Gedenk­stunde anläß­lich des 71. Jah­res­tags der Befrei­ung von Auschwitz.

27. Januar 2016. In der Köl­ner Anto­ni­ter­kir­che ist kein Platz mehr frei. Musi­ker und Schau­spie­ler bie­ten eine packende sze­ni­sche Darstellung.

Esther Bejarano mit SohnKöl­ner Schu­len in der NS-Zeit
Von Anfang an geht es um die Abwehr der Ideen von Demo­kra­tie, Pazi­fis­mus, Eman­zi­pa­tion und Libe­ra­lis­mus. Gleich 1933 wer­den alle Freie Schu­len geschlos­sen, Leh­rer dis­zi­pli­niert und durch den NS-Leh­rer­bund gleich­ge­schal­tet. Das „Gesetz für die Wie­der­her­stel­lung des Berufs­be­am­ten­tums“ vom 7. April 1933 bie­tet die Hand­habe:
„§ 3 Beamte, die nicht­ari­scher Abstam­mung sind, sind in den Ruhe­stand zu ver­set­zen.
§ 4 Beamte, die nach ihrer bis­he­ri­gen poli­ti­schen Betä­ti­gung nicht die Gewähr dafür bie­ten, daß sie jeder­zeit rück­halt­los für den natio­na­len Staat ein­tre­ten, kön­nen aus dem Dienst ent­las­sen wer­den.“ Jeden Mon­tag kom­men die Leh­rer und Leh­re­rin­nen in der Mes­se­halle zusam­men, um ihre Ein­füh­rung in die Grund­la­gen der Ideo­lo­gie des NS-Staa­tes zu erhal­ten. Gelän­de­sport, Ras­sen­kunde, Ver­er­bungs­lehre und Hei­mat­kunde sind die Inhalte mehr­tä­gi­ger Zwangs­ver­an­stal­tun­gen, soge­nann­ter natio­nal­po­li­ti­scher Lager. Wer nicht teil­nimmt, wird gemel­det.
„Der völ­ki­sche Staat hat seine gesamte Erzie­hungs­ar­beit in ers­ter Linie nicht auf das Ein­pum­pen blo­ßen Wis­sens ein­zu­stel­len, son­dern auf das Her­an­züch­ten kern­ge­sun­der Kör­per. Erst in zwei­ter Linie kommt dann die Aus­bil­dung der geis­ti­gen Fähig­kei­ten. Die gesamte Bil­dungs- und Erzie­hungs­ar­beit des völ­ki­schen Staa­tes muss ihre Krö­nung darin fin­den, dass sie den Ras­se­sinn und das Ras­se­ge­fühl instinkt- und ver­stan­des­mä­ßig in Herz und Gehirn der ihr anver­trau­ten Jugend hin­ein brennt.“ „Eine gewalt­tä­tige, her­ri­sche uner­schro­ckene, grau­same Jugend will ich.“ (aus: Hit­ler, Mein Kampf)

