Reise nach Böblingen

Jörg Rat­geb

Anlass ist die Tagung der Marx-Engels-Stif­tung. Thema „Jörg Rat­gebs Her­ren­ber­ger Altar und der Bau­ern­krieg“. Geplant ist, mit einem PKW vol­ler Genos­sen der DKP-Gruppe Köln Innen­stadt hin­zu­fah­ren. Warum? fragte Peter Krä­mer. Beschei­dene Ant­wort: das ist unser Niveau!
Dirks schwan­ken­des Wohn­mo­bil langt kurz nach 20.00 Uhr in Böb­lin­gen an. Ver­ab­re­dungs­ge­mäß fin­det sich der Schlüs­sel auf dem Trep­pen­ab­satz des Hotels. Zum Essen ent­schei­den wir uns für ein Brau­haus. Rie­sen­halle, neu, ver­glast. Wenig freie Bänke. Schwei­ne­bra­ten. Gro­ßes Bier. Dirk bekommt eine Haxe, schafft die aber nicht. Bei­leibe nicht.

Zum Bau­ern­kriegs­mu­seum ist es nicht weit am nächs­ten Mor­gen. Allen­falls 200 Meter. Wir sind mehr als 40 Per­so­nen, es wird durch­ge­zählt. Cor­ne­lia Wen­zel, Nach­fol­ge­rin von Dr. Gün­ter Scholz, kennt sich aus. Beschei­den ver­gleicht sie ihr Museum mit den ent­spre­chen­den Insti­tu­ten der DDR zu die­sem Thema. Das ist sie der Marx-Engels-Stif­tung wohl schuldig.

„Der 450. Jah­res­tag des deut­schen Bau­ern­krie­ges 1975 bie­tet den Anlass, an die erste, die soge­nannte früh­bür­ger­li­che Revo­lu­tion zu erin­nern, in der die revo­lu­tio­näre Tra­di­ti­ons­li­nie in der deut­schen Geschichte ihren Anfang genom­men hat.“ So heißt es im Beschluss der SED vom 9. Okto­ber 1973. Es ging der SED um die Erin­ne­rung an Tho­mas Münt­zer und um die Ein­rich­tung eini­ger Museen. Das größte davon ist heute in Mühl­hau­sen. Und nicht zuletzt ging es um die Pan­orama-Gedenk­stätte auf dem Schlacht­berg bei Bad Fran­ken­hau­sen. Der Grund­stein für den Rund­bau dort wird am 8. Mai 1974 gelegt. In den Jah­ren bis 1987 arbei­ten neben Prof. Wer­ner Tübke und unter sei­ner Anlei­tung 15 Künst­ler an dem Monu­men­tal­werk „Früh­bür­ger­li­che Revo­lu­tion in Deutsch­land“. Die Lein­wand hat eine Flä­che von 1700 Qua­drat­me­tern. Ein gro­ßes Foto von Tüb­kes Bau­ern­kriegs­pan­orama schmückt die Gar­de­robe des Böb­lin­ger Museums.

Das Museum exis­tiert seit 1988 und hat pas­send in der Zehnt­scheune Platz gefun­den. Mitt­ler­weile gibt es eine wohl­or­ga­ni­sierte Arbeits­ge­mein­schaft deut­scher Bau­ern­kriegs­mu­seen, der ins­ge­samt 11 Ein­rich­tun­gen angehören.

Wir ver­mis­sen in Böb­lin­gen einen Bestands­ka­ta­log, indes­sen dürfte ihn die „Illus­trierte Geschichte der deut­schen früh­bür­ger­li­chen Revo­lu­tion“ ersetzen.

Frau Wen­zel beginnt mit der Deu­tung des berühm­ten Baums des Petrarca-Meis­ters und nimmt Bezug auf heu­tige Ereig­nisse. Die 12 Bau­ern­ar­ti­kel erläu­tert sie aus­führ­lich. Die Anord­nung der Böb­lin­ger Schlacht vom 12. Mai 1525 wird auf einem Diorama anschau­lich, in dem sich 1200 hand­be­malte Zinn­fi­gu­ren tum­meln. Das Schlacht­feld befin­det sich in der Gegend zwi­schen Sin­del­fin­gen und Böb­lin­gen, just dort, wo heute 25.000 Mit­ar­bei­ter pro Jahr 310 000 Mer­ce­des vor allem der S‑Klasse herstellen.

