Im Kapi­ta­lis­mus bestimmt der Markt die Preise

Die Trei­ber der Inflation

Im Kapi­ta­lis­mus bestimmt der Markt die Preise. Jörg Gold­berg hat in der jW am 8. Juni 2022 über Zusam­men­hänge von Ukraine-Krieg, dro­hen­der Welt­hun­ger­krise und Finanz­märk­ten geschrieben.

Weizenfeld

 

Der Wei­zen­preis stieg zwi­schen März 2021 und März 2022 von 240 Euro/Tonne bis auf 420 Euro, fiel nach den Nach­rich­ten über eine mög­li­che Öff­nung der Schwarz­meer­hä­fen kurz­zei­tig auf 380 zurück. Inner­halb eines Jah­res schwankte der Ton­nen­preis um mehr als 100 Pro­zent, zwi­schen 197 und 438 Euro. 438 Euro war der Preis vom 17. Mai 2022. Der Preis­an­stieg wurde in unse­ren Medien mit dem kriegs­be­ding­ten Aus­fall ukrai­ni­scher Ern­ten erklärt, als Mengenproblem.

Tat­säch­lich führt der Krieg zu einer spür­ba­ren Min­de­rung der ukrai­ni­schen Wei­zen­pro­duk­tion: Das US-Depart­ment für Land­wirt­schaft (USDA) pro­gnos­ti­zierte im Mai 2022 die welt­weite Pro­duk­tion 202223 auf 775 Mil­lio­nen Ton­nen. Gegen­über der Vor­pe­ri­ode sind das 4,5 Mil­lio­nen Ton­nen weni­ger. Der glo­bale Ver­brauch wird auf 788 Mil­lio­nen Ton­nen geschätzt, eben­falls etwas weni­ger als im Vor­jahr. So ergibt sich ein rech­ne­ri­sches Defi­zit von knapp 13 Mil­lio­nen Ton­nen, etwa 1,5 Pro­zent des Ver­brauchs. Die Ukraine wird dem­nach nur noch 21,5 Mil­lio­nen Ton­nen Wei­zen pro­du­zie­ren, 11,5 Mil­lio­nen Ton­nen weni­ger als im Vor­jahr. Die­ser Rück­gang könnte indes­sen leicht durch den Rück­griff auf bestehende Reser­ven in Höhe von ca. 280 Mil­lio­nen Ton­nen aus­ge­gli­chen werden.

Der Umfang des glo­ba­len Wei­zen­han­dels dage­gen wächst wei­ter auf einen Rekord­wert von knapp 205 Mil­lio­nen Ton­nen. Aller­dings wer­den die Aus­fuh­ren der Ukraine auf 10 Mil­lio­nen Ton­nen sin­ken, das sind 9 Mil­lio­nen weni­ger als im Vor­jahr. Aber: «Die Exporte wer­den nach die­ser Ein­schät­zung durch erhöhte Lie­fe­run­gen aus Russ­land und Kanada stei­gen, was die Rück­gänge für die Ukraine und Aus­tra­lien mehr als aus­gleicht», heißt es im USDA-Report vom Mai. Russ­land, größ­ter Wei­zen­ex­por­teur der Welt, erwar­tet eine Rekord­ernte von min­des­tens 87 Mil­lio­nen Ton­nen. Die rus­si­schen Exporte wer­den auf 41 Mil­lio­nen Ton­nen geschätzt, 7 Mil­lio­nen Ton­nen mehr als in der Vor­pe­ri­ode. Und das trotz west­li­cher Sank­tio­nen, die den Trans­port und den Zah­lungs­ver­kehr behindern.

Diese Zah­len ver­an­schau­li­chen die Grö­ßen­ord­nun­gen, um die es beim Wei­zen­han­del geht.

Am ver­gan­ge­nen Frei­tag, 22. Juli 2022, ist unter der Füh­rung der UNO in Istan­bul ein Abkom­men zur Getrei­de­aus­fuhr unter­zeich­net wor­den. Jetzt kön­nen mehr als 20 Mil­lio­nen Ton­nen Getreide, die im Hafen von Odessa lagern, aus­ge­führt wer­den. Auch rus­si­schen Expor­ten steht nichts mehr im Weg. Sie wer­den schät­zungs­weise mit 42,6 Mio Ton­nen einen Rekord­wert erreichen.

