Die EU darf nicht län­ger mit Men­schen­le­ben spielen

Kundgebung am Dom.

Haupt­gründe für Flucht
sind Krieg und Hunger

Rede von Wolf­gang Rei­ni­cke-Abel im Namen des Köl­ner Bünd­nis­ses für fai­ren Welt­han­del (ehem. No-TTIP)

Anfang April muss­ten 64 Boots­flücht­linge zehn Tage auf dem Schiff der Orga­ni­sa­tion «Sea-Eye» aus­har­ren, bis Europa sich end­lich auf eine Lösung eini­gen konnte. Die­ses unwür­dige Schau­spiel wie­der­holt sich immer wie­der aufs Neue, sobald Men­schen im Mit­tel­meer geret­tet werden.

Pri­va­ti­sie­run­gen und Frei­han­dels­ab­kom­men jeder Cou­leur haben in den betref­fen­den Län­dern die Wäh­run­gen desta­bi­li­siert, die Bin­nen­kauf­kraft ver­nich­tet, Bil­dungs- und Gesund­heits­we­sen zer­stört, die Ver­sor­gung mit Strom und Was­ser ver­teu­ert und damit eine enorme Mas­sen­ar­mut geschaf­fen. Es gibt eine Unmenge Bei­spiele aus Süd­ame­rika, Asien und Afrika, wo der soge­nannte «Frei­han­del» tötete. Kame­run, wo durch sol­che EU-Ver­träge der gesamte Hähn­chen­markt zusam­men brach, 80.000 Betriebe durch bil­lige, hoch sub­ven­tio­nierte Import­ware rui­niert und über 2 Mil­lio­nen Men­schen arbeits­los ins Elend gesto­ßen wur­den. Sene­gal, wo die EU zum eige­nen Segen Erd­nuss­plan­ta­gen mit Kre­di­ten för­derte, ein Land­raub ein­setzte und als der Markt ein­brach, hockte der Sene­gal auf Mil­lio­nen Ton­nen von Nüs­sen, die Land­wirt­schaft lag am Boden. Die Men­schen flohen.

Einer der Haupt­gründe für Flucht ist neben dem Krieg der Hun­ger. Welt­weit gel­ten der­zeit rund 1 Mil­li­arde Men­schen als dau­er­haft unter­ernährt, dazu kom­men noch Hun­derte Mil­lio­nen man­gel­er­nähr­ter Men­schen. Über 80 % davon leben in Asien und Schwarz­afrika, rund 2 % in den ent­wi­ckel­ten Ländern.

Rückenplakat: «Grenzen müssen nicht zwischen den Ländern verlaufen sondern zwischen den Menschen. Nicht aus Stacheldraht sollen sie sein sondern aus Respekt! Dora Kehr».

Es ergibt sich dabei fol­gende
Sys­te­ma­tik der Fluchtgründe:

  • Schaf­fung abhän­gi­ger Märkte in Län­dern der Peri­phe­rie, Kon­trolle durch Kredite
  • Über­schul­dung der betref­fen­den Län­der, Struk­tur­an­pas­sungs­pro­gramme durch den IWF
  • Frei­han­dels-und Schutz­zoll­ab­bau­ab­kom­men mit den betref­fen­den Ländern
  • Pri­va­ti­sie­rungs­welle, wei­tere Über­schul­dung der Staats­haus­halte, aus­ufernde Armut
  • Macht­über­tra­gung an trans­at­lan­ti­sche Mono­pol­kon­zerne, Land­raub, Aus­ver­kauf von Bil­dung und Gesund­heit sowie der Res­sour­cen, Erhö­hung der Waren­im­porte in die betrof­fe­nen Län­der, Hunger
  • Offen oder ver­deckt geführte Kriege der Nato, offen oder ver­deckte Kolonial‑, Stell­ver­tre­ter-und Bür­ger-oder Ban­den­kriege. Län­der­über­grei­fen­der Zer­fall staat­li­cher Struk­tu­ren, Flucht und Vertreibung.

Flucht und Migra­tion sind der­zeit täg­lich in den Schlag­zei­len, aber sel­ten wird nach tie­fer lie­gen­den Ursa­chen für Flucht gefragt. Warum sehen Men­schen, abge­se­hen von Krie­gen, in ihren eige­nen Län­dern keine Zukunft für sich und was trägt die Wirt­schafts- und Han­dels­po­li­tik der EU dazu bei?

Die­nen doch die von der EU ver­han­del­ten Part­ner­schafts­ab­kom­men, die sog. Econo­mic Part­ner­ship Agree­ments, abge­kürzt EPAs viel mehr dem EU-Inter­esse an freiem Zugang zu afri­ka­ni­schen Roh­stof­fen und Zugang euro­päi­scher Kon­zerne zu afri­ka­ni­schen Märk­ten als den Inter­es­sen der Men­schen in den afri­ka­ni­schen Län­dern. Das eigene Gewis­sen ver­sucht die EU hin­ge­gen mit einer «Almo­sen­po­li­tik», der Ent­wick­lungs­hilfe, zu beruhigen.

