Vor­trag in der DKP-Gruppe Köln Innen­stadt. Indo­ne­sien 1965.

Indo­ne­sien 1965
und ein unschar­fer Über­blick über die Lite­ra­tur zu die­sem Thema

Vor­trag in der DKP-Gruppe Köln Innenstadt

Dem ers­ten Kapi­tel sei­nes 1938 erschie­ne­nen Romans „Magel­lan“ gibt Ste­fan Zweig den Titel „Navi­gare necesse est“ (See­fahrt tut not). Der Spruch von Plut­arch, Pom­peius zuge­schrie­ben, lau­tete voll­stän­dig: „Navi­gare necesse est, vivere non est necesse.” (See­fahrt tut not, Leben nicht).
Tat­säch­lich war die See­fahrt lange Zeit ris­kant und töd­lich. Zweig berich­tet auf elf Sei­ten aber auch von den mär­chen­haf­ten Gewin­nen, die mit Gewürz­han­del über See zu machen waren:

 

…unvor­stell­bar schal und kahl bleibt bis tief ins Mit­tel­al­ter die nor­di­sche Kost. Noch lange wird es dau­ern, ehe die heute gebräuch­lichs­ten Feld­früchte wie Kar­tof­fel, Mais und Tomate in Europa dau­ern­des Hei­mats­recht fin­den, noch nützt man kaum die Zitrone zum Säu­ern, den Zucker zur Süßung, noch sind die fei­nen Tonika des Kaf­fees, des Tees nicht ent­deckt; selbst bei Fürs­ten und Vor­neh­men täuscht stumpfe Viel­fres­se­rei über die geist­lose Mono­to­nie der Mahl­zei­ten hin­weg. Aber wun­der­bar: bloß ein ein­zi­ges Korn indi­schen Gewür­zes, ein paar Stäub­chen Pfef­fer, eine tro­ckene Mus­kat­blüte, eine Mes­ser­spitze Ing­wer oder Zimt dem gröbs­ten Gerichte zuge­mischt, und schon spürt der geschmei­chelte Gau­men frem­den und schmack­haft erre­gen­den Reiz. Zwi­schen dem kras­sen Dur und Moll von Sauer und Süß, von Scharf und Schal schwin­gen mit ein­mal köst­li­che kuli­na­ri­sche Ober­töne und Zwi­schen­töne; sehr bald kön­nen die noch bar­ba­ri­schen Geschmacks­ner­ven des Mit­tel­al­ters an die­sen neuen Inci­tan­tien nicht genug bekommen.(…)…mögen zwei­hun­dert Men­schen von zwei­hun­dert­fünf­und­sech­zig nicht wie­der­keh­ren, so haben zwar Matro­sen und Kapi­täne ihr Leben ver­lo­ren, der Händ­ler hat aber bei die­sem Spiel noch immer gewon­nen. Kehrt nur ein noch so klei­nes Schiff von den fün­fen, gut mit Gewürz bela­den, nach drei Jah­ren zurück, so macht die Ladung mit reich­li­chem Pro­fit den Ver­lust wett, denn ein ein­zi­ger Sack mit Pfef­fer gilt im fünf­zehn­ten Jahr­hun­dert mehr als ein Men­schen­le­ben; kein Wun­der, daß bei dem gro­ßen Ange­bot an wert­lo­sen Men­schen­le­ben und der stür­mi­schen Nach­frage nach wert­vol­lem Gewürz die Rech­nung immer wie­der präch­tig klappt. Die Paläste Vene­digs und jene der Fug­ger und Wel­ser sind fast ein­zig aus dem Gewinn an indi­schem Gewürz erbaut. (…)

Die Kreuz­züge waren kei­nes­wegs (wie es oft roman­ti­sie­rend dar­ge­stellt wird) ein bloß mys­tisch reli­giö­ser Ver­such, die Stätte des Hei­li­gen Gra­bes den Ungläu­bi­gen zu ent­rei­ßen; diese erste euro­pä­isch-christ­li­che Koali­tion stellte zugleich die erste logi­sche und ziel­be­wußte Anstren­gung dar, jene Sperr­kette zum Roten Meer zu durch­sto­ßen und den Ost­han­del für Europa, für das Chris­ten­tum frei zu machen. Da die­ser Stoß miß­lang, da Ägyp­ten nicht den Moham­me­da­nern ent­ris­sen wer­den konnte und der Islam wei­ter­hin den Weg nach Indien ver­legte, mußte not­wen­di­ger­weise der Wunsch wach wer­den, einen andern, einen freien, einen unab­hän­gi­gen Weg nach Indien zu fin­den. Die Kühn­heit, die Colum­bus nach Wes­ten, die Bar­to­lomeu Diaz und Vasco da Gama nach Süden, die Cabot nach Nor­den gegen Labra­dor vor­sto­ßen ließ, ent­sprang in ers­ter Linie dem ziel­be­wuß­ten Wil­len, end­lich, end­lich für die abend­län­di­sche Welt einen freien, einen unbe­zoll­ten und unge­hin­der­ten See­weg nach Indien zu ent­de­cken und damit die schmach­volle Vor­macht­stel­lung des Islams zu brechen. (…)

Hin­ter den Hel­den jenes Zeit­al­ters der Ent­de­ckun­gen stan­den als trei­bende Kräfte die Händ­ler; auch die­ser erste heroi­sche Impuls zur Welt­erobe­rung ging aus von sehr irdi­schen Kräf­ten – im Anfang war das Gewürz.

