«KÖLN 68! Pro­test. Pop. Provokation»

Ausstellungsbild: «Kölner Initiative gegen Berufsverbote. Dokumentation», Gruppenfoto, Kinder und Eltern vor Dom und Gereonskirche.

Köln 1968

«Die­ses Gesetz kann innen­po­li­tisch miß­braucht wer­den, es lädt gera­dezu dazu ein, jede auf­fla­ckernde außer­par­la­men­ta­ri­sche Kri­tik, jede poli­ti­sche Bewegt­heit außer­halb des Par­la­ments unter den Begriff ‹dro­hende Gefahr› einzuordnen.»

Hein­rich Böll, Rede bei der Kund­ge­bung gegen die Not­stands­ge­setze
im Bon­ner Hof­gar­ten, 11. Mai 1968

Das Köl­ner Stadt­mu­seum ist ram­po­niert. Ein Was­ser­scha­den wird als Grund für die Schlie­ßung des Zeug­hau­ses ange­ge­ben. Dane­ben, in der klas­si­zis­ti­schen Alten Wache, zeigt das Museum eine umfang­rei­che Aus­stel­lung über die Ereig­nisse in der Stadt rund um das Jahr 1968.

Der Pro­test erfasste sei­ner­zeit nicht nur die Stu­den­ten. Und er wurde schon vor­her ein­ge­übt, etwa, als es gegen die rabiate Erhö­hung der KVB-Preise ging, gegen die Not­stands­ge­setze, gegen den Viet­nam-Krieg. Schnell dehn­ten sich die Ansprü­che auf Mit­spra­che und Selbst­be­stim­mung in Schule und Hoch­schule auf die gesamte Kul­tur aus.

Ange­lika Lehn­dorff-Felsko, vor­mals mit Berufs­ver­bot behel­ligt, bot uns, einer Gruppe von grei­sen Köl­ner Extre­mis­tin­nen und Extre­mis­ten, ver­dien­ten Radi­ka­len im Öffent­li­chen Dienst, eine Füh­rung durch geballte Vergangenheit.

Schon im Ein­gang wird an die Regen­schirm­de­mons­tra­tion vom Okto­ber 1966 erin­nert. Der Grund für den Pro­test: Preis­er­hö­hung für die Schü­ler­wo­chen­karte. Klaus Laepple vom RCDS und AStA-Vor­sit­zen­der, fand nichts dabei, die Demons­tra­tio­nen anzu­mel­den. Er hatte noch lange mit den juris­ti­schen Fol­gen zu tun. Der Stadt­rat, befan­gen in sozia­ler Indo­lenz, hatte kurz zuvor eine Erhö­hung von 2,50 DM auf 3,80 DM, also um 52%, abgenickt.

Die fol­gen­den Pro­teste wur­den als Kra­wall dif­fa­miert. Was­ser­wer­fer spritz­ten, Poli­zei haute. Das kannte die Jugend noch nicht. Sie lernte.

Die Erschie­ßung von Benno Ohnes­org im Juni 1967 scho­ckierte. In Köln wurde demons­triert. Es gab vor­le­sungs­frei. 95 Wis­sen­schaft­ler annon­cier­ten im Köl­ner Stadt-Anzei­ger Hal­tung. Eier klatsch­ten auf das Ame­rika-Haus in der Apostelnstraße.

Nach dem Anschlag auf Rudi Dutschke am 11. April 1968 wurde auch in Köln die Aus­lie­fe­rung der Bild-Zei­tung blo­ckiert. Der Druck­auf­trag an DuMont ging flöten.

Es grün­dete sich der «Repu­bli­ka­ni­sche Club» am Römerturm.

In der Anto­ni­ter­kir­che kam es monat­lich zum «Poli­ti­schen Nacht­ge­bet» mit Doro­thee Sölle. «Gol­ga­tha ist Viet­nam» heißt es auf einem Transparent.

Ulrich Soé­nius von der IHK Köln erin­nert im umfang­rei­chen Begleit­buch zur Aus­stel­lung nicht nur an die Rezes­sion von 196667, an Arbeits­lo­sig­keit und Kurz­ar­beit, von der bis um 8. März 1968 fast 10.000 Arbei­ter bei Ford betrof­fen waren. Es ver­sam­mel­ten sich am 5. März 850 Ford­wer­ker und Stu­den­ten im Hör­saal I. Eine Son­der­aus­gabe von facit, dem Köl­ner SDS-Organ, pro­to­kol­lierte die Reden. Es spra­chen Heinz Dürr­beck vom Haupt­vor­stand der IG Metall, Gün­ter Tolusch, der Betriebs­rats­vor­sit­zende von Ford. Es ging um Demo­kra­ti­sie­rung von Gesell­schaft, Uni­ver­si­tät – und Wirt­schaft. Der Köl­ner Stadt­an­zei­ger schrieb: «Das gab’s in der Bun­des­re­pu­blik noch nicht» (2. März 1968).

Die Zei­tung irrte. Schon am 21. Novem­ber 1966 hat­ten im Hör­saal I Bernd Hart­mann (SDS) und Wer­ner Vitt von der IG Che­mie-Papier-Kera­mik über die geplan­ten Not­stands­ge­setze diskutiert.

