rech­nun­gen nicht mehr bezah­len. Es droht die Strom- und Gas­sperre und der Ver­lust der Wohnung.

Die Bun­des­re­gie­rung indes gibt zyni­sche Spar­tipps. Man solle eben weni­ger hei­zen und einen dicken Pull­over anzie­hen.

Die DGB-Füh­rung, nament­lich die neue DGB-Vor­sit­zende Yas­min Fahimi, ori­en­tiert den­noch auf Ver­hand­lun­gen mit der Bun­des­re­gie­rung für wei­tere Ent­las­tun­gen und äußert sich abwar­tend, man werde sich „genau Gedan­ken dar­über machen, wie wir unse­rer Stimme noch mehr Gewicht ver­lei­hen – in den Betrie­ben oder auf Demons­tra­tio­nen.“
Es zeigt sich, dass, wie im Fall der neuen DGB-Vor­sit­zen­den, die Nähe zur Kanz­ler­par­tei, sie war frü­her Gene­ral­se­kre­tä­rin der SPD, einer kämp­fe­ri­schen Aus­rich­tung der Gewerk­schaf­ten eher abträg­lich ist. Immer­hin sind viele Gewerk­schaf­ter nicht davon über­zeugt, dass die Ein­bin­dung in die Regie­rungs­po­li­tik geeig­net ist, für die Inter­es­sen der Lohn­ab­hän­gi­gen zu kämp­fen. In Erfurt gin­gen bei einer DGB-Demo 2000 Men­schen auf die Straße. Und auch in ande­ren Städ­ten schlie­ßen sich Gewerk­schaf­ter den Demo-Auf­ru­fen an.

In Meck­len­burg-Vor­pom­mern gin­gen am 19.9. im Rah­men von Mon­tags­de­mos mehr als 10.000 Men­schen auf die Straße, davon über 4000 in Schwe­rin, um gegen die Ener­gie­po­li­tik der Bun­des­re­gie­rung zu pro­tes­tie­ren. Die Teil­neh­mer­zahl ver­dop­pelt sich von Woche zu Woche. Gefor­dert wurde auch die Ein­stel­lung der Sank­tio­nen gegen Russ­land. „In Neu­bran­den­burg zogen die Men­schen unter ande­rem mit Frie­dens­fah­nen und Trans­pa­ren­ten wie «Nord Stream 2 öff­nen» oder «Diese Regie­rung macht uns kaputt» durch die Stra­ßen“, berich­tete das nord­ma­ga­zin des NDR und fügt hinzu, dass bei den meis­ten Demos die Kri­tik an der Corona-Poli­tik eine unter­ge­ord­nete Rolle spielte.

Sofern die Pro­teste über­haupt erwähnt wer­den, wird vor­herr­schend in der media­len Bericht­erstat­tung das Bild ver­mit­telt, diese gin­gen vor allem von Rechts­extre­mis­ten und Coro­na­leug­nern aus oder seien nach Rechts offen. Ein Bei­spiel: Die Frie­dens­demo in Bran­den­burg am 17. Sep­tem­ber mit über 2000 Teil­neh­mern sei eine von Wagen­knecht-Anhän­gern, DKPlern, Impf­geg­nern und AFD-Anhän­gern gewe­sen, so ein Zeit-online-Arti­kel. In Wirk­lich­keit hat das dor­tige Frie­dens­bünd­nis bestehend aus Mit­glie­dern der Links­par­tei, par­tei­lo­sen Lin­ken und Mit­glie­dern der DKP dazu auf­ge­ru­fen. Eine schwarz-weiß-rote Fahne und ein Schild mit der Auf­schrift „Zuwan­de­rung von Sozi­al­schma­rot­zern stop­pen“ haben aus­ge­reicht, die Quer­front-Behaup­tung in die Welt zu setzen.