Mit dem Sieg über Kon­stan­ti­no­pel im Jahre 1453 und der fol­gen­den Aus­brei­tung ihres Rei­ches konn­ten die Osma­nen das Mono­pol des Han­dels mit Pfef­fer, Nel­ken und Mus­kat sichern. Vor­läu­fig. Bis es ihnen von den Por­tu­gie­sen abge­nom­men wurde.
Diese führ­ten die Mus­kat­nuss erst­ma­lig im Jahre 1512 ein. Sie stammt von den Banda-Inseln. Mus­kat wurde mit Gold auf­ge­wo­gen. Den Por­tu­gie­sen stand nach der Umse­ge­lung des Kaps der Guten Hoff­nung durch Bar­to­lomëu Diaz im Jahr 1487 und der Ent­de­ckung Indi­ens durch Vasco da Gama zehn Jahre spä­ter der Weg in den Indi­schen Ozean offen. Aber bald wur­den sie und ihre Han­dels­wege immer wie­der von Bri­ten, Spa­ni­ern und Nie­der­län­dern ange­grif­fen.
Jan Pie­ters­zoon Coen (1587−1629) war der erste Gene­ral­gou­ver­neur der nie­der­län­di­schen Ost­in­dien-Kom­pa­nie (Vere­e­nigde Oost­in­di­sche Com­pa­gnie, VOC). Die VOC wie­derum war die welt­erste Akti­en­ge­sell­schaft und pri­va­ter Eigen­tü­mer der nie­der­län­di­schen Stütz­punkte und Kolo­nien in Ost­in­dien. Coen begann im Jahre 1621 auf den Banda-Inseln mit 2000 Mann die ein­hei­mi­sche Bevöl­ke­rung aus­zu­rot­ten. 15 000 Men­schen wur­den umge­bracht und durch Skla­ven aus ande­ren Gebie­ten ersetzt. Die VOC sicherte sich das Mus­kat­nuss-Mono­pol für die nächs­ten 150 Jahre. Coen gilt als der Erobe­rer, der die Grund­lage für das spä­tere Nie­der­län­disch-Indien legte. Seine Hei­mat­stadt Hoorn ehrt ihn mit einem Denk­mal.
Zum Zwe­cke der Auf­recht­erhal­tung des nie­der­län­di­schen Mus­kat­nuss-Mono­pols erwarb die VOC im Jahre 1667 die kleine Insel Run (3000 mal 750 m) im Ost­in­di­schen Archi­pel. Die Bri­ten erhiel­ten dafür eine andere, erheb­lich grö­ßere Insel namens Man­hat­tan. Tat­säch­lich wurde das Mus­kat­mo­no­pol erst 1770 gebro­chen, als ein Mus­kat­ge­wächs von den Fran­zo­sen ent­wen­det und auf Mau­ri­tius ange­pflanzt wer­den konnte. In der Folge geriet sie auch in andere Welt­ge­gen­den. Die Insel Gre­nada trägt sie im Wappen.

Seit Beginn des 17. Jahr­hun­derts war es den Nie­der­län­dern gelun­gen, sich das indo­ne­si­sche Archi­pel als Kolo­nie Schritt für Schritt anzu­eig­nen und aus­zu­beu­ten. Sie ver­dräng­ten die Por­tu­gie­sen, die sich schließ­lich auf den öst­li­chen Zip­fel der Insel Timor beschrän­ken mussten.

Im Zuge des zwei­ten Welt­kriegs lan­de­ten im Dezem­ber 1941 die Japa­ner auf Bor­neo und erober­ten bald alle Inseln des Archi­pels. Schon im März 1942 erfolgte die Kapi­tu­la­tion der Nie­der­län­der. Aber die Japa­ner beka­men es mit einer anti­ko­lo­nia­len Bewe­gung zu tun. Japan kapi­tu­lierte am 15. August 1945, wenige Tage nach Hiro­shima und Naga­saki. Am 17. August pro­kla­mier­ten Sukarno (1901−1970) und Moham­mad Hatta (1902−1980) die Unab­hän­gig­keit Indo­ne­si­ens, nicht zuletzt unter dem Druck der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Indo­ne­si­ens (PKI), in der damals schon der Genosse Dipa Nus­ant­ara Aidit füh­rend tätig war.
Sie war 1945 neu gegrün­det wor­den. Im Februar 1948 bil­de­ten PKI und Teile des lin­ken Flü­gels der Sozia­lis­ti­schen Par­tei Indo­ne­si­ens eine demo­kra­ti­sche Volks­front. 1951 wurde Aidit zum Vor­sit­zen­den des Polit­bü­ros gewählt. Mit Aidit drängte die PKI auf einen anti­im­pe­ria­lis­tisch-natio­na­lis­ti­schen Kurs und stärkte Sukarno. Die Par­tei wuchs rasch von etwa 4000 im Jahre 1950 über 165.000 im Jahre 1954 auf 1,5 Mil­lio­nen Mit­glie­der 1959. Noch bei den Wah­len von 1955 unter­stützte sie die Poli­tik Sukar­nos. Sie erhielt 16 % der Stim­men und 39 von 257 Sit­zen im Par­la­ment. Nach dem VI. Par­tei­tag schwenkte die PKI auf die Pekin­ger Linie ein.
1960 pro­pa­gierte Sukarno den Slo­gan Nasa­kom, die Abkür­zung für Nasio­na­lisme (Natio­na­lis­mus), Agama (Reli­gion), Komu­nisme (Kom­mu­nis­mus). Die PKI war als Juni­or­part­ner Sukar­nos eta­bliert. Die Par­tei­zei­tung Harian Rak­yat wagte es ein­mal, die Regie­rung zu kri­ti­sie­ren. Die Füh­rer der PKI wur­den zunächst fest­ge­nom­men, dann auf Sukar­nos Befehl wie­der frei­ge­las­sen. Das war 1960. Auf einem Son­der­par­tei­tag im Jahre 1962 ord­nete sich die PKI der Linie Sukar­nos unter. „Wir müs­sen fest das Haupt­prin­zip ver­tre­ten: die Klas­sen­in­ter­es­sen den natio­na­len Inter­es­sen unter­zu­ord­nen und die natio­na­len Inter­es­sen über die Klas­sen­in­ter­es­sen und Par­tei­be­lange zu stel­len.“ (zitiert nach: Thürk/Weidemann, Indo­ne­sien ’65, S. 130).
Zwar begrenzte das Agrar­grund­ge­setz von 1960 pri­va­tes Grund­ei­gen­tum, seine Umset­zung indes wurde immer wie­der mit mili­tä­ri­scher Gewalt ver­hin­dert. Häu­fig muss­ten Unru­hen unter­drückt wer­den, bis Sukarno im Jahre 1964 die PKI auf einer Kon­fe­renz in Bogor ver­pflich­tete, sich jeg­li­cher Aktio­nen um die Boden­auf­tei­lung zu ent­hal­ten. (Thürk/Weidemann, S. 167). 1965 ist die PKI mit etwa drei Mil­lio­nen Mit­glie­dern die größte kom­mu­nis­ti­sche Par­tei außer­halb der Sowjet­union und Chinas.