Auch Wolf­gang Lieb (SHB), der spä­ter bei Schmidt und Rau Kar­riere machen sollte, berich­tet von einer gemein­sa­men Ver­an­stal­tung von Stu­die­ren­den und Arbei­tern anläss­lich dro­hen­der Kurz­ar­beit. Am 24. Mai 1968 im Hör­saal I rede­ten neben Ver­trau­ens­leu­ten und Betriebs­rä­ten von Ford auch Gewerk­schaf­ter aus Bochum und Frank­furt. Lieb: «Es gehörte zu den Köl­ner Beson­der­hei­ten, dass die lin­ken Stu­den­ten sich um Gemein­sam­keit mit den Gewerk­schaf­ten bemüh­ten. Man sprach anläss­lich einer sol­chen Zusam­men­ar­beit gera­dezu von einem Köl­ner Modell. Das war wohl auch der Aus­gangs­punkt für eine soge­nannte ‹gewerk­schaft­li­che Ori­en­tie­rung› des nicht anti­au­to­ri­tä­ren und nicht mao­is­ti­schen Flü­gels der Stu­den­ten­be­we­gung, also vor allem des SHB und spä­ter des Mar­xis­ti­schen Stu­den­ten­bun­des Spartakus.»

Wir sehen his­to­ri­sche Film­auf­nah­men von der Ver­bar­ri­ka­die­rung der Uni, die am 30. Mai 1968, dem Tag der letz­ten Lesung der Not­stands­ge­setze, in Rosa-Luxem­burg-Uni­ver­si­tät umge­wid­met wurde, wir sehen den wahr­haf­ten Byzan­ti­nis­ten Prof. Rubin, wie er um sich schlägt («Es lebe das Vierte Reich!»), Innen­mi­nis­ter Benda, «dro­hende Gefah­ren» beschwö­rend, und Bernd Hart­mann, Gun­nar Mat­thies­sen, Peter Simon von der «tra­di­tio­na­lis­ti­schen» Mehr­heits­frak­tion des SDS, Kom­mu­nis­ten alle­samt, die im Audi­max dage­gen halten.

Und die Frak­tion der Anti­au­to­ri­tä­ren wie Rai­ner Kippe und Lothar Gothe, die ihr Stu­dium dran­ge­ben, die SSK grün­den und geflo­he­nen Für­sor­ge­zög­lin­gen Woh­nung und Arbeit besor­gen. Rai­ner Kippe macht das heute noch.

Beset­zung des Rek­to­rats am 23. Novem­ber 1968, Anlass war der Streit über eine neue Dis­zi­pli­nar­ord­nung. Das Wort vom «auf­rech­ten Gang durch die Glas­tür» bekam Flügel.

Film­auf­nah­men erin­nern an Stra­ßen­thea­ter vor der Oper, vor KHD und Ford. Sowas mach­ten Stu­die­rende der Thea­ter­wis­sen­schaft, die wenig spä­ter die Gruppe «Floh de Colo­gne» gründen.

Die Beschlag­nahme avant­gar­dis­ti­schen Film­ma­te­ri­als von Xscreen durch die Poli­zei führt zur Beset­zung der Oper.

Die Berufs­ver­bote und der Kampf dage­gen kom­men vor. Einige von uns sehen sich jugend­frisch abge­bil­det auf den ein­schlä­gi­gen Exponaten.

Außer­dem Pla­kate aus Paris. Die Geige von Klaus ist zu sehen. Aus­ga­ben der «Ana­bela», einem Köl­ner Blatt für sonst unter den Tisch fal­lende Nachrichten.

Das kon­fis­zier­li­che Not­stands­schwein von HP Alvermann.

Gegen­über dem Museum gibt es einen Ita­lie­ner. Von hier aus hat man einen schö­nen Blick auf das manie­ris­ti­sche Por­tal des Zeug­hau­ses. Die­ses wert­volle Renais­sance­ge­bäude ist indes nicht nur durch Was­ser­schä­den und Asbest gefähr­det. Schon seit 2014 wird von einem lang­jäh­ri­gen Sanie­rungs­stau geraunt. Kos­ten für Moder­ni­sie­rung und Erwei­te­rung wur­den auf 27,8 Mil­lio­nen Euro geschätzt. Eine neue Haus­tech­nik, zeit­ge­mäße Sicher­heits­an­la­gen und ähn­li­ches wären fäl­lig. Tat­säch­lich aber droht das Zeug­haus in die Fänge von Spe­ku­lan­ten zu geraten.

Schon am 28. März 2014 hatte Ober­bür­ger­meis­ter Rot­ers beim «Her­re­nes­sen» der Freunde des Köl­ni­schen Stadt­mu­se­ums ver­ra­ten, dass die Stadt ange­sichts der hohen Sanie­rungs­kos­ten einen Neu­bau prüfe. Die His­to­ri­sche Mitte der Stadt, der Ron­cal­li­platz, solle «gestärkt» werden.

«Was geschieht mit dem Zeug­haus, wenn wirk­lich ein neues Stadt­mu­seum gebaut wird?» fragte die Köl­ni­sche Rund­schau. Die Ant­wort der Immo­bi­li­en­haie: «Der Stand­ort ist natür­lich sehr gut und die Immo­bi­lie ein Lecker­bis­sen.» «Natür­lich kann man auch ein Hotel dar­aus machen, des­sen Inte­ri­eur einen beson­de­ren Bezug zur His­to­rie der Stadt haben sollte.» (KR 1. April 2014)

Die Aus­stel­lung «KÖLN 68! Pro­test. Pop. Pro­vo­ka­tion» wird bis zum 24. Februar nächs­ten Jah­res gezeigt. Sie ist ein Gemein­schafts­pro­jekt der Stadt­mu­se­ums und dem His­to­ri­schen Insti­tut der Uni Köln. Das unent­behr­li­che Begleit­buch ver­ant­wor­ten Michaela Keim und Ste­fan Lewe­jo­hann. Es gibt ein reich­hal­ti­ges Begleit­pro­gramm von Ver­an­stal­tun­gen und Führungen.

Text und Foto: Klaus Stein


«KÖLN 68! Pro­test. Pop. Pro­vo­ka­tion» Foto­ga­le­rie von Klaus Stein