Hen­ri­ette Reker über­lebt faschis­ti­schen Mordanschlag

Wahlplakat: Henriette Reker.

Köln, 17. Okto­ber 2015. Am Vor­tag des Wahl­sonn­tags in Köln wird Hen­ri­ette Reker, Sozi­al­de­zer­nen­tin, aus­sichts­reichste Kan­di­da­tin für die Ober­bür­ger­meis­ter­wahl, von einem 44jährigen Mann mit einem Bowie-Mes­ser ange­grif­fen. Das geschieht um 9.05 Uhr in unmit­tel­ba­rer Nähe des Wochen­markts im Stadt­teil Brauns­feld an einem Info­stand der CDU. Der Täter ist mit zwei Mes­sern bewaff­net. Zu die­sem Zeit­punkt gibt es nur wenige Besu­cher. Frau Reker plau­dert gerade mit Frau Hoyer von der FDP und ver­teilt Rosen. Der Täter nähert sich ruhig. Zunächst erbit­tet er eine Rose. Dann stößt er Frau Reker unver­mit­telt die 30 Zen­ti­me­ter lange Klinge in den Hals. Er trifft die Luft­röhre. Zeu­gen hören ihn rufen: „Alles läuft falsch hier.“„Ich befreie Euch von sol­chen Leu­ten.“ „Ich habe das für Euch getan.“ (KR 19. Okto­ber 2015)
Der Täter ver­letzt vier wei­tere Per­so­nen mit sei­nem But­ter­fly-Mes­ser. Mar­liese Beth­mann, ört­li­che CDU-Funk­tio­nä­rin, erhält einen Stich in den Bauch, als sie Frau Reker zu Hilfe kom­men will. Sie sagt spä­ter: „Er hat das rich­tig zele­briert und stand da wie ein Gorilla.“ (KR) Gegen­wär­tig wird sie sta­tio­när behan­delt. Pas­cal Sie­mens vom Reker-Wahl­kampf­team erlei­det einen tie­fen Schnitt am rech­ten Unter­arm. Auch er ist noch im Kran­ken­haus. Anette von Wal­dow, FDP, wird an der Seite getrof­fen. Innere Organe sind nicht ver­letzt. Am Sonn­tag kann sie das Kran­ken­haus ver­las­sen. Der FDP-Stadt­rä­tin Katja Hoyer schnei­det der Täter in die Wange.

Schließ­lich kön­nen ein Taxi­fah­rer und ein Poli­zei­be­am­ter, der zufäl­lig auf dem Markt ein­kauft, den Täter fest­hal­ten. Es han­delt sich um Frank Stef­fen, einen ehe­ma­li­gen Akti­vis­ten der FAP, der in den 90er Jah­ren an zahl­rei­chen Nazi­auf­mär­schen, u.a. an Rudolf-Hess-Gedenk­mär­schen in Fulda und Luxem­burg teil­ge­nom­men hat.
Die FAP war bis zu ihrem Ver­bot 1995 eine der gewalt­tä­tigs­ten Neo­nazi-Orga­ni­sa­tio­nen. Die Bon­ner Gruppe wurde von Nor­bert Weid­ner gelei­tet. Das „Anti­fa­schis­ti­sche Info­blatt“ Nr. 101 zitiert ein Posi­ti­ons­pa­pier des BKA von 1997, in dem Weid­ner als V‑Mann des Ver­fas­sungs­schut­zes bezeich­net wird. Das BKA beklagte sich, dass die Koor­di­na­tion der Rudolf-Heß-Akti­ons­wo­chen 1994 in den Hän­den von min­des­tens fünf V‑Leuten des Ver­fas­sungs­schut­zes gele­gen habe. Diese Pra­xis behin­dere die Straf­ver­fol­gungs­maß­nah­men gegen die rechte Szene.
Der NRW-Ver­fas­sungs­schutz ver­fügte zur dama­li­gen Zeit mit dem Köl­ner Johann Hel­fer über eine wei­tere Quelle in der FAP (siehe Lotta #59 vom 17. Okto­ber). Johann Hel­fer ist auf Grund einer Phan­tom­zeich­nung des Anschlags in der Köl­ner Prob­stei­gasse vom Januar 2001 drin­gend ver­däch­tig. Die­ser Anschlag wird dem NSU zugeordnet.