Im Jahre 1945 war das Ter­ri­to­rium der Repu­blik noch auf die Inseln Java, Madura und einen Teil Suma­tras beschränkt. Die übri­gen Inseln beherrsch­ten die Nie­der­län­der, gegen die die indo­ne­si­schen Befrei­ungs­kräfte einen ver­lust­rei­chen Unab­hän­gig­keits­krieg führ­ten. Mili­tä­risch hät­ten die Nie­der­lande die­sen Gue­rilla-Krieg viel­leicht gewin­nen kön­nen. Er galt in den Nie­der­lan­den als Poli­zei­ak­tion. Aber sie ver­lo­ren ihn poli­tisch. Die Ver­ein­ten Natio­nen ver­ur­teil­ten ihn am 28. Dezem­ber 1948 als Angriffs­krieg. So sorg­ten Welt­öf­fent­lich­keit und nicht zuletzt der Druck durch die USA schließ­lich für Indo­ne­si­ens Unab­hän­gig­keit. Am 27. Dezem­ber 1949 unter­zeich­net Köni­gin Juliana die Sou­ve­rä­ni­täts­über­gabe, nach­dem diese von den jewei­li­gen Par­la­men­ten gebil­ligt wor­den ist.
Eine Figur des Kolo­ni­al­kriegs ist für ihre Bru­ta­li­tät berüch­tigt: Ray­mond Wes­ter­ling (1919−1987), ein fana­ti­scher Anti­kom­mu­nist. 1946 kom­man­dierte er die Depot Spe­cial Forces (DSF), eine Eli­te­ein­heit der nie­der­län­di­schen Kolo­ni­al­ar­mee KNIL (König­lich Nie­der­län­disch Indi­sche Armee), auf Süd-Sula­wesi. Tau­sende von Unschul­di­gen wur­den in weni­gen Wochen ohne Gerichts­ver­fah­ren hin­ge­rich­tet. Wes­ter­ling selbst gab 3 bis 4000 Opfer zu, per­sön­lich hätte er nur 600 zu ver­ant­wor­ten (Ray­mond Wes­ter­ling, Ich war kein Rebell, Ull­stein Ver­lag 1953, S. 118). Tat­säch­lich wur­den aber 42 000 Opfern allein auf Sula­wesi regis­triert.
Bekannt wurde auch das Mas­sa­ker von Rawa­ge­de/­West-Java, das die KNIL am 9. Dezem­ber 1947 ver­übte. 431 – das sind fast alle – Män­ner aus die­sem Dorf wur­den gefan­gen genom­men und ermor­det, als sie sich wei­ger­ten, das Ver­steck des indo­ne­si­schen Unab­hän­gig­keits­kämp­fers Lukas Kus­ta­rio zu ver­ra­ten. Ein Bericht der Ver­ein­ten Natio­nen vom 12. Januar 1948 nannte die Tötun­gen „vor­sätz­lich und gna­den­los“. Gegen den ver­ant­wort­li­chen Offi­zier Major Alphons Wij­nen wurde kein nie­der­län­di­sches Ermitt­lungs­ver­fah­ren eröff­net. Zehn Über­le­bende konn­ten das erst im Herbst 2008 errei­chen. Das Gericht ent­schied am 14. Sep­tem­ber 2011, dass das Ver­bre­chen wegen sei­ner außer­ge­wöhn­li­chen Natur nicht ver­jäh­ren könne, und machte den nie­der­län­di­schen Staat ver­ant­wort­lich. Es kam zu einem Ver­gleich, nach dem den Klä­gern und Wit­wen der ermor­de­ten Män­ner 20.000 Euro pro Kopf zuge­spro­chen wurde. Am 9. Dezem­ber 2011 sagte Tjeerd de Zwaan, der nie­der­län­di­sche Bot­schaf­ter in Indo­ne­sien: „Wir erin­nern uns an die Mit­glie­der Ihrer Fami­lie und die Ihrer Kol­le­gin­nen und Dorf­be­woh­ner, die vor 64 Jah­ren durch die Aktio­nen des nie­der­län­di­schen Mili­tärs star­ben … Im Namen der nie­der­län­di­schen Regie­rung ent­schul­dige ich mich für die Tra­gö­die, die statt­ge­fun­den hat.“
Indes­sen ver­lief auch eine Front inner­halb der Befrei­ungs­kräfte. Nach der pro­vo­ka­ti­ven Ver­haf­tung kom­mu­nis­ti­scher Offi­ziere in Madiun/Ostjava und ihrem Ver­schwin­den, kam es dort zu einer Revolte, in deren Gefolge am 18. Sep­tem­ber 1948 Mit­glie­der der PKI und der Indo­ne­si­schen Sozia­lis­ti­schen Par­tei (PSI) eine „indo­ne­si­sche Sowjet­re­pu­blik“ aus­rie­fen. Diese Aktion blieb iso­liert. Madiun wurde inner­halb weni­ger Wochen von repu­bli­ka­ni­schen Kräf­ten unter Lei­tung der Sili­wangi-Divi­sion zurück­ge­won­nen, 30 000 Kom­mu­nis­ten und mit ihnen die Anfüh­rer des Auf­stands, Mano­war Musso und Amir Sja­rif­fu­din, wur­den getö­tet. Damit war der Kern der PKI ver­nich­tet. Aidit und Luk­man flo­hen nach China. 1950 grün­de­ten sie dort die PKI neu.
Die Nie­der­schla­gung der Revolte von Madiun führte auf der ande­ren Seite zur diplo­ma­ti­schen Unter­stüt­zung der Repu­blik Indo­ne­sien durch die USA. Durch die ange­drohte Vewei­ge­rung von Mar­shall­plan-Mit­teln setz­ten sie im August 1949 die Ver­hand­lun­gen der Nie­der­lande mit der Repu­blik Indo­ne­sien durch. In der Sou­ve­rä­ni­täts­er­klä­rung gab es neben ande­ren Über­gangs­re­ge­lun­gen einen Vor­be­halt bezüg­lich West­neu­gui­neas. Die an Boden­schät­zen rei­che Halb­in­sel blieb zunächst unter nie­der­län­di­scher Ver­wal­tung, bis diese am 1. Mai 1963 als UNO-Man­dat an Indo­ne­sien über­ge­ben wurde.

Gleich nach der Unter­zeich­nung des Unab­hän­gig­keits­ver­trags und ihm zum Trotz besetzte am 23. Januar 1950 unter dem Kom­mando von Wes­ter­ling eine para­mi­li­tä­ri­sche Ein­heit (APRA, Legion des Ratu Adil, des „Fürs­ten der Gerech­tig­keit“) die die west­ja­va­ni­sche Stadt Bandung. Bei die­ser Aktion unter­stütz­ten Trup­pen der KNIL (Wes­ter­ling, S. 184) seine angeb­li­che „Pri­vat­ar­mee“ (Wes­ter­ling, S. 159). Der Putsch­ver­such schei­tert indes anläss­lich eines wegen Waf­fen­man­gels ver­geb­li­chen Angriffs auf die Poli­zei­ka­serrne in Jakarta. Wes­ter­ling flieht nach Europa, schreibt 195152 in Brüs­sel seine Auto­bio­gra­fie, begibt sich in die Nie­der­lande und ver­zehrt in Purm­er­end bis zu sei­nem Able­ben im Jahr 1987 eine üppige Staatspension. 