Frei­han­dels­ab­kom­men nach dem Mus­ter der EPAs bewir­ken die wei­tere Ver­ar­mung Afri­kas und Vorderasiens

Sie wer­den damit auch die Zahl der Flücht­linge in die EU ver­grö­ßern. Diese Abkom­men sind Teil einer neo­ko­lo­nia­len Poli­tik die auf Erpres­sung, Kon­zern­dik­ta­tur und Miss­ach­tung der Men­schen und der Men­schen­rechte basie­ren. Statt dies wei­ter hin­zu­neh­men ist es not­wen­dig die aktu­ell erkämpfte öffent­li­che Auf­merk­sam­keit im Kampf um TTIP und CETA zu nut­zen um diese glo­ba­len Unge­rech­tig­kei­ten zu the­ma­ti­sie­ren und in die öffent­li­che Debatte zu füh­ren. Genauso nötig wie das deut­li­che Nein zu TTIP und Co ist es not­wen­dig gegen eine Rati­fi­zie­rung der EPAs auf EU-Ebene bzw. deut­scher Ebene einzutreten.

Wir sind erschüt­tert ange­sichts der gegen­wär­ti­gen euro­päi­schen Poli­tik, die immer stär­ker auf Abschot­tung und Abschre­ckung setzt – und dabei tau­send­fa­ches Ster­ben bil­li­gend in Kauf nimmt. All diese Men­schen haben Schutz und eine men­schen­wür­dige Zukunft für sich und ihre Fami­lien gesucht. Die Pflicht zur See­not­ret­tung ist Völ­ker­recht und das Recht auf Leben nicht ver­han­del­bar. Diese Ver­ant­wor­tung trifft in ers­ter Linie die EU und ihre Mit­glied­staa­ten; sie müs­sen eine auf dem Völ­ker­recht basie­rende See­not­ret­tung auf dem Mit­tel­meer gewähr­leis­ten. Sie haben sich auch dazu ver­pflich­tet, Schutz­su­chen­den Zugang zu einem fai­ren Asyl­ver­fah­ren zu gewäh­ren. Für all dies sind wir gemein­sam mit zehn­tau­sen­den Men­schen in den ver­gan­ge­nen Mona­ten bun­des­weit auf die Straße gegan­gen. Dass zivile Helfer*innen kri­mi­na­li­siert wer­den, die der unter­las­se­nen Hil­fe­leis­tung der euro­päi­schen Staa­ten nicht taten­los zuse­hen wol­len, ist ein Skan­dal. Diese Poli­tik muss been­det wer­den, denn sie bedroht nicht nur das Leben von Men­schen, sie setzt auch unsere eigene Huma­ni­tät und Würde aufs Spiel. Und sie beschä­digt das Ver­trauen in den Rechts­raum und die Hand­lungs­fä­hig­keit der Euro­päi­schen Union und ihrer Mit­glied­staa­ten. Daher bedarf es einer Neu­aus­rich­tung der deut­schen und euro­päi­schen Politik.

Demo in Deutz, vor Rheinbrücke und Dom.

Wir brau­chen ein Europa und eine Welt, in denen die wirt­schaft­li­chen, sozia­len und poli­ti­schen Bezie­hun­gen den Men­schen die­nen. Allen Men­schen, nicht der scham­lo­sen Berei­che­rung von Share­hol­dern und «Inves­to­ren», wäh­rend Arme und weite Teile der Mit­tel­schich­ten immer unsi­che­rer leben. Es geht um Soli­da­ri­tät statt Aus­gren­zung von Opfern der Glo­ba­li­sie­rung, um Gemein­wohl­ori­en­tie­rung als Wer­te­ba­sis der Poli­tik. Geheim­ver­hand­lun­gen wie zuletzt beim JEFTA, Par­al­lel­jus­tiz für trans­na­tio­nale Kon­zerne, die Zer­schla­gung loka­ler und regio­na­ler Demo­kra­tie­struk­tu­ren und Märkte – das schafft keine bes­sere Welt, son­dern neue Armut, Aggres­sion und letzt­lich auch Fluchtursachen.

Die Flucht­ur­sa­chen dür­fen dabei nicht aus dem Blick gera­ten. Waf­fen­ex­porte und Inter­ven­ti­ons­kriege sind mit ver­ant­wort­lich für die Flücht­lings­be­we­gun­gen und müs­sen daher umge­hend been­det wer­den. Es ist eine Schande, dass Deutsch­land die Waf­fen­ex­porte in den Nahen Osten gestei­gert hat. Völ­lig ver­kom­men ist die Reak­tion der US-Regie­rung auf die Flücht­lings­welle in Europa. Die Aus­sage des Regie­rungs­spre­chers, es sei ein Pro­blem der Euro­päer, ist blan­ker Zynis­mus. Die USA haben den Nahen Osten in Brand gesetzt, vor allem in Afgha­ni­stan, im Irak, in Libyen und in Syrien, nun bedro­hen sie erneut den Iran. Unter Bom­ben­tep­pi­chen wächst kein Frieden.

Seit­dem fast eine Mil­lion Flücht­linge die deut­sche Grenze erreicht haben, ist es modern, ihnen zu ver­spre­chen, «ihre Lebens­chan­cen in der Hei­mat zu ver­bes­sern» (Mer­kel). Diese Idee ist rich­tig, bleibt aber vage. Daher zwei Vor­schläge: Die Frei­han­dels­ab­kom­men mit ärme­ren Län­dern wer­den aus­ge­setzt – und Steu­er­oa­sen sofort geschlossen.

 


Euro­pa­demo 19.Mai 2019 in Köln – Foto-Videos von Jür­gen Schramm