Bereits im Juli warnte die Bun­des­in­nen­mi­nis­te­rin und SPD-Poli­ti­ke­rin Nancy Fae­ser vor der Radi­ka­li­sie­rung der zu erwar­ten­den Sozi­al­pro­teste. Dem Han­dels­blatt sagte Fae­ser: „Natür­lich besteht die Gefahr, dass die­je­ni­gen, die schon in der Coro­na­zeit ihre Ver­ach­tung gegen die Demo­kra­tie her­aus­ge­brüllt haben und dabei oft­mals Seite an Seite mit Rechts­extre­mis­ten unter­wegs waren, die stark stei­gen­den Preise als neues Mobi­li­sie­rungs­thema zu miss­brau­chen ver­su­chen.“  Und sie droht mit Repres­sio­nen: „Wir sind vor­be­rei­tet, auch auf mög­li­che neue Protestgeschehen.“

Die Men­schen sol­len offen­kun­dig davon abge­schreckt wer­den, auf die Straße zu gehen, um diese den Rech­ten zu über­las­sen.

Gro­ßen Zuspruch fand die Rede von Sarah Wagen­knecht vor dem Bun­des­tag in den sozia­len Medien. Auf you­tube wurde sie inzwi­schen über zwei Mil­lio­nen mal ange­klickt. Auf eine bei­nah geschlos­sene Ableh­nung stieß sie aller­dings im Bun­des­tag. Sie musste gegen eine Wand von Buh­ru­fen anre­den. Sie for­derte den Stopp der Sank­tio­nen und des gegen Russ­land ent­fes­sel­ten Wirt­schafts­krie­ges, der vor allem der eige­nen Bevöl­ke­rung scha­det und die eigene Wirt­schaft rui­niert, und die Wie­der­auf­nahme von Ver­hand­lun­gen mit Russ­land über die Lie­fe­rung von Erd­gas und die Öff­nung von Nord­stream 2.

Die For­de­rung eines kom­plet­ten Stopps der Russ­land-Sank­tio­nen rich­tete auch die Kreis­hand­wer­ker­schaft des Halle-Saale-Kreis in einem offen Brief an den Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz. „Wir als Hand­wer­ker wis­sen aus vie­len Gesprä­chen mit unse­ren Kun­den, dass die breite Mehr­heit nicht gewillt ist, für die Ukraine ihren schwer erar­bei­te­ten Lebens­stan­dard zu opfern. Es ist auch nicht unser Krieg!“, heißt es, und: „Wol­len Sie der Kanz­ler sein, der Deutsch­land in den Ruin getrie­ben hat. Wol­len Sie wirk­lich Ihr Land opfern?“ Und die Hand­wer­ker wei­sen dar­auf hin, dass im Fall der Ukraine nicht von einem lupen­rei­nen, demo­kra­ti­schen Staat gespro­chen wer­den könne und fra­gen: „Und dafür wol­len Sie Deutsch­land aufs Spiel set­zen?“

Auch von der Par­tei­spitze der Links­par­tei wurde die Rede von Sarah Wagen­knecht harsch kri­ti­siert. Die Par­tei­füh­rung befür­wor­tet die Sank­ti­ons­po­li­tik der Bun­des­re­gie­rung und beruft sich auf einen ent­spre­chen­den Par­tei­tags­be­schluss.
Die Sank­ti­ons- und Außen­po­li­tik der Bun­des­re­gie­rung sollte auch auf der von dem  Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten der Links­par­tei Sören Pell­mann orga­ni­sier­ten Kund­ge­bung gegen die Ver­ar­mungs­po­li­tik der Bun­des­re­gie­rung in Leip­zig am 5.9., an der etwa 5000 Men­schen teil­nah­men, kein Thema sein. Sarah Wagen­knecht wurde aus die­sem Grunde als Red­ne­rin aus­ge­la­den. Immer­hin hat sich inzwi­schen die Par­tei­füh­rung der Linke dazu durch­ge­run­gen, die Ver­staat­li­chung der Ener­gie­kon­zerne zu for­dern und nicht nur die Abschöp­fung von Kriegs- und Über­ge­win­nen.