Sukar­nos Herr­schaft stützte sich von Beginn an auf den mus­li­mi­schen Kle­rus, auf die Loya­li­tät der Kom­mu­nis­ten, aber immer stär­ker auch auf das Mili­tär, des­sen Offi­ziere regel­mä­ßig zur Aus­bil­dung in die USA geschickt wer­den. Gene­räle kom­man­dier­ten zahl­rei­che Sek­to­ren der indo­ne­si­schen Wirtschaft.

In der Nacht vom 30. Sep­tem­ber auf den 1. Okto­ber 1965 wer­den in Indo­ne­si­ens Haupt­stadt Jakarta sechs Gene­räle, dar­un­ter Armee­chef Ahmad Yani, sowie ein Leut­nant im Zuge eine Putsch­ver­suchs von Offi­zie­ren umge­bracht. Die Put­schis­ten beset­zen den Prä­si­den­ten­pa­last, die Rund­funk­sta­tion und das Post­ge­bäude am Mer­deka-Platz in Jakarta. Ihr Anfüh­rer Oberst­leut­nant Untung erklärt im Rund­funk, dass die „Bewe­gung des 30. Sep­tem­ber“ einen CIA-unter­stütz­ten Putsch des „Rates der Gene­räle“ ver­ei­telt habe. Die Bewe­gung teilt mit, sie unter­stütze Sukarno, die indo­ne­si­sche Revo­lu­tion und richte sich gegen macht­be­ses­sene hohe Offi­ziere. Tim Wei­ner („CIA – Die ganze Geschichte“, Ffm 2009, S. 350) hält die Aktion für einen Putsch von Sukarno gegen die eigene Regie­rung.
Die spä­te­ren Macht­ha­ber um den Chef der Eli­te­ein­heit Kost­rad des stra­te­gi­schen Armee­kom­man­dos, Gene­ral­ma­jor Suharto, machen aber unver­züg­lich die PKI und mit ihr ver­bun­dene Mas­sen­or­ga­ni­sa­tio­nen ver­ant­wort­lich. Das weist schon auf den eigent­li­chen Zweck der Aktion, der viel­leicht nicht jedem der Akteure klar war. Die Offi­ziere um Oberst­leut­nant Untung sind weder Kom­mu­nis­ten noch ver­tre­ten sie sozia­lis­ti­sche Ziele. Auf der ande­ren Seite ist die Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei offen­kun­dig voll­kom­men unvor­be­rei­tet. Womög­lich hat Suharto selbst die Strip­pen gezo­gen, um einen Vor­wand für den eigent­li­chen Putsch zu haben. Als gesi­chert indes darf der Ein­fluss der US-Ame­ri­ka­ner und Bri­ten gel­ten (siehe Brad Simpson, Eco­no­mists with Guns: Aut­ho­ri­ta­rian Deve­lo­p­ment and U.S.-Indonesian Rela­ti­ons, 1960–1968, Stan­ford, CA: Stan­ford Uni­ver­sity Press, 2008). Dem­zu­folge unter­blei­ben mediale und poli­ti­sche Reak­tio­nen im Wes­ten. Allen­falls ist Erleich­te­rung zu spü­ren über die Ein­däm­mung der welt­weit dritt­stärks­ten kom­mu­nis­ti­schen Par­tei. Der Staats­se­kre­tär im US-Außen­mi­nis­te­rium Alexis John­son meint z.B. 1966: „Die Zurück­drän­gung der kom­mu­nis­ti­schen Flut im gro­ßen Land Indo­ne­sien wird wahr­schein­lich neben dem Viet­nam­krieg als einer der his­to­risch bedeu­tends­ten Wen­de­punkte in Asien in die­sem Jahr­zehnt gewer­tet wer­den.“ („The rever­sal of the Com­mu­nist tide in the great coun­try of Indo­ne­sia [is] an event that will pro­ba­bly rank along with the Viet­na­mese war as per­haps the most his­to­ric tur­ning-point in Asia of this decade.“ – zitiert nach Git­tings und dort nach Gabriel Kolko: Con­fron­ting the Third World: US for­eign policy 1945–1980. New York 1988, S. 183).
Die schlimms­ten Mas­sa­ker fin­den statt in den Dör­fern Ost- und Zen­tral­ja­vas, im Umkreis der Plan­ta­gen Nord­su­ma­tras und in Bali. Die Mili­tär­ein­hei­ten kom­men in die Regio­nen, ver­tei­len Waf­fen und instru­ie­ren Ban­den, die durch ört­li­che Groß­grund­be­sit­zer und Reli­gi­ons­füh­rer orga­ni­siert wer­den. Häu­fig umstel­len Mili­tärs die Dör­fer. Sie rich­ten Kom­mu­nis­ten und ver­meint­li­che Sym­pa­thi­san­ten mit Mache­ten hin. Ein­zelne Gemet­zel sind bis in das Jahr 1969 hin­ein belegt. Die meis­ten Autoren schät­zen die Zahl der Opfer auf etwa 500.000. Eine Mil­lion sind wahr­schein­li­cher. Die staat­li­che Pro­pa­ganda hetzt gegen Kom­mu­nis­ten mit Berich­ten über angeb­li­che Gewalt­ex­zesse der PKI. Diese Par­tei zählt Mitte der sech­zi­ger Jahre etwa drei Mil­lio­nen Mit­glie­der. Sie ist damit nach der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Chi­nas und der KPdSU die welt­weit dritt­stärkste kom­mu­nis­ti­sche Par­tei. KP-Gene­ral­se­kre­tär Aidit und die gesamte KP-Füh­rung wer­den ermor­det. Mit Mas­sen­mor­den an hun­dert­tau­sen­den Men­schen wird jeder Ansatz von Oppo­si­tion ver­nich­tet. Gene­ral­ma­jor Suharto setzt an der Spitze einer Mili­tär­di­ka­tur seine „Neue Ord­nung“ durch. Mar­shall Green, seit Mai 1965 US-ame­ri­ka­ni­scher Bot­schaf­ter, hält engen Kon­takt zur Armee, lie­fert Lis­ten von Kom­mu­nis­ten, die noch zu ermor­den sind. Er schreibt am 4. Dezem­ber 1965 an Dean Rusk, sei­nen Außen­mi­nis­ter, dass über 100 000, aber nicht mehr als 200 000 Men­schen allein im Nor­den Suma­tras und in Zen­tral- und Ost­java umge­bracht wor­den sind.
Am Ende geht die CIA von 250 000 bis 500 000 getö­te­ten Kom­mu­nis­ten aus. Tim Wei­ner („CIA – Die ganze Geschichte“, Ffm 2009, S. 353) berich­tet, dass Bot­schaf­ter Green in einer nicht öffent­li­chen Sit­zung des Senats­aus­schus­ses für Aus­wär­tige Bezie­hun­gen seine Anga­ben über die Todes­op­fer revi­diert habe. „Ich glaube, diese Schät­zun­gen soll­ten auf über 500 000 ange­ho­ben wer­den.“ Das Pro­to­koll über die Sit­zung wird im März 2007 der Öffent­lich­keit zugäng­lich gemacht. Sena­tor Ful­bright fragt nach der Ver­wick­lung der USA in den Putsch. Green bestrei­tet sie. Tat­säch­lich ist aber einer der Haupt­ak­teure des Put­sches, Adam Malik, Agent des CIA. Er ist von Clyde McA­voy ange­wor­ben wor­den, der 2005 in einem Inter­view bekennt: „Er [Malik] war der höchst­ran­gige Indo­ne­sier, den wir je ange­wor­ben haben.“ (Wei­ner, S. 351 und Anmer­kun­gen S. 770, dort Hin­weis auf eine wei­tere Quelle: „The For­eign Rela­ti­ons of the United Sta­tes 1964–1968“, Band XXVI, S. 338–380).
Adam Malik (* 1917), offi­zi­el­ler Natio­nal­held Indo­ne­si­ens, war zwi­schen 1959 und 1963 Bot­schaf­ter in der Sowjet­union und Polen, ab 1966 Außen­mi­nis­ter, Reprä­sen­tant Indo­ne­si­ens bei der UN-Gene­ral­ver­samm­lung und 1971 deren Vor­sit­zen­der. 1977 trat er als Außen­mi­nis­ter zurück, bleibt bis zu sei­nem Tode 1984 Vize­prä­si­dent des Lan­des.
Am 11. März 1966 erzwingt Suharto von Prä­si­dent Sukarno die Voll­macht zur Regie­rungs­bil­dung; Sukarno erklärt am 22. Februar 1967 sei­nen Rück­tritt, danach bleibt er bis zu sei­nem Tod im Juni 1970 unter Haus­ar­rest. Am 27. März 1968 über­nimmt Suharto auch for­mell das Amt des Staats­prä­si­den­ten.
Suharto ver­fügt im Jahr 1967 per Dekret, dass der 1. Okto­ber fortan als Hari Kes­ak­tian Pan­ca­sila („Pan­ca­sila Sanc­tity Day”) der Erin­ne­rung an den ver­ei­tel­ten Putsch gewid­met wer­den solle.
Erst im Jahr 1995 wird diese dis­kri­mi­nie­rende Pra­xis auf­ge­ho­ben. Der Anti­kom­mu­nis­mus wird in der Neuen Ord­nung zu einem Repres­si­ons­in­stru­ment gegen jede Art von Oppo­si­tion. Noch Mitte der 1990er Jahre wird die Gefahr des Kom­mu­nis­mus her­auf­be­schwo­ren. Der Gene­ral­stabs­chef der Armee, Suyono, warnt vor „form­lo­sen Orga­ni­sa­tio­nen“ („OTB“) und Gene­ral­leut­nant Syar­wan Hamid vor „Kom­mu­nis­ten neuen Stils“ („Komu­nis Gaya Baru“, „KGB“). Er behaup­tet, dass ehe­ma­lige PKI-Mit­glie­der jetzt mit Men­schen­recht­lern und Umwelt­schüt­zern koope­rier­ten. Noch Anfang der 1990er Jahre haben 1,35 Mil­lio­nen Indo­ne­sier in ihrem Aus­weis einen Ver­merk, wonach sie ehe­ma­lige poli­ti­sche Gefan­gene („ET“, Eks Tahanan) sind (nach Andreas Ufen, Ver­gan­gen­heits­po­li­tik in Indo­ne­sien: Die Mas­sa­ker von 1965–1966, GIGA (Ger­man Insti­tute of Glo­bal and Area Stu­dies )-Focus 3/2014.