Es wun­dert folg­lich nicht, dass am Abend die­ses Tages der Ton­nen­preis auf 328,25 Euro gefal­len ist. Am Vor­tag wären für die Tonne Wei­zen noch 350,75 Euro über den Laden­tisch gegan­gen. Die Dif­fe­renz beträgt 22,50 Euro, es wer­den also 6,41 Pro­zent weni­ger als am Vor­tag erlöst.

Olaf Zinke von agrar­heute hatte schon vor einem Monat (23. Juni) vom dra­ma­ti­schen Absturz der Getrei­de­preise berich­tet. Händ­ler, Ana­lys­ten und Land­wirte such­ten nach Erklä­run­gen für den Preis­rutsch. Die Ein­rich­tung eines poten­zi­el­len siche­ren See­kor­ri­dors für den Getrei­de­ex­port vom Schwar­zen Meer gilt laut Olaf Zinke als die überzeugendste.

Bezo­gen auf den 17. Mai, als die Tonne Wei­zen noch 438 Euro wert war, beträgt der Ver­lust immer­hin 33%. Da haben einige Inves­to­rin­nen und Inves­to­ren sehr viel Geld ver­lo­ren. Und sie wür­den noch mehr ver­lie­ren, wenn ein Waf­fen­still­stand bevorstünde.

Jörg Gold­berg stellt fest, dass die genann­ten Fun­da­men­tal­da­ten für Pro­duk­tion, Ver­brauch und Exporte von Wei­zen – trotz der Aus­fälle in der Ukraine – die auf­fäl­li­gen Preis­sprünge und ihre Wir­kun­gen für die ärms­ten Län­der nicht erklä­ren kön­nen. Der Krieg in der Ukraine sei zwar Aus­lö­ser, nicht aber Ursa­che der dro­hen­den Hun­ger­krise: denn im Moment gäbe es keine Knapp­heit von Nahrungsmitteln.

Das Pro­duk­ti­ons­de­fi­zit von 1,5 Pro­zent der jähr­li­chen Wei­zen­pro­duk­tion steht zu den Preis­sprün­gen von mehr als 50 Pro­zent in einem deut­li­chen Miss­ver­hält­nis. Die­ses Miss­ver­hält­nis erklärt sich durch die Spe­ku­la­tion. Ange­sichts der anhal­ten­den Über­pro­duk­ti­ons­krise fließt viel Kapi­tal in die inter­na­tio­na­len Roh­stoff­bör­sen, das sich woan­ders nicht mehr rentiert.

Kurz nach dem 24. Februar bläh­ten zusätz­li­che Mil­li­ar­den die Agrar­fonds, ein­zelne Fonds ver­hun­dert­fach­ten ihre Tages­um­sätze unmit­tel­bar nach dem rus­si­schen Ein­marsch. Der Zusam­men­hang ist gut erforscht. Schon im Jahr 2011 wurde eine glo­bale Hun­ger­krise durch die Spe­ku­la­tion aus­ge­löst, als an der welt­weit wich­tigs­ten Börse für Agrar­pro­dukte, der Chi­cago Board of Trade (CBoT), das 73-fache der ver­füg­ba­ren Wei­zen­menge gehan­delt wurde.

Der CBoT ist eine Terminbörse.

Das erklärt sich zunächst mal mit der Eigen­art des Getrei­de­han­dels, in dem es sich für die Bau­ern als prak­tisch erweist, für ihr Pro­dukt schon vor der Ernte einen Preis zu ver­ein­ba­ren. Aber die­ser Ter­min­han­del ent­wi­ckelte sich zum Spiel­platz für Spe­ku­lan­ten, die auf Stei­gen oder Fal­len der Preise wet­ten. Der Leer­ver­käu­fer, auch short­sel­ler genannt, leiht sich Wert­pa­piere für eine gewisse Frist, ver­kauft sie aber sogleich. Fal­len die Kurse bis zum Stich­tag, lohnt sich die Aktion. Die Papiere wer­den zu einem gerin­ge­ren Preis zurück­ge­kauft und dem ursprüng­li­chen Ver­lei­her zurück­ge­ge­ben. Die Dif­fe­renz von Ver­kaufs- und Rück­kaufs­preis ist der Spekulationsgewinn.

Wer dage­gen auf stei­gende Preise wet­tet, hält seine Ware eine Zeit­lang zurück.