Ober­stu­di­en­di­rek­tor Dr. Albert Maier vom Schil­ler-Gym­na­sium war Mit­glied der Zen­trums­par­tei gewe­sen. Seine Frau ist jüdi­scher Abstam­mung. Er wird sei­nes Amtes ent­ho­ben. Die junge Reli­gi­ons­leh­re­rin Ina Gschlössl wird ent­las­sen. Das SPD-Mit­glied hatte Texte für die Gleich­be­rech­ti­gung von Theo­lo­gin­nen ver­fasst und bereits 1932 in einem Auf­satz auf die von einer NS-Regie­rung dro­hen­den Gefah­ren der Juden­ver­fol­gung auf­merk­sam gemacht.
Dr. August Alt­meyer, seit 1929 Ober­stu­di­en­di­rek­tor des Apos­tel­gym­na­si­ums, zeigte Man­gel an „gleich­ge­schal­te­ten Gefüh­len“, wie es in einem Bericht heißt. Der Geist Hit­lers ver­lange gebie­te­risch die Ent­fer­nung des Lei­ters des Apos­tel­gym­na­si­ums aus jeder füh­ren­den Stel­lung. Dr. Alt­meyer beteu­ert ver­geb­lich seine Loya­li­tät, er wird degra­diert und schließ­lich zwangs­pen­sio­niert. Straf­ver­setzt ans Apos­tel­gym­na­sium und eben­falls degra­diert wird sein Kol­lege, Dr. Josef Schnip­pen­köt­ter. Der passt sich aber nicht an und bewahrt seine kri­ti­sche Hal­tung. Dr. Hein­rich Deckel­mann, zuvor Lei­ter des Fried­rich-Wil­helm-Gym­na­si­ums, wird neuer Direk­tor der Schule. Er hatte sich als Wer­ber für die Hit­ler­ju­gend aus­ge­zeich­net.
Im Jahr 1985, zur Vor­be­rei­tung des 125. Schul­ju­bi­lä­ums erhiel­ten drei Leh­rer Otto Geudt­ner, Hans Hengs­bach und Sybille Wes­ter­kamp, den Auf­trag, sich mit der NS-Geschichte des Apos­tel­gym­na­si­ums zu beschäf­ti­gen. Es genoss den Ruf, als katho­li­sche Hoch­burg in der Nazi­zeit dem Huma­nis­mus ver­pflich­tet geblie­ben zu sein und der brau­nen Gesin­nung getrotzt zu haben. Die Recher­che ergab indes: Von Wider­stand keine Spur, dage­gen frü­heste Anpas­sung an den Trend der Zeit. Die Fest­schrift zum 75. Jubi­läum 1935 atmete den Nazi-Geist und ver­kün­dete vor­aus­ei­lend: Das APG ist juden­frei. Die Ergeb­nisse ihrer For­schun­g­ar­beit muß­ten die drei Kol­le­gen pri­vat publi­zie­ren. Ihr Buch „Ich bin katho­lisch getauft und Arier“ von 1985, konnte zwar pünkt­lich zum Jubi­läum erschei­nen. Aber das offi­zi­elle Gre­mium des Fest­aus­schus­ses unter­sagte dem Buch­händ­ler, das Buch in der Schule zu prä­sen­tie­ren und zu ver­kau­fen. Die Schul­be­hörde wirft den Dreien „Stö­rung des Schul­frie­dens“ vor. Sie müs­sen die­sem beam­ten­rech­lich rele­van­ten Vor­wurf mit juris­ti­schem Bei­stand ent­ge­gen­tre­ten. Mob­bing ver­an­lasst sie schlie­ßich, sich an andere Schu­len ver­set­zen zu las­sen. Erst 2010 zieht eine Fest­schrift der Schule klein­laut das neue Fazit: „..las­sen die spär­li­chen Quel­len doch den Schluss zu, dass diese Schule kein Ort des kol­lek­ti­ven oder gar orga­ni­sier­ten Wider­stands war.“
Die neuen Lehr­pläne in den Schu­len ord­nen vor allem die Fächer Deutsch, Geschichte, Bio­lo­gie sowie Sport der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ideo­lo­gie unter. Sie wer­den neu bewer­tet. Geschichte gilt an allen Schul­for­men als Gesin­nungs­fach. Deutsch- und Geschichts­leh­rer müs­sen ein über das Übli­che hin­aus­ge­hen­des Treue­be­kennt­nis zum Staat able­gen. Geschichts­un­ter­richt ver­mit­telt fortan die Geschichte als Ras­sen­kampf. Der Kampf um das Dasein, also die Durch­set­zung ver­meint­lich hoch­wer­ti­ger und die Knech­tung oder gar Aus­rot­tung ver­meint­lich min­der­wer­ti­ger „Ras­sen“ bil­den den neuen Fokus. Eine beson­dere Auf­wer­tung erfährt auch das Fach Lei­bes­er­zie­hung, indem die Wochen­stun­den­zahl von zwei auf fünf erhöht wird. Fremd­spra­chen, vor allem alte Spra­chen, Mathe­ma­tik, Phy­sik, und Che­mie ver­lie­ren an Gewicht. Neu ein­ge­führt wird das Fach Ras­sen­kunde. Es wird fächer­über­grei­fend unter­rich­tet.
Im Zuge wei­te­ren Bil­dungs­ab­baus wer­den ab 1937 Gym­na­sien geschlos­sen oder zu ande­ren Schul­ty­pen her­un­ter­ge­stuft. Höhere Schu­len für Jun­gen strei­chen aus­drück­lich die 12. und 13. Klas­sen, damit 1939, zu Kriegs­be­ginn, zwei Offi­ziers­jahr­gänge zur Ver­fü­gung ste­hen.
Nach dem Dienst in der HJ fol­gen in der Regel für Jun­gen Arbeits­dienst und Wehr­macht.
Hit­ler 1939 vor Kreis­lei­tern in Rei­chen­berg:
„Diese Jugend, die lernt ja nichts ande­res als deutsch den­ken, deutsch han­deln„„ Und wenn diese Kna­ben mit zehn Jah­ren in unsere Orga­ni­sa­tio­nen hin­ein­kom­men (…), dann kom­men sie vier Jahre spä­ter vom Jung­volk in die Hit­ler­ju­gend, und dort behal­ten wir sie wie­der vier Jahre, und dann geben wir sie erst recht nicht zurück (…), son­dern dann neh­men wir sie sofort in die Par­tei, in die Arbeits­front, in die SA oder in die SS usw. Und wenn sie dort (…) noch nicht ganze Natio­nal­so­zia­lis­ten gewor­den sein soll­ten, dann kom­men sie in den Arbeits­dienst und wer­den dort wie­der sechs und sie­ben Monate geschlif­fen, alle mit einem Sym­bol, dem deut­schen Spa­ten. Und was dann nach sechs oder sie­ben Mona­ten noch an Klas­sen­be­wusst­sein oder Stan­des­dün­kel da oder da noch vor­han­den sein sollte, das über­nimmt dann die Wehr­macht zur wei­te­ren Behand­lung auf zwei Jahre, und wenn sie nach zwei, drei oder vier Jah­ren zurück­keh­ren, dann neh­men wir sie, damit sie auf kei­nen Fall rück­fäl­lig wer­den, sofort wie­der in die SA, SS usw., und sie wer­den nicht mehr frei, ihr gan­zes Leben.“
Mäd­chen und Frauen wer­den mas­siv aus dem aka­de­mi­schen Leben ver­drängt. Nur noch 10 Pro­zent von ihnen kön­nen die Hoch­schul­reife erlan­gen. Denn junge Frauen sol­len auf ihre Auf­ga­ben als Müt­ter vor­be­rei­tet wer­den. „Damit“, so der West­deut­sche Beob­ach­ter, soll „das unbe­rech­tigte Ein­drin­gen der Mäd­chen in alle Berufe unter­bun­den werden.“