Wie geht es in Indo­ne­sien nach Suhar­tos Putsch wei­ter? Prompt folgt die Annek­tion West­neu­gui­neas. Bereits im Früh­jahr 1966 wird der US-Berg­bau­gi­gant Free­port zu ers­ten Gesprä­chen ein­ge­la­den. Free­port erhält zu selbst gewähl­ten Kon­di­tio­nen einen Ver­trag über 30-jäh­rige Nut­zungs­rechte an der rei­chen Erts­berg-Kup­fer-Mine in West­neu­gui­nea. Auf der Grund­lage des soge­nann­ten New Yor­ker Abkom­mens, also mit UNO-Man­dat, hatte Indo­ne­sien seit 1963 West­neu­gui­nea ver­wal­tet. Damit war aber die Ver­pflich­tung ver­bun­den, freie Wah­len unter den Bewoh­nern der Insel, den Papua, zu orga­ni­sie­ren. Der Act of Free Choice sollte die Option für die Unab­hän­gig­keit der Halb­in­sel sichen. Unver­züg­lich wer­den jetzt aber die Papua durch indo­ne­si­sches Mili­tär ter­ro­ri­siert. US-Bot­schaf­ter Frank Gal­braith weiß von den Völ­ker­mord­plä­nen an den Papua. Tat­säch­lich wer­den 30 000 von ihnen ermor­det. Und den­noch sind noch höchst mani­pu­la­tive Akti­vi­tä­ten fäl­lig, um die Abstim­mung 1969 zuguns­ten Indo­ne­si­ens und Free­ports aus­fal­len zu las­sen. Und nach die­ser Aktion geht das Mor­den wei­ter. Vor­sich­tige Schät­zun­gen spre­chen von 100 000 Opfern bis 2007.

Ähn­lich geht Suharto und seine Mili­tärs gegen Ost­ti­mor vor. Die Ölfel­der auf Ost­ti­mor und in der Timor­see zwi­schen Timor und Aus­tra­lien gehö­ren zu den reichs­ten im asia­tisch-pazi­fi­schen Raum. Am 6. Juni 1975 beset­zen indo­ne­si­sche Trup­pen die por­tu­gie­si­sche Enklave Oecussi-Ambeno in West­ti­mor, im Okto­ber des­sel­ben Jah­res auch grenz­nahe Gebiete der Kolo­nie Por­tu­gie­sisch-Timor. Die „Revo­lu­tio­näre Front für die Unab­hän­gig­keit von Ost­ti­mor“ (FRE­TI­LIN) ruft am 28. Novem­ber 1975 die Unab­hän­gig­keit der bis­he­ri­gen por­tu­gie­si­chen Kolo­nie aus.
Staats­chef Suharto befiehlt am 7. Dezem­ber 1975 die mili­tä­ri­sche Inva­sion Ost­ti­mors. In den fol­gen­den Wochen wer­den 60.000 Men­schen getö­tet, 10 % der Bevöl­ke­rung. Ost­ti­mor wird am 17. Juni 1976 dem indo­ne­si­schen Staats­ver­band ein­ge­glie­dert. Der Gue­ril­la­krieg bis 1999 for­dert wei­tere 140 000 Opfer.
Schließ­lich kommt es 1999 zu einem Unab­hän­gig­keits­re­fe­ren­dum, des­sen Ergeb­nisse das indo­ne­si­sche Mili­tär noch ein­mal zu Mas­sa­kern ver­an­lasst. Ost­ti­mor kommt unter UN-Ver­wal­tung. Erst seit Mai 2002 ist das kleine Land unabhängig.

