Radi­ka­len­er­lass

Der 50. Jah­res­tag des Radi­ka­len­er­las­ses steht bevor

End­lich mehr Demo­kra­tie wagen!

Trotz Pan­de­mie und damit erschwer­ter Bedin­gun­gen tra­fen sich am Don­ners­tag, 15. Okto­ber, Ver­tre­te­rin­nen und Ver­tre­ter zahl­rei­cher Initia­ti­ven zur Auf­ar­bei­tung der Berufs­ver­bote aus der gan­zen Bun­des­re­pu­blik in Hannover.

Zusam­men mit seit den 70er Jah­ren von Berufs­ver­bot Betrof­fe­nen berei­ten Gewerk­schaf­te­rIn­nen und Akti­vis­tIn­nen aus der Demo­kra­tie­be­we­gung den 50. Jah­res­tag des soge­nann­ten Radi­ka­len­er­las­ses vor und for­dern: «End­lich Auf­ar­bei­tung, Reha­bi­li­tie­rung und Entschädigung!»

Dafür wer­ben sie um breite Unter­stüt­zung aus der demo­kra­ti­schen Öffent­lich­keit der Bundesrepublik.

Seit gerau­mer Zeit erle­ben wir ras­sis­ti­sche Über­griffe und Gewalt­ta­ten in Deutsch­land. In der Folge wer­den staat­li­che Über­wa­chungs­be­fug­nisse beun­ru­hi­gend aus­ge­dehnt. Immer mehr alar­mie­rende Erkennt­nisse über faschis­ti­sche Grup­pen bei Poli­zei, Mili­tär und wei­te­ren Sicher­heits­or­ga­nen kom­men ans Licht. Dage­gen hilft weder die bis­lang übli­che Ver­harm­lo­sung noch ein neuer Radi­ka­len­er­lass, der Anti­fa­schis­ten mit Faschis­ten gleich­set­zen würde.

Die Wei­chen wer­den falsch gestellt, wenn der sog. Ver­fas­sungs­schutz hoheit­lich ent­schei­det, wer als extre­mis­tisch zu gel­ten hat.

Wer­ner Sieb­ler, Gewerk­schaf­ter aus Frei­burg: «Das Grund­ge­setz ist anti­fa­schis­tisch. Wir erin­nern an die Fort­gel­tung der Ent­na­zi­fi­zie­rungs­vor­schrif­ten, die das GG in Arti­kel 139 nor­miert hat.»

Schon 1972 rich­tete sich der Radi­ka­len­er­lass gegen «Links- und Rechts­extre­mis­ten». Prak­tisch traf er vor allem Linke: Mit­glie­der der DKP, von K‑Gruppen, SPD-nahe Stu­die­ren­den­ver­bände, Mit­glie­der der Ver­ei­ni­gung der Ver­folg­ten des Nazi­re­gimes VVN-BdA und der Friedensbewegung.

Die Berufs­ver­bote rie­fen damals in vie­len Län­dern Euro­pas Empö­rung her­vor und lös­ten eine große Soli­da­ri­täts­be­we­gung aus.

1987 wur­den die Berufs­ver­bote von der Inter­na­tio­na­len Arbeits­or­ga­ni­sa­tion (ILO) und 1995 vom Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rechte verurteilt.

Auch in der Bun­des­re­pu­blik selbst gewann die Pro­test­be­we­gung in den 1970er und 1980er Jah­ren an Breite. Der öffent­li­che Druck trug wesent­lich dazu bei, dass viele Betrof­fene wie­der ein­ge­stellt wurden.

Doch noch immer lei­den viele die­ser Betrof­fe­nen, nach oft­mals lang­jäh­ri­ger Arbeits­lo­sig­keit, bis heute unter mate­ri­el­len Nach­tei­len und gesund­heit­li­chen Beein­träch­ti­gun­gen. Sie müs­sen befürch­ten, dass die poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen ihnen jeg­li­che Wie­der­gut­ma­chung ver­wei­gern wer­den, bis auch die Letz­ten ver­stor­ben sind.

In eini­gen Bun­des­län­dern wur­den die Fol­gen des Radi­ka­len­er­las­ses auf­ge­ar­bei­tet. Der nie­der­säch­si­sche Land­tag beschloss im Dezem­ber 2016, dass poli­tisch moti­vierte Berufs­ver­bote, Bespit­ze­lun­gen und Ver­däch­ti­gun­gen nie wie­der Instru­mente des demo­kra­ti­schen Rechts­staa­tes sein dürfen.

Nicht nur die unmit­tel­bar Betrof­fe­nen haben immer noch mit den Aus­wir­kun­gen zu kämp­fen. Ein Klima der Angst und Ein­schüch­te­rung hat seit damals die gesamte demo­kra­ti­sche Kul­tur in Deutsch­land beschädigt.

Klaus Lipps, der Spre­cher des Bun­des­ar­beits­aus­schus­ses der Betrof­fe­nen, stellt dazu fest:

«Ein Klima der Angst führte bei vie­len Men­schen zu poli­ti­scher Zurück­hal­tung auch dort, wo demo­kra­ti­sches Enga­ge­ment drin­gend erfor­der­lich war. Ob faschis­ti­sche und obrig­keits­staat­li­che Ein­stel­lun­gen auch des­we­gen zuge­nom­men haben – dar­über kann spe­ku­liert wer­den. Auch heute noch wer­den einige ehe­mals Betrof­fene wegen ihres demo­kra­ti­schen Enga­ge­ments vom ‹Ver­fas­sungs­schutz› über­wacht und als ‹Links­extre­mis­ten› dif­fa­miert. Das muss aufhören.»

Mit einem öffent­li­chen Auf­ruf soll den For­de­run­gen der Betrof­fe­nen Nach­druck ver­lie­hen und um Unter­stüt­zung gewor­ben werden.

Es gilt,

  • die ehe­ma­li­gen Betrof­fe­nen zu reha­bi­li­tie­ren und ange­mes­sen zu entschädigen,
  • die Aus­wir­kun­gen des «Radi­ka­len­er­las­ses» auf die demo­kra­ti­sche Kul­tur wis­sen­schaft­lich zu untersuchen,
  • die Rolle des «Ver­fas­sungs­schut­zes» bei der Bespit­ze­lung der Betrof­fe­nen auf­zu­ar­bei­ten und Kon­se­quen­zen zu ziehen.

Geplant wer­den für 2022, das 50. Jahr des «Radi­ka­len­er­las­ses», bun­des­weit Aktio­nen, Aus­stel­lun­gen, sowie Film- und Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen, die über die Berufs­ver­bote und ihre Aus­wir­kun­gen infor­mie­ren und den oben genann­ten For­de­run­gen Nach­druck verleihen.

Viele der ehe­ma­li­gen Betrof­fe­nen, mitt­ler­weile Zeit­zeu­gen, sind bereit, über ihre Erfah­run­gen und die Zeit der Berufs­ver­bote zu sprechen.

Pres­se­er­klä­rung des «Arbeits­aus­schus­ses der Initia­ti­ven gegen Berufs­ver­bote
und für die Ver­tei­di­gung demo­kra­ti­scher Grundrechte».

Nähere Infor­ma­tio­nen fin­den Sie auf: www.berufsverbote.de