Der Ter­min­han­del der CBoT wird durch eine Behörde beauf­sich­tigt. Zustän­dig ist die Com­mo­dity Futures Tra­ding Com­mis­sion (CFTC). Sie hat ein Auge auf die Future- und Opti­ons­märkte in den USA und macht immer mal wie­der Vor­schläge zur Regulierung.

Vor allem gab es seit 2008 wie­der­holte Ver­su­che, den Umfang der Finanz­ge­schäfte mit Nah­rungs­mit­teln zu begren­zen. Aller­dings ver­geb­lich, sowohl die Obama- wie die Trump-Regie­rung woll­ten die Märkt lie­ber sich selbst überlassen.

Laut Jörg Gold­berg ver­weist ein aktu­el­ler Bericht des Insti­tuts für Agri­cul­ture & Trade Policy (IATP) sachte auf die domi­nie­rende Rolle der Finanz­spe­ku­la­tion über Index-Fonds, ETFs und Future-Kon­trakte: Das Ver­sa­gen der Regu­la­ti­ons­be­hör­den habe «ein Sys­tem geschaf­fen, das die Preis­schocks im Kon­text der rus­si­schen Inva­sion eher ver­grös­sert als abfedert.»

Am 15. Okto­ber 2020 ver­lor die CFTC ihren zehn­jäh­ri­gen Kampf gegen die Wall-Street: Die Kon­trol­leure hat­ten ver­sucht, den Umfang der Finanz­in­ves­ti­tio­nen bei 26 kri­ti­schen Waren, dar­un­ter Wei­zen, zu begren­zen. Der Ver­such wurde mit einer knap­pen Mehr­heit der CFTC-Kom­mis­sio­näre gestoppt.

Der pri­vat betrie­bene Welt­han­del mit Getreide ver­sagt, wenn es darum geht, den Hun­ger zu min­dern. Im Gegen­teil. Der Hun­ger garan­tiert die spe­ku­la­ti­ven Gewinne.

Die meis­ten der 46 von UNC­TAD als unter­ent­wi­ckelt bezeich­ne­ten Län­der müs­sen Lebens­mit­tel ein­füh­ren. Das liegt vor allem an west­li­chen Agrar­sub­ven­tio­nen in Höhe von 500 Mil­li­ar­den US-Dol­lar jähr­lich. Aber gerade mal 12 Mil­li­ar­den US-Dol­lar würde es kos­ten, um 490 Mil­lio­nen Men­schen vom Hun­ger zu befreien und die Ein­kom­men von 545 Mil­lio­nen Kleinerzeu­gern zu ver­dop­peln (Quelle: Inter­na­tio­nal Insti­tute for Sus­tainable Deve­lo­p­ment – IISD – 2020).

Srom und Gas

Auch die Strom- und Gas­märkte funk­tio­nie­ren nach die­sem Mus­ter. Deren Beson­der­heit ist, dass erst vor 25 Jah­ren begon­nen wor­den ist, sie dem Wett­be­werb und pri­va­ten Inves­to­ren zu öffnen.

Die gesetz­li­che Basis der Elek­tri­zi­täts- und Gas­ver­sor­gung ist das Ener­gie­wirt­schafts­ge­setz — EnWG. Es gilt seit 1935. Neo­li­be­rale Kri­ti­ker wie Bern­hard Stier bezeich­ne­ten es als «Mark­stein der Eta­blie­rung einer ver­häng­nis­vol­len und zäh­le­bi­gen Strom-Dik­ta­tur» (Bern­hard Stier: «Staat und Strom». Die poli­ti­sche Steue­rung des Elek­tri­zi­täts­sys­tems in Deutsch­land 1890–1950. Mann­heim, 1999, S. 23).

Diese angeb­li­che Strom-Dik­ta­tur bestand aus einem gesetz­li­chen Rah­men, der zwar behörd­li­che Ein­griffe, aber noch kei­nes­wegs Ver­än­de­run­gen der Eigen­tums­struk­tu­ren vorsah.