Suhar­tos Dik­ta­tur endet 1998. Das Brut­to­in­lands­pro­dukt (BIP) stieg in den Jah­ren 1966 bis 1997 von 50 Dol­lar auf 1000 Dol­lar pro indo­ne­si­scher Nase – zum gro­ßen Teil auf Pump. In die BIP-Berech­nung gehen die pri­va­ten Erlöse der Erdöl- und Gas­pro­duk­tion ein, sowie der Aus­bau der Tex­til­in­dus­trie. Unglück­li­cher­weise ent­wi­ckeln sich aber, nicht nur in Indo­ne­sien, just durch Immo­bi­li­en­bla­sen besi­cherte, letzt­lich unein­bring­li­che Kre­dit­kas­ka­den. Die Welt erlebt im Früh­jahr 1998 den größ­ten Crash der letz­ten 50 Jahre. Mas­sen von Kapi­tal flie­ßen ab. Im August 1997 wird die indo­ne­si­sche Rupiah vom US-Dol­lar abge­kop­pelt. Trotz der Ret­tungs­schirme von IWF, Welt­bank und ande­rer Quel­len in Höhe von 48 Mil­li­ar­den Dol­lar kommt es im Dezem­ber zu einem Bank Run, die Hälfte aller Bank­ein­la­gen wird abge­zo­gen. Die staat­li­che Indo­ne­sian Bank Res­truc­tu­ring Agency (IBRA) wird gegrün­det und gibt eine Gene­ral­ga­ran­tie zuguns­ten der Ban­ken Indo­ne­si­ens ab. Aber die Rupiah fällt wei­ter. Schließ­lich schließt die IBRA im April 1998 sie­ben Ban­ken, über­nimmt sie­ben wei­tere. Viele Fir­men gehen bank­rott, das BIP schumpft im Jahr 1998 um 13,7%, die Arbeits­lo­sig­keit steigt auf 22%. Stu­den­ten revol­tie­ren. Die Bank Runs hal­ten an. Prä­si­dent Suharto muß zurück­tre­ten. Ins­ge­samt stel­len IWF, Welt­bank und andere Geld­in­sti­tute 85 Mil­li­ar­den Dol­lar für Indo­ne­sien, Süd­ko­rea, Phil­ip­pi­nen und Thai­land bereit, aller­dings unter der Vor­aus­set­zung von Austeri­täts­pro­gram­men und neo­li­be­ra­ler Struk­tur­re­for­men samt fäl­li­ger Über­wa­chungs­kom­mis­sio­nen.
Die Pro­test­welle der Stu­den­ten erreicht ihren Höhe­punkt in den Tagen vom 12. bis zum 14. Mai 1998 an den Hoch­schu­len und in den Stra­ßen von Jakarta. Vor­der­grün­dig geht es um Kor­rup­ti­ons­vor­würfe gegen Prä­si­dent Suharto. In der Tat hat er sich aus der Staats­kasse reich­lich bedient. Ein ärzt­li­ches Attest im Jahre 2000 reicht indes aus, um einen Pro­zess wegen der Ver­un­treu­ung von umge­rech­net rund 387 Mil­lio­nen Euro aus öffent­li­chen Gel­dern aus­zu­set­zen. Spä­ter erhöht sich diese Summe auf eine Mil­li­arde. Suhar­tos sechs Kin­der und deren Ange­hö­rige hal­ten bis heute Anteile an allen wich­ti­gen Bran­chen der indo­ne­si­schen Wirt­schaft; Sohn Bam­bang Tri­hat­modjo steht auf der For­bes-Liste mit einem Ver­mö­gen von 200 Mil­lio­nen Dol­lar.
Am 21. Mai 1998 ist Schluss, Suharto tritt zurück. Nach­fol­ger wird Bacha­rud­din Jusuf Habi­bie. Es fol­gen Wah­len im Okto­ber 1999. Seit dem 20. Okto­ber 1999 ist Abdur­rah­man Wahid Staats­prä­si­dent, gewählt durch die Bera­tende Volks­ver­samm­lung, obwohl Mega­wati Sukar­no­pu­tri, die Toch­ter Sukar­nos, als Wahl­sie­ge­rin gel­ten muss. Wahid wurde am 23. Juli 2001 von der­sel­ben Bera­ten­den Volks­ver­samm­lung abge­setzt. Als Gründe wer­den Inkom­pe­tenz und Kor­rup­tion genannt, den Aus­schlag aber gibt womög­lich der Umstand, dass unter sei­ner Regie­rung Ver­su­che unter­nom­men wur­den, die Geschichte der Ereig­nisse um 1965 neu zu über­den­ken. Dabei spielte eine Rolle, dass die Ver­ord­nung TAP MPRS No. 251966, wel­che die Ver­brei­tung von mar­xis­ti­schem, leni­nis­ti­schem und kom­mu­nis­ti­schem Gedan­ken­gut ver­bie­tet, für ungül­tig erklärt wor­den ist. Damit waren aber Repu­ta­tion, Auto­ri­tät und Inter­es­sen des Mili­tärs bedroht (siehe Wijaya Herlam­bang, Film als Mit­tel der Pro­pa­ganda; in: Anett Kel­ler, Indo­ne­sien 1965 ff. Ber­lin 2015, S. 133). Ab dem 23. Juli 2001 ist Mega­wati Sukar­no­pu­tri Staats­prä­si­den­tin. Bei den ers­ten Direkt­wah­len im Juli 2004 unter­liegt sie indes dem frü­he­ren Gene­ral Susilo Bam­bang Yud­ho­yono. So schließt sich der Kreis. Das Mili­tär bleibt bis zum 2014 die ent­schei­dende Macht in Indo­ne­sien. Erst im Juli 2014 kommt es zur Wahl eines Nicht­mi­li­tärs, des Möbel­händ­lers Joko Widodo, der als der indo­ne­si­sche Obama bewor­ben wird.