Was der Bun­des­re­gie­rung und auch Tei­len der Links­par­tei als extre­mis­ti­sche Posi­tion gilt, die Auf­he­bung der Sank­tio­nen und Frie­den mit Russ­land, ist aber inzwi­schen längst die der Mehr­heit  in der Bevöl­ke­rung. War Anfang April noch der über­wie­gende Teil der Bevöl­ke­rung für die Ver­schär­fung der Sank­tio­nen gegen Russ­land (dem ZDF-Polit­ba­ro­me­ter zufolge 77% ) so unter­stüt­zen diese im Juli nur noch 58% der Befrag­ten. Wobei es einen deut­li­chen Unter­schied zwi­schen Ost und West gibt. In Ost­deutsch­land waren zu die­sem Zeit­punkt nur noch 51% für die Sank­tio­nen, gegen­über 63% im Wes­ten. Das glei­che gilt für die Zustim­mung zu Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukraine. Auch in die­sem Punkt hat sich die Ein­stel­lung in der Bevöl­ke­rung gedreht. Eine deut­li­che Mehr­heit sieht in den Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukraine die Gefahr der wei­te­ren Eska­la­tion des Krie­ges hin zu einem dann auch mit Atom­waf­fen geführ­ten Welt­krieg.

Beim glo­ba­len Kli­ma­streik von Fri­days for Future am 23.9.2022 gin­gen in der Bun­des­re­pu­blik Zehn­tau­sende, 20.000 allein Ber­lin, über 7000 in Köln, gegen die Klima- und Ener­gie­po­li­tik der Bun­des­re­gie­rung auf die Straße. Groß ist die Ent­täu­schung von den Grü­nen. Dem Vor­ha­ben der Bun­des­re­gie­rung, ver­stärkt auf  Kohle- und Atom­ener­gie und den Import von Flüs­sig­gas zu set­zen, um den Man­gel an rus­si­schem Erd­gas aus­zu­glei­chen, wurde eine klare Absage erteilt und die For­de­rung gestellt, das soge­nannte Son­der­ver­mö­gen für die Bun­des­wehr von 100 Mil­li­ar­den Euro für den Aus­bau erneu­er­ba­rer Ener­gie zu ver­wen­den. Immer stär­ker wird auch in der FFF- Bewe­gung die For­de­rung nach Ver­staat­li­chung der Strom- und Ener­gie­kon­zerne.

Der Bun­des­vor­stand der DKP reagierte schon Ende des letz­ten Jah­res auf die stei­gen­den Preise mit einer Unter­schrif­ten­kam­pa­gne „Ener­gie­preis­stopp jetzt!“ gegen die Ener­gie­po­li­tik der Bun­des­re­gie­rung und die Sub­ven­tio­nie­rung der Energiekonzerne.

Auch die Köl­ner Kreis­or­ga­ni­sa­tion hat früh­zei­tig reagiert. Die Grup­pen­zei­tung der DKP Köln-Innen­stadt „De Rude Pooz“ teilte vor der NRW-Land­tags­wahl im Mai mit, wel­che Maß­nah­men gegen die Infla­tion fäl­lig sind: die staat­li­che Bewirt­schaf­tung des Ener­gie­sek­tors, die Über­füh­rung der Ener­gie­kon­zerne in öffent­li­ches Eigen­tum und die gesetz­li­che Kon­trolle der Preise. Denn es sind die Ener­gie­kon­zerne, die die Preise in die Höhe trei­ben. Sie gehö­ren zusam­men mit den Rüs­tungs­kon­zer­nen und Ban­ken zu den Kri­sen­pro­fi­teu­ren. Dar­über hin­aus sind Lohn­stei­ge­run­gen, die die Infla­tion aus­glei­chen, fäl­lig.

Fäl­lig sind auch Mas­sen­pro­teste gegen den Aufrüstungs‑, Eska­la­ti­ons- und Kriegs­kurs der Bun­des­re­gie­rung, für die Auf­he­bung der Sank­tio­nen gegen Russ­land , für die Ein­stel­lung der Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukraine und für die Wie­der­auf­nahme von Frie­dens­ver­hand­lun­gen zur Bei­le­gung des Krie­ges in der Ukraine!

Dirk Steh­ling, 27.9.2022


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