Das Gesetz erfuhr in der Bun­des­re­pu­blik nur gering­fü­gige Ände­run­gen. Erst 2005 wurde als Zweck außer der Ver­sor­gung der All­ge­mein­heit «der wirk­same und unver­fälschte Wett­be­werb» in den Ziel­ka­ta­log des Geset­zes mon­tiert. Zuvor hat­ten die Strom- und Gas­un­ter­neh­men ihr abge­grenz­tes Ver­sor­gungs­ge­biet. Die Dere­gu­lie­rung begann 1998, als der dama­lige Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­ter Gün­ter Rex­rodt ein­schlä­gige euro­päi­sche Beschlüsse umsetzte. Vor­her war Rex­rodt unter ande­rem Chef der Citi­bank, ab Sep­tem­ber 1991 tätig bei der Treu­hand, hier für die Pri­va­ti­sie­rung der Land- und Bau­wirt­schaft sowie von DDR-Außen­han­dels­be­trie­bem ver­ant­wort­lich. Gewis­ser­ma­ßen ein Spe­zia­list für Pri­va­ti­sie­run­gen. Gün­ter Rex­rodt war als FDP-Mit­glied Wirt­schafts­mi­nis­ter unter Hel­mut Kohl bis zum Okto­ber 1998. Das neo­li­be­rale Umkrem­peln der Ener­gie­wirt­schaft war 2007 zunächst vollendet.

Gasflammen.

Wiki­pe­dia erlaubt sich unter dem Stich­wort Ener­gie­markt einige kri­ti­sche Pas­sa­gen: «Die durch den Wett­be­werb erhoff­ten Effi­zi­enz­ge­winne und wirt­schaft­li­che Vor­teile wur­den bis­her nur sehr sel­ten erreicht. In den meis­ten Märk­ten kam es mit der Libe­ra­li­sie­rung zu einer Ver­teue­rung der Ener­gie, vor allem für Klein­ver­brau­cher. Dies trifft ins­be­son­dere dort zu, wo mit der Libe­ra­li­sie­rung eine Pri­va­ti­sie­rung einherging.»

«Zudem führte die Dere­gu­lie­rung der Elek­tri­zi­täts­ver­sor­gung in eini­gen Staa­ten zu einem Rück­gang der Ver­sor­gungs­si­cher­heit. Wäh­rend vor der Libe­ra­li­sie­rung ein sehr robus­tes Strom­ver­sor­gungs­sys­tem mit ent­spre­chen­den Reser­ven auf­ge­baut wurde, ist bei pri­vat­wirt­schaft­lich betrie­be­ner Infra­struk­tur damit zu rech­nen, dass not­wen­dige Inves­ti­tio­nen ver­mie­den oder auf­ge­scho­ben wer­den. Das Haupt­ziel pri­va­ter Unter­neh­men liegt in der Erzie­lung kurz­fris­ti­ger Gewinne, sodass sie wenig Inter­esse an lang­fris­ti­gen Inves­ti­tio­nen haben, die erst nach vie­len Jah­ren pro­fi­ta­bel sind. Auch über­ge­ord­nete volks­wirt­schaft­li­che bzw. gesell­schaft­li­che Ziele spie­len in ihren Hand­lun­gen kaum eine Rolle.»

«Zudem erhö­hen schlecht durch­ge­führte Dere­gu­lie­run­gen das Risiko für Markt­ma­ni­pu­la­tio­nen, wie z. B. wäh­rend der Ener­gie­krise in Kali­for­nien 2000/2001 gesche­hen. Dort herrschte durch höhere Strom­nach­frage eine Strom­knapp­heit, die künst­lich durch ver­schie­dene Ener­gie­un­ter­neh­men, ins­be­son­dere Enron ver­schärft wurde. Diese schal­te­ten ab 2001 ver­schie­dene Kraft­werke trotz hoher Nach­frage vor­sätz­lich ab, um die Strom­preise künst­lich wei­ter in die Höhe zu trei­ben und ihre Erlöse wei­ter zu stei­gern. Dies führte schließ­lich zu einem gro­ßen Strom­aus­fall, durch den am 19. und 20. März 2001 1,5 Mio. Men­schen ohne Zugang zu Strom waren.»

https://de.wikipedia.org/wiki/Energiemarkt#cite_ref-Armaroli_5‑1

Wirk­sa­mer und unver­fälsch­ter Wett­be­werb – das heißt vor allem: Öff­nung des Ener­gie­mark­tes für anla­ge­su­chen­des Kapi­tal. Schon die Andeu­tung von Man­gel sorgt für eine Poten­zie­rung der Preise und der Gewinne für Inves­to­ren, denen die­ses Markt­seg­ment geöff­net wor­den ist.