Bevor wir die Frage stel­len, wie mit der jah­re­lan­gen Umkeh­rung von Schuld, wie mit dem jahr­zehn­te­lan­gen Schwei­gen gegen­wär­tig in Indo­ne­sien umge­gan­gen wird, soll­ten wir eine andere beant­wor­ten. Ob und wie sind die Ereig­nisse von 1965 im Rest der Welt ver­ar­bei­tet wor­den? Wie kamen die Mas­sen­morde in den west­li­chen Medien, in Büchern und Fil­men vor?
Auch bei uns: Schwei­gen.
Einen Spiel­film konnte ich sehen. Immer­hin. Aber er ver­brei­tet die offi­zi­elle Lüge, die den Mili­tär­putsch im Okto­ber 1965 als Reak­tion auf einen lin­ken Putsch­ver­such dar­stellt. Der Film heißt „Ein Jahr in der Hölle“ (The Year of Living Dan­ge­rously), ist 1982 von Peter Weir gedreht wor­den. Peter Weir ist ein bekann­ter Regis­seur. Sein Film „Der Club der toten Dich­ter“ von 1989, in dem Robin Wil­liams in der Rolle des Leh­rers Schü­ler für anti­rea­lis­ti­sche Lite­ra­tur begeis­tert, wird gerne über­schätzt. Andere Filme von ihm sind: „Green Card“ 1990; „Fearless – Jen­seits der Angst“ 1993; „Die Tru­man Show“ 1998)
Repor­ter Guy Hamil­ton, gespielt von Mel Gib­son kommt Mitte der 60er Jahre nach Jakarta. Hier arbei­tet er für eine aus­tra­li­sche Nach­rich­ten­agen­tur. Guy lernt den klein­wüch­si­gen Foto­gra­fen Billy Kwan ken­nen. Billy bie­tet Guy einen Deal an: Mit Hilfe sei­ner exzel­len­ten Kon­takte ver­sorgt er Guy mit Sto­ries. Im Gegen­zug beschäf­tigt Guy sei­nen Bekann­ten exklu­siv als Foto­gra­fen. So ver­schafft Billy dem Jour­na­lis­ten ein Inter­view mit dem Genos­sen Aidit, dem Gene­ral­se­kre­tär der KP. Durch Billy lernt der Repor­ter die bri­ti­sche Bot­schafts­an­ge­stellte Jill Bryant ken­nen. Jill warnt Guy, dass sich ein mit Waf­fen für die Kom­mu­nis­ten bela­de­nes Schiff auf dem Weg nach Indo­ne­sien befinde. Ein Bür­ger­krieg stehe unmit­tel­bar bevor. Guy hat einen indo­ne­si­schen Assis­ten­ten, Mit­glied der KP. Auch der warnt ihn. Guys Name stehe auf der Todes­liste der Kom­mu­nis­ten. Aber das hält den muti­gen Repor­ter nicht von sei­nen Recher­chen ab.
Der Bür­ger­krieg beginnt, Guy wird von Regie­rungs­sol­da­ten schwer ver­letzt. Er war­tet in Bil­lys Bun­ga­low den Aus­gang der Kämpfe ab. Er erfährt, dass die Kom­mu­nis­ten ver­lo­ren haben, und schlägt sich zum Flug­ha­fen durch, wo er glück­lich Jill wiedertrifft.

Zu emp­feh­len ist der Roman „Amok“, Ver­lag Das Neue Ber­lin, 1974, des DDR-Autors Harry Thürk (1927−2005). Haupt­fi­gur ist der Kapi­tän und Kom­mu­nist Hussar, aus des­sen Blick­win­kel wir die Ereig­nisse von 1965 erfah­ren. Der Roman erlebte sie­ben Auf­la­gen. Der­selbe Autor hat zusam­men mit dem Staats­recht­ler Prof. Dr. Diet­helm Wei­de­mann das Buch geschrie­ben: „Indo­ne­sien ’65, Ana­to­mie eines Put­sches“, Mili­tär­ver­lag der DDR, Ber­lin 1975. Es ana­ly­siert die Ereig­nisse. Beide Bücher sind anti­qua­risch noch erhältlich.

Indo­ne­si­sche Lite­ra­tur ist über­wie­gend in der jun­gen indo­ne­si­schen Ver­kehrs­spra­che (Bahasa Indo­ne­sia) ver­fasst. Gegen­wär­tig kön­nen gerade mal 7,2% der Bevöl­ke­rung lesen und schrei­ben. Noch herrscht in die­sem tro­pi­schen Land die Tra­di­tion münd­li­cher Über­mitt­lung von Tex­ten: Das Publi­kum ver­stän­digt sich ästhe­tisch durch Pup­pen- und Schat­ten­spiel, bei Rezi­ta­tio­nen von Lyrik. Die ein­heit­li­che indo­ne­si­sche Spra­che hat sich erst mit der Ent­ste­hung der indo­ne­si­schen Nation nach 1945 her­aus­bil­den kön­nen, ihre Quelle ist ein malai­ischer Dia­lekt von der Insel Suma­tra. Nie­der­län­di­sche Sprach­ein­flüsse rei­chen bis 1942. Immer­hin wächst das Buch- und Ver­lags­we­sen ste­tig. 1200 Ver­lage (BRD: 1800) ver­öf­fent­li­chen 40 000 Titel im Jahr (BRD 90 000). Der Umsatz beträgt 50 Mio Euro (BRD 9,3 Mrd) und erfährt jähr­li­che Stei­ge­run­gen von 7%.
Die erste Gene­ra­tion von Autoren der indo­ne­si­schen Natio­nal­li­te­ra­tur wer­den reprä­sen­tiert von Ren­dra (* 1935) und Pra­moe­dya Ananta Toer (1925–2006) (kurz: Pram). Toer war schon Par­ti­san im Befrei­ungs­krieg gegen die Japa­ner, stand den Kom­mu­nis­ten nahe und war unter Suharto 14 Jahre lang inhaf­tiert, zuletzt auf der Gefäng­nis­in­sel Buru (Moluk­ken). Hier ent­stand seine Buru-Tetra­lo­gie. Mehr­fach, aber ver­geb­lich wurde Toer für den Nobel­preis nomi­niert. Erst 1999 konn­ten seine Werke in Indo­ne­sien erschei­nen.
Nach den Stu­den­ten­pro­tes­ten von 1998 und dem Sturz von Suharto ent­stand eine neue Gene­ra­tion von Lite­ra­ten. Laksmi Pam­unt­jak (* 1971) hat den Roman „Amba“ (Alle Far­ben Rot) geschrie­ben, in dem sie die Mas­sen­morde von 1965 ff. ver­ar­bei­tet. Ähn­lich enga­giert ist Leila S. Chu­dori mit ihrem ers­ten Roman „Pulang“. Prot­ago­nis­ten ihres Romans sind ein Genosse, der in Paris Asyl fin­det und als Koch in einem indo­ne­si­schen Restau­rant arbei­tet, sowie seine Toch­ter, die sich 1998 nach Dja­karta begibt, um einen Doku­men­tar­film zu dre­hen, und mit Stu­den­ten­pro­tes­ten kon­fron­tiert wird. Auf­fäl­lig häu­fig wird von indo­ne­si­schen Spei­sen und Gewür­zen geschrie­ben.
Indo­ne­sien war Gast­land auf der Frank­fur­ter Buch­messe vom 14. bis 18. Okto­ber 2015.
Aus­ge­stellt wur­den in Frank­furt 850 Über­set­zun­gen aus und zu Indo­ne­sien, von 180 Ver­la­gen. Es gab 570 Ver­an­stal­tun­gen mit 75 indo­ne­si­schen Autorin­nen und Autoren. Das deut­sche Publi­kum fand 142 neue Titel in deut­scher Spra­che vor, 53 davon bel­le­tris­tisch.
Mein Buch­händ­ler indes zeigte sich über den Ver­kaufs­er­folg indo­ne­si­scher Lite­ra­tur wenig begeis­tert. Auch Hol­ger Heimann hat am 16. August 2015 im Deutsch­land­funk ihre Reso­nanz bei uns und im eige­nen Lande eher gering ein­ge­schätzt. Er zitiert den Dich­ter und Ver­le­ger Agus Sar­jono: „Tat­säch­lich sind es nur zehn Pro­zent der Indo­ne­sier, viel­leicht auch nur fünf Pro­zent, die sich für Bücher erwär­men und diese kau­fen. Vie­len ist ein­fach nicht klar, dass Lesen unge­heuer span­nend sein kann. Selbst an den Uni­ver­si­tä­ten ist das so. Ich bin mir unsi­cher, ob es ein grund­sätz­li­ches Des­in­ter­esse gibt oder ob die Men­schen ein­fach nicht daran gewöhnt sind zu lesen.“
Der ame­ri­ka­ni­sche Ver­le­ger John McGlynn sieht die Gründe in der Zeit der Suharto-Dik­ta­tur:
„Wäh­rend der Suharto-Ära waren Lite­ra­tur und Spra­chen keine Pflicht­fä­cher mehr in den Schu­len. Die Leute lern­ten nicht, sich schrei­bend aus­zu­drü­cken, Lite­ra­tur zu schät­zen. Inso­fern ist es bemer­kens­wert, dass Indo­ne­sien heute über­haupt so viele talen­tierte Autoren hat.“
Die Buch­hand­lun­gen seien viel­fach ein Abbild der Bil­dungs­mi­sere, schätzt Heimann. Die Pro­vinz sei ohne­hin unter­ver­sorgt, zwar fän­den sich in Jakarta Buch­hand­lun­gen, aber es über­wö­gen reli­giöse Bücher, Rat­ge­ber und simple Erfolgsgeschichten.