Der Atten­tä­ter Frank Stef­fen ist Maler und Lackie­rer, arbeits­los. Er wohnt seit 7 Jah­ren in Nip­pes, lebt von Hartz IV.
Der Fest­ge­nom­mene bekennt gegen­über den Beam­ten frem­den­feind­li­che Motive. Gleich­wohl wird auf der Pres­se­kon­fe­renz der Poli­zei am Nach­mit­tag des 17. Okto­ber vor­ei­lig berich­tet – und so über­neh­men es auch die Medien -, er habe sich ver­wirrt gezeigt und sei ein Ein­zel­tä­ter. Der Bezug zu faschis­ti­schen Orga­ni­sa­tio­nen spielte zu die­sem Zeit­punkt keine Rolle. Der­ar­tige Erkennt­nisse wer­den erst durch Antifa-Ver­öf­fent­li­chun­gen bekannt. Der WDR teilt am Abend des 18. Okto­ber mit, dass Stef­fen vor der Mes­ser­at­ta­cke auf OB-Kan­di­da­tin Hen­ri­ette Reker Fest­plat­ten und wei­tere Unter­la­gen in sei­ner Woh­nung ver­nich­tet habe.

Am Mon­tag, den 19. Okto­ber, wird in Karls­ruhe Peter Frank in das Amt des Gene­ral­bun­des­an­walts ein­ge­führt. Er zieht sogleich das Ver­fah­ren gegen Frank Stef­fen an sich. Aus­schlag­ge­bend dafür sei sein mut­maß­li­ches Motiv. Der Täter habe sich bewusst dage­gen wen­den wol­len, dass Flücht­linge nach Deutsch­land kom­men. Er wolle die Will­kom­mens­kul­tur zer­stö­ren. Die Köl­ner Sozi­al­de­zer­nen­tin Hen­ri­ette Reker habe sich im Wahl­kampf für diese Will­kom­mens­kul­tur ein­ge­setzt. Die Ver­bin­dun­gen zur rech­ten Szene seien mög­li­cher­weise staats­schutz­re­le­vant.
Jus­tiz­mi­nis­ter Heiko Maas (SPD) bezieht sich in sei­ner Rede aus Anlasss der Amts­ein­füh­rung von Peter Frank auf die „Irri­ta­tio­nen über die Rolle der Staats­an­walt­schaf­ten im Gefüge unse­rer Jus­tiz“, die es einige Wochen zuvor gege­ben habe. Er erin­nert damit an die not­wen­dig gewor­dene Ent­las­sung von Harald Range. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt habe 2001 aus­drück­lich fest­ge­stellt, dass die Staats­an­walt­schaft trotz ihrer Ein­glie­de­rung in die Jus­tiz zur Exe­ku­tive gehöre. Der Jus­tiz­mi­nis­ter sieht sich zudem ver­an­lasst, den Ver­fas­sungs­recht­ler Chris­toph Möl­lers zu zitie­ren: „Im demo­kra­ti­schen Rechts­staat kann jede der drei Gewal­ten die Frei­heit bedrohen.“

Hen­ri­ette Reker konnte wenige Minu­ten nach dem Mord­an­schlag in die Uni­kli­nik gebracht und sogleich ope­riert wer­den. Sie schwebt nicht mehr in Lebens­ge­fahr. Am ver­gan­ge­nen Sonn­tag wurde sie erwar­tungs­ge­mäß zur Ober­bür­ger­meis­te­rin von Köln gewählt. Am kom­men­den Sonn­tag wer­den die Köl­ne­rin­nen und Köl­ner zu Zehn­tau­sen­den gegen die Nazi­hoo­li­gans von Hogesa, gegen ras­sis­ti­sche Hetze und rech­ten Ter­ror auf die Straße gehen.

Klaus Stein
Foto: Klaus Mül­ler
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– Zei­tung der DKP

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