Aber offen­bar gibt es auch unge­ahnte Risi­ken. Am ver­gan­ge­nen Frei­tag eilte Bun­des­kanz­ler Scholz aus dem Urlaub in Nes­sel­wang, um die Ret­tung des Gas­kon­zerns Uni­per bekannt zu geben. 30 Pro­zent der Aktien will die Regie­rung über­neh­men. Uni­per scheint nicht län­ger in der Lage, Gas teu­rer ein­zu­kau­fen als an seine Kun­den abzu­ge­ben. Auf Gas­kun­den kom­men ab 1. Sep­tem­ber oder 1. Okto­ber Preis­er­hö­hun­gen zu, von zwei Cent pro kWh sprach Scholz am Frei­tag. Das ist sehr opti­mis­tisch, aber etwas prä­zi­ser als die im Gegen­zug ange­kün­dig­ten Ent­las­tun­gen, etwa durch eine Wohn­geld­re­form und einen Heiz­kos­ten­zu­schuss. Jens Süde­kum, Bera­ter des Wirt­schafts­mi­nis­te­ri­ums, hatte Anfang des Monats (wdr 9. Juli) den Fak­tor 6 genannt, um den der Gas­preis gegen­über 2021 stei­gen könne. Womög­lich ahnte Scholz schon am Frei­tag, dass Gaz­prom ab Mitt­woch die Gas­lie­fe­run­gen durch die Ost­see­pipe­line Nord Stream 1 wei­ter sen­ken werde. Heute wurde mit­ge­teilt, dass dann nur noch 20 Pro­zent oder 33 Mil­lio­nen Kubik­me­ter Gas täg­lich durch die wich­tigste Ver­sor­gungs­lei­tung nach Deutsch­land flie­ßen wür­den. Grund sei die Repa­ra­tur einer wei­te­ren Tur­bine, hieß es.

Allein die Ankün­di­gung von gerin­ge­ren Lie­fe­run­gen hat den Erd­gas-Preis deut­lich stei­gen las­sen. Am Mon­tag stieg laut FAZ (online) von heute der als rich­tung­wei­send gel­tende Ter­min­kon­trakt TTF an der Ener­gie­börse in den Nie­der­lan­den bis auf 175 Euro je Mega­watt­stunde. Das ist ein Plus von 7,7 Pro­zent gegen­über Freitag.

Am Frei­tag kos­tete eine Mil­lion Bri­tish Ther­mal Unit (mmBtu), die Maß­ein­heit für Erd­gas, 8,14 Euro, das sind 5,45% mehr als am Vor­tag, als der Preis noch bei 7,72 Euro lag. Am 30. Dezem­ber letz­ten Jah­res war ein mmBtu noch für 3,49 Euro zu haben. Inner­halb eines hal­ben Jah­res ist der Preis um 133 % gestie­gen. Ermit­telt wird er seit 2007 an der Leip­zi­ger Ener­gie­börse, der «Euro­pean Energy Exch­ange», kurz EEX genannt.

Die Strom­kon­zerne machen das schon fünf Jahre länger.

Selbst­ver­ständ­lich wird ange­sichts der Rekord­höhe des Strom­prei­ses gerne mit dem Fin­ger auf Putin gezeigt. Tat­säch­lich war der Strom­preis am 15. Juli so hoch wie nie. Für die Mega­watt­stunde, also 1000 Kilo­watt­stun­den, wur­den 270 Euro bezahlt. Vor einem Jahr kos­tete sie noch 80 Euro. Das ist ein Plus von 238%. Auch diese Preise wer­den in Leip­zig ermit­telt. Nur Ener­gie­kon­zerne, Strom­an­bie­ter und Groß­kun­den kön­nen am Han­del teil­neh­men. Er funk­tio­niert elek­tro­nisch. Teil­neh­mer an der Börse sind zunächst mal die Strom­pro­du­zen­ten, vor allem die gro­ßen Erzeu­ger RWE, E.On, Vat­ten­fall und EnBW. Es fol­gen die Stadt­werke, die in unse­ren Medien gerne Strom­ver­sor­ger bezeich­net wer­den. Dann gibt es noch, drit­tens, die Strom­netz­be­trei­ber und, vier­tens, soge­nannte Strom­lie­fe­ran­ten oder Strom­an­bie­ter. Das sind die, die uns mit herr­lich bun­ten, letzt­lich über­flüs­si­gen, Ange­bo­ten locken und am Ende über­höhte Rech­nun­gen schrei­ben und ein­trei­ben. Fünf­tens sol­len soge­nannte Bilanz­kreise vir­tu­elle Ener­gie­men­gen­kon­ten aus­glei­chen, um Unter- und Über­pro­duk­tio­nen in der Strom­her­stel­lung zu vermeiden.