Mar­tin Jan­kow­ski (* 1965 in Greifs­wald) schreibt in „Indo­ne­sien lesen. Noti­zen zu Lite­ra­tur und Gesell­schaft“ (regio­spec­tra Ver­lag, Ber­lin 2014) über seine lite­ra­ri­schen Erfah­run­gen im Lande. Der Autor ver­steht sich als vor­ma­li­ger Dis­si­dent im oppo­si­tio­nel­len Unter­grund des „Sta­si­staa­tes“ (S. 102: „hat­ten das Glück, dass zwei wich­tige Umstände uns hal­fen, unser nicht­de­mo­kra­ti­sches Land fried­lich und in kür­zes­ter Zeit in ein freies und demo­kra­ti­sches umwan­deln zu kön­nen“… „Auf der ande­ren Seite gab es bereits einen star­ken, freien und demo­kra­ti­schen deut­schen Staat, der auf uns war­tete: West­deutsch­land war bereit für die Wie­der­ver­ei­ni­gung schon bald nach dem Mau­er­fall.“), eine poli­ti­sche Hal­tung, die das his­to­ri­sche Blick­feld ein­zu­he­gen imstande ist, aber hel­fen dürfte, wenn es gilt, über staat­li­che Stel­len und offi­zi­elle Kul­tur­po­li­tik Ver­bin­dun­gen zu knüp­fen. Jan­kow­ski schil­dert zwar den gegen­wär­ti­gen lite­ra­ri­schen Auf­bruch in Indo­ne­sien nach der Unter­drü­ckung durch die Mili­tär­herr­schaft. Von den Ereig­nis­sen von 1965 ist aber nur am Rande die Rede. Jan­kow­ski fasst auf acht Sei­ten die Geschichte indo­ne­si­scher Lite­ra­tur zusam­men (S. 143–151) und lässt immer­hin Doro­thea Rosa Her­liany zu Wort kom­men (S. 159–174), eine Autorin, die den Zusam­men­hang von kolo­nia­ler Unter­drü­ckung und öko­no­mi­schen sowie kul­tu­rel­len Hemm­nis­sen zum Thema macht („Indo­ne­sien als Nation befin­det sich in tie­fer öko­no­mi­scher Abhän­gig­keit zur Poli­tik und Kul­tur ande­rer Natio­nen, die sich leis­tungs­fä­hi­ger füh­len“). Her­liany schreibt über wider­stän­dige Lite­ra­tur, die sich mit dem Kolo­nia­lis­mus wie mit der jün­ge­ren Geschichte in der Folge der Mas­sa­ker von 1965 aus­ein­an­der­setzt. Schon ein knap­per und unschar­fer Über­blick lässt erken­nen, wie Bel­le­tris­tik es ver­mag, die Lücken in der Ver­ar­bei­tung der gesell­schaft­li­chen und poli­ti­schen Trau­mata der sech­zi­ger Jahre zu schlie­ßen. Sie erfüllt Auf­ga­ben, die His­to­ri­ker wie über­haupt Gesell­schafts­wis­sen­schaf­ter offen­bar noch nicht bewältigen.

Vom 10. bis 13. Novem­ber 2015 fand in der Nieuwe Kerk in Den Haag das „Inter­na­tio­nal Peo­p­les Tri­bu­nal 1965“ statt. Von ihm berich­tete Anette Kel­ler am 23. Novem­ber 2015 in der „jun­gen Welt“.
Die­selbe Autorin hat das Lese­buch „Indo­ne­sien 1965ff.“ (regio­spec­tra Ver­lag, Ber­lin 2015) her­aus­ge­ge­ben, in dem Über­le­bende von Mord, Haft und Fol­ter, aber auch von Soli­da­ri­tät erzäh­len. Indo­ne­si­sche Wis­sen­schaft­ler beschrei­ben die noch heute wirk­sa­men Hemm­nisse durch Denk­mus­ter und Macht­struk­tu­ren, die sich gegen die fäl­lige Auf­ar­bei­tung richten.

Klaus Stein, 23. Februar 2016

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