Etwas ver­spä­tet kom­men wir zum nächs­ten Pro­gramm­punkt im „Haus am See“ an. Hier gibt es Kaf­fee. Her­mann Kopp refe­riert über die Geschichte des deut­schen Bau­ern­krie­ges. Er kann sich dank­bar auf das bezie­hen, was Frau Wen­zel vor ihm schon erzählt hat. Er erläu­tert die sei­ner­zei­ti­gen Wider­sprü­che in der feu­da­len Hier­ar­chie. Das Bür­ger­li­che an der früh­bür­ger­li­chen Revo­lu­tion kommt etwas zu kurz. Umso inten­si­ver wird hin­ter­her dar­über dis­ku­tiert. Dann hören wir über Rat­gebs Her­ren­ber­ger Altar. Wie­der zurück im Museum erwar­tet uns eine Füh­rung durch die bemer­kens­werte Kunst­samm­lung in den obe­ren Stock­wer­ken. Das macht Corinna Steimel.

Die Rück­fahrt legen wir so, dass wir in Schwai­gern nahe Heil­bronn lan­den. Ziel ist die Stadt­kir­che. Wir wol­len uns den Bar­bara-Altar von 1510 anse­hen. Es ist Sonn­tag, aber wir stö­ren nicht, als wir ein­tre­ten. Statt­des­sen sind Tische mit Kuchen auf­ge­baut. Sogleich wer­den wir freund­lich ein­ge­la­den zuzu­grei­fen, auch Kaf­fee gebe es. Offen­bar ist der Fami­li­en­got­tes­dienst mit Pfar­re­rin Bin­der und „Church­band“ schon vor­bei. Wir wol­len aber erst den Altar sehen. Obwohl wir gewarnt wer­den, dass es bald nichts mehr gebe. So kommt es.

Das Bar­bara-Reta­bel von 1510 ist das frü­heste der signier­ten und datier­ten Werke Jörg Rat­gebs. Das Reta­bel wurde wahr­schein­lich von Graf Wil­helm von Neip­perg, dem Schwai­ger­ner Kir­chen­herrn, gestif­tet. Neip­pergs Palast steht neben der Kirche.

Die Mit­tel­ta­fel des Altars schil­dert den Mär­ty­rer­tod Bar­ba­ras und zwölf wei­tere Sze­nen aus ihrer Legende. Die linke Tafel zeigt die Begeg­nung Christi und Mag­da­le­nas am Oster­mor­gen, dar­über die mys­ti­sche Kom­mu­nion der Büße­rin. Der rechte Flü­gel stellt die Bekeh­rung des Pau­lus und vier Sze­nen aus sei­nem Leben dar. Die Flü­gel­au­ßen­sei­ten schließ­lich ziert der „Abschied der Apos­tel“, die unter dem Segen Christi in alle Welt hin­aus­zie­hen. Der ist aber nicht zu sehen, statt­des­sen müs­sen wir uns mit einer Repro­duk­tion begnü­gen. Just der „Apos­tel­ab­schied“ ist laut Fraen­ger das ent­schei­dende Indiz für Rat­gebs revo­lu­tio­näre Hal­tung im Bauernkrieg.

Dirk ist unter der Motor­haube beschäf­tigt. Er fürch­tet, dass Kühl­was­ser und Öl sich mischen. Mor­gens hatte er Trop­fen unter dem Wagen bemerkt. Der ADAC wird bemüht. Drei von uns set­zen sich vor das Eis­café San Remo in die wär­mende Früh­lings­sonne. Ein Abschlepp­wa­gen braust heran, ent­fernt sich nach einer hal­ben Stunde wie­der. Alles in Ord­nung. Dirk hat erfah­ren, was schief hätte gehen kön­nen. Wir sind erleich­tert.
Das Gast­haus zum Lamm lockt, ist aber voll, ebenso wie das Gast­haus zum Och­sen. Wir haben keine Chance.


Fotos von Klaus Stein

siehe auch: Rat­geb und der Bauernkrieg