Aber die «mög­lichst sichere, preis­güns­tige, ver­brau­cher­freund­li­che, effi­zi­ente und umwelt­ver­träg­li­che Ver­sor­gung mit Elek­tri­zi­tät und Gas», die uns Arti­kel 1,1 des Ener­gie­wirt­schafts­ge­set­zes (EnWG) ver­spricht, ver­hin­dert die in Jah­ren und auf­wen­dig kon­stru­ierte «Sicher­stel­lung eines wirk­sa­men und unver­fälsch­ten Wett­be­werbs» gemäß Arti­kel 1,2 EnWG.

Aller­dings wer­den immer noch nur 13 Pro­zent des Stroms an der Börse gehan­delt. Die übri­gen 87 Pro­zent kau­fen die Strom­an­bie­ter direkt von den Ener­gie­er­zeu­gern außer­börs­lich. In bei­den Fäl­len besteht ein gro­ßer Teil aus Termingeschäften.

Die EEX ent­stand 2002 aus der Fusion der Frank­fur­ter und der Leip­zi­ger Strom­börse. Gehan­delt wird hier Elek­tri­zi­tät, Erd­gas, CO2-Emis­si­ons­rechte und Kohle.

Der Chef der Inter­na­tio­na­len Ener­gie­agen­tur, Fatih Birol, rech­nete Ende Mai in Davos vor, dass sich die Umsätze der Öl- und Gas­in­dus­trie sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs mehr als ver­dop­pelt hät­ten. Aus 1,5 Bil­lio­nen US-Dol­lar (etwa 1,4 Bil­lio­nen Euro) pro Jahr sind vier Bil­lio­nen gewor­den. Das geht auf spe­ku­la­tive Preis­stei­ge­run­gen zurück. Sie sind die Haupt­trei­ber der Inflation.

Am 1. Juni ist die Ener­gie­steuer auf Kraft­stoffe für drei Monate abge­senkt wor­den. Damit sollte Ben­zin um etwa 35 Cent bil­li­ger wer­den, Die­sel um 17 Cent. Es wurde ein Geschenk an die Konzerne.

Gegen­wär­tig wird hef­tig über Ent­las­tungs­maß­nah­men dis­ku­tiert. Aber in der Regel wer­den die Ent­las­tun­gen durch­ge­reicht und lan­den am Ende bei den Infla­ti­ons­trei­bern. Wohn­geld schön und gut – zuletzt lacht der Inves­tor. Auch die Ein­mal­zah­lun­gen wan­dern selbst­ver­ständ­lich in die Bilan­zen der Ener­gie­kon­zerne, machen die Anteils­eig­ner reich.

Gleich­zei­tig kön­nen wir uns vor zyni­schen Spar­tips nicht retten.

Was hilft, sind zunächst anstän­dige Tarif­ver­träge mit Lohn­stei­ge­run­gen, die die Teue­rung kom­pen­sie­ren. Was hilft, ist eine staat­li­che Bewirt­schaf­tung von Haus­halts­en­er­gie, Ben­zin und Grund­nah­rungs­mit­teln sowie Preis­stopps auf die­ser Grund­lage. Die Ener­gie­kon­zerne ein­schließ­lich Uni­per müs­sen ohne Ver­zug gänz­lich in staat­li­che Hand über­nom­men und schließ­lich ver­ge­sell­schaf­tet und demo­kra­ti­scher Kon­trolle unter­stellt werden.

Wie sagt es der Arti­kel 27 der Landesverfassung?

(1): Groß­be­triebe der Grund­stoff­in­dus­trie und Unter­neh­men, die wegen ihrer mono­pol­ar­ti­gen Stel­lung beson­dere Bedeu­tung haben, sol­len in Gemein­ei­gen­tum über­führt werden.

(2): Zusam­men­schlüsse, die ihre wirt­schaft­li­che Macht miss­brau­chen, sind zu verbieten.

Klaus, 25. Juli 2022

 

Reife Wei­zen­äh­ren Von User:H.-J. Sydow – Eige­nes Werk, Gemein­frei
Brenn­gas. Von Michal Osmenda from Brussels, Bel­gium – Light my fire, CC BY-SA 2.0,