Den Text die­ser sze­ni­schen Mon­tage hat eine Redak­tios­gruppe erar­bei­tet. Vor­ge­tra­gen wird er von Maria Ammann, Renate Fuhr­mann, Marc-And­ree Bartelt und Josef Trat­nik, unter­bro­chen von Mar­kus Rein­hardts Vio­line und von Rap der Micro­phone Mafia mit Esther Bejarano.

Zuletzt geht es um das Schick­sal des Reform­re­al­gym­na­si­ums Jawne, die erste und ein­zige jüdi­sche höhere Schule im Rhein­land. Sie bestand seit 1919. Ende der 1920er Jahre besu­chen über 400 Jun­gen und Mäd­chen die pri­vate Ein­rich­tung. Durch die Ver­drän­gung und den Aus­schluss aus den öffent­li­chen Schu­len kom­men ab 1933 immer mehr Schü­ler und Schü­le­rin­nen hinzu, auch aus Orten außer­halb Kölns. So wech­selt auch Karla Bern­hard-Rath, Jahr­gang 1925, an die Jawne. Nach der Reichs­po­grom­nacht sinkt die Schü­ler­zahl infolge der zuneh­men­den ver­zwei­fel­ten Flucht- und Aus­wan­de­rungs­be­mü­hun­gen ste­tig. Der Schul­di­rek­tor Erich Klib­an­sky hat lange vor den Pogro­men die Über­sied­lung der Schule nach Eng­land geplant. Inten­si­ver Fremd­spra­chen­un­ter­richt berei­tet auf die Aus­wan­de­rung vor. In eini­gen Klas­sen kön­nen Schü­ler und Schü­le­rin­nen das Cam­bridge School Cer­ti­fi­cate erlan­gen, das eine Aner­ken­nung zum Schul­be­such auf wei­ter­füh­ren­den bri­ti­schen Schu­len beinhal­tet. Hebrä­isch wird mit dem Ziel unter­rich­tet, die Ein­wan­de­rung nach Paläs­tina zu erleich­tern, aber anders als an den gleich­ge­schal­te­ten Nazi­schu­len hat auch Latein ein gro­ßes Gewicht im Lehr­plan.
Im Januar 1939 gelan­gen die ers­ten Schü­ler nach Lon­don. Karla Bern­hard-Rath, die heute Karla Yaron heißt, ist bei einem Trans­port ihrer Mäd­chen­klasse dabei:
„Bis zur Kris­tall­nacht woll­ten meine Eltern nicht an Aus­wan­de­rung den­ken, weil sie immer gedacht haben, dass sie sich im Aus­land nicht ernäh­ren könn­ten, nicht arbei­ten könn­ten. Dann haben sie doch gese­hen, dass man so schnell aus Deutsch­land raus­ge­hen sollte wie mög­lich. Eines Tages, im Juni 1939, haben wir uns alle am Bahn­hof in Köln getrof­fen. Dort war­tete ein Zug. Die Eltern stan­den am Bahn­steig und ich erin­nere mich, dass wir ihnen gewun­ken haben aus dem Fens­ter. Für mich war es damals ein Aben­teuer. Ein jun­ges Mäd­chen, das von zu Hause weg­ging. Wir wuss­ten, dass wir uns bald wie­der­tref­fen. So haben wir gedacht und so haben wir uns ver­ab­schie­det.“ Dr. Klib­an­sky gelingt es, 130 Schü­le­rin­nen und Schü­ler der Jawne nach Eng­land zu brin­gen und so vor wei­te­rer Ver­fol­gung, Depor­ta­tion und Ermor­dung durch die Nazis zu schüt­zen. Die meis­ten der geret­te­ten Jugend­li­chen sehen aber – wie Karla Yaron – ihre Eltern nicht wie­der.
Auch Erich Klib­an­sky kann sich, seine Ehe­frau sowie die drei Söhne nicht ret­ten. Gemein­sam wer­den sie am 20. Juli 1942 mit Güter­zug von Köln-Deutz mit 1160 ande­ren Män­nern, Frauen und Kin­dern nach Weiß­russ­land depor­tiert und vier Tage spä­ter in der Nähe von Minsk auf einem Wald­ge­lände von einem SS-Kom­mando in eigens dafür vor­be­rei­te­ten Gru­ben erschos­sen.
Ins­ge­samt sind es über 1.100 Köl­ner jüdi­sche Kin­der und Jugend­li­che bis 16 Jah­ren aus Köln, die depor­tiert und ermor­det wer­den.
Am 27. Sep­tem­ber 1944 schlie­ßen kriegs­be­dingt alle Schu­len in Köln. 14 Monate spä­ter, im Novem­ber 1945, ist offi­zi­el­ler Wie­der­be­ginn des Unter­richts, von den rund 279 Leh­rern wer­den 42 Pro­zent als poli­tisch unbe­las­tet ein­ge­stuft.
Im Jahre 1947 beträgt die Anzahl der schul­pflich­ti­gen jüdi­schen Kin­der vier.

Getra­gen wird die Gedenk­stunde von gro­ßen Anzahl Köl­ner Initia­ti­ven, Par­teien und ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen:
AK LSBTI im ver.di Bezirk – Arbeits­ge­mein­schaft Christ­li­cher Kir­chen in Köln – Bünd­nis 90/Die Grü­nen im Köl­ner Rat – Bündnis90/Die Grü­nen Köln – Bun­des­ver­band Infor­ma­tion und Bera­tung für NS-Ver­folgte – CDU-Frak­tion im Rat der Stadt Köln – Cen­trum Schwule Geschichte – DFG/VK Köln – DGB Region Köln-Bonn – Die Linke Köln – Die Linke. Frak­tion im Rat der Stadt Köln – DKP Köln – Evan­ge­li­sche Gemeinde Köln – FDP Kreis­ver­band Köln – Frie­dens­bil­dungs­werk Köln e.V. – Frie­dens­fo­rum Köln – Geschichts­werk­statt Kalk – Jüdi­sche Libe­rale Gemeinde Köln Gescher LaM­asso­ret e.V. – Jugend­club Cou­rage Köln e.V. – Jung­so­zia­lis­ten Köln – Karl Rah­ner Aka­de­mie – Katho­li­ken­aus­schuss – Köl­ner Appell gegen Ras­sis­mus e.V. – Köl­ner Frau­en­ge­schichts­ver­ein
- Köl­ni­sche Gesell­schaft für christ­lich-jüdi­sche Zusam­men­ar­beit – LAG Les­ben in NRW – LSVD, Les­ben- und Schwu­len­ver­band – Melan­chthon-Aka­de­mie – NS-Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum der Stadt Köln – Pax Christi Köln – Rom e.V. – Schwu­les Netz­werk NRW – SPD Frak­tion im Rat der Stadt Köln – SPD Köln – Syn­ago­gen-Gemeinde Köln – ver.di AK Anti­fa­schis­mus-Anti­dis­kri­mi­nie­rung Köln – ver.di Bezirk Köln – Ver­ein EL-DE-Haus e.V. – Ver­ei­ni­gung der Ver­folg­ten des Naziregimes/Bund der Anti­fa­schis­ten Köln – Werk­statt für Orts­ge­schichte Köln-Brück

Und eine halbe Stunde nach der Gedenk­stunde geht es wei­ter. Micro­phone Mafia mit Kutlu Yurts­even, Esther und Joram Beja­rano begeis­tern mit einem voll­stän­di­gen Rap-Kon­zert das Publi­kum. Die goti­schen Fun­da­mente der Anto­ni­ter­kir­che hal­ten es aus.

Text und Fotos: Klaus Stein


Bil­der der Veranstaltung