Streik im Sozial- und Erziehungsdienst

Streikende in Berlin mit Transparent: »Soziale Berufe aufWERTen«.

Auf­wer­tung der
sozia­len Berufe

Die Haupt­for­de­rung war die Auf­wer­tung der sozia­len Berufe – dem­ge­mäß eine Tarif­stei­ge­rung von 10 %.

Wochen­lange Streiks vor allem der Erzie­he­rin­nen, anfangs von einer durch­weg posi­ti­ven Presse und Eltern­kom­men­ta­ren beglei­tet.  Am 14. Juni ruft der DGB zu 4 zen­tra­len Kund­ge­bun­gen auf. 26.000 Men­schen neh­men teil, in Köln als der größ­ten Kund­ge­bung ca. 15.000. In der zwei­ten Streik­wo­che sind die Medi­en­kom­men­tare nicht mehr ganz so posi­tiv, in der drit­ten wer­den mehr Inter­views von generv­ten Eltern gezeigt und in der vier­ten Woche kam mehr­heit­lich die For­de­rung  der Medien nach Been­di­gung des Streiks.

Die bei­den Gewerk­schaf­ten verdi und GEW und der DBB (Deut­scher Beam­ten­bund) stimm­ten einer Schlich­tung zu. Der Schlich­ter­spruch ist, gelinde gesagt, eine Kata­stro­phe. Auf 6 Sei­ten wer­den die 12 Ent­gelt­struk­tu­ren mit jeweils 6 Ent­gelt­grup­pen ein­zeln auf­ge­führt, so dass die Angabe einer durch­schnitt­li­chen Tarif­er­hö­hung nicht mög­lich ist. Jetzt wer­den Zah­len von 2 bis 4,5 % Gehalts­er­hö­hun­gen genannt.

Nach 5‑jähriger Aus­bil­dung, selbst finan­ziert wie ein Hoch­schul­stu­dium, erhält eine Erzie­he­rin als Ein­stiegs­ge­halt € 2.366,– brutto. Nach Schlich­ter­plan bekäme sie eine 2,36 %ige Erhö­hung, das würde ein Mehr von € 56,– brutto aus­ma­chen. Das ist viel­leicht gerade ein­mal so viel wie nor­male Tarif­er­hö­hun­gen in ande­ren Bran­chen. Aber in der Stufe 2 der Ein­stiegs­ge­häl­ter würde die Erhö­hung z.B. nur 1,3 % = € 34,– brutto betra­gen. Ledig­lich für Lei­te­rin­nen und ihre Stell­ver­tre­tun­gen sowohl im Kita-Bereich als auch bei der Behin­der­ten­hilfe wur­den höhe­re­Ta­rif­auf­bes­se­run­gen vorgesehen. 

Bei die­sem Streik ging und geht es aber nicht um eine nor­male Tarif­er­hö­hungs­runde, son­dern um die Auf­wer­tung eines für die Volks­wirt­schaft und die Gesell­schaft sehr wich­ti­gen Berufszweiges. 

Zu beach­ten ist wei­ter­hin, dass in die­sem Bereich auf Grund des KiBiz (Kin­der­bil­dungs­ge­setz v. 2008) sehr viel mit ein­jäh­ri­gen Zeit­ver­trä­gen gear­bei­tet wird. Dabei rich­tet sich sowohl das Gehalt als auch die Anzahl des Per­so­nals danach, wie viele Kin­der im Jahr in die­sem Kin­der­gar­ten ange­mel­det und betreut wer­den. Das kann von Jahr zu Jahr schwan­ken, des­halb die jähr­li­chen Zeit­ver­träge, die natür­lich einen Unsi­cher­heits­fak­tor mit sich brin­gen.
 
Am 24. Juni beschloss die bun­des­weite verdi-Streik­de­le­gier­ten­kon­fe­renz
- das waren rund 300 Ver­tre­ter aus den Streik­be­trie­ben – über das Schlich­tungs­er­geb­nis eine Mit­glie­der­be­fra­gung durch­zu­füh­ren, da sie der Auf­fas­sung war, dass die Emp­feh­lung völ­lig unzu­rei­chend sei. Vor allem auch die emp­foh­lene Lauf­zeit sei nicht akzeptabel:

 Min­dest­lauf­zeit bis 30.06.2020!

Am letz­ten Sams­tag wurde das Ergeb­nis der Befra­gung bekannt gege­ben: Fast 70 % haben sich bei verdi und der GEW dage­gen aus­ge­spro­chen, beim Beam­ten­bund 60 %.

Am Anfang der Woche ent­schied die Streik­de­le­gier­ten­kon­fe­renz dar­über, ob die Schlich­tung für geschei­tert erklart wer­den soll, danach die Große Tarif­kom­mis­sion. Beide haben das so ent­schie­den. Das macht den Weg frei für neue Streiks. Aller­dings wer­den wahr­schein­lich vor Been­di­gung der gro­ßen Ferien – das ist in Bay­ern und Baden-Würt­tem­berg erst Mitte Sep­tem­ber – keine flä­chen­de­cken­den Streiks geplant. Bsir­ske sprach von unkon­ven­tio­nel­len Mit­teln, die erst ein­mal zum Ein­satz kämen. Die kom­mu­na­len Arbeit­ge­ber­ver­bände mei­nen, Streiks seien voll­kom­men sinn­los, da nicht mehr drin sei.

Zu fra­gen ist, warum für die Men­schen, denen die Gesell­schaft ihr höchs­tes Gut  – näm­lich ihre Kin­der und Jugend­li­chen – zur Erzie­hung und För­de­rung anver­traut, kein Geld für eine ordent­li­chen Bezah­lung da ist, aber für Kriegs­ein­sätze und Rüs­tungs­gü­ter wie auch zur Ban­ken­ret­tung Mil­li­ar­den locker gemacht werden.

 Am Don­ners­tag, den13.08. sind  die Ver­hand­lun­gen zwi­schen verdi/GEW/DBB einer­seits und den Kom­mu­na­len Arbeit­ge­ber­ver­bän­den wie­der auf­ge­nom­men worden.(Das Erge­nis wird erst nach Ver­öf­fen­li­chung die­ses Arti­kels bekannt werden.)

Zwei Stim­men von Dele­gier­ten der Streik­de­le­gier­ten­kon­fe­renz: „Nie­mand ist heiß dar­auf zu strei­ken, aber die Schlich­tung ist unbe­frie­di­gend“. Und „Es herrscht große Ent­täu­schung in den Betrie­ben. Es gibt Ärger und Wut und tota­les Unver­ständ­nis, wie man nach so einem Arbeits­kampf mit so einem Ergeb­nis aus der Schlich­tung gehen kann“.

Und noch ein paar inter­es­sante Pres­se­stim­men: Ber­li­ner Zei­tung:
„Der Schlich­ter­spruch war ein unan­ge­mes­se­ner Ver­such, die Erzie­he­rin­nen still zu stel­len und die Kas­sen der Kom­mu­nen zu scho­nen. Für das Gros der Kita-Beschäf­tig­ten hätte der Kom­pro­miss­vor­schlag etwa 30,– € brutto mehr bedeu­tet. Hof­fent­lich war die geschei­terte Schlich­tung eine lehr­rei­che Lek­tion für die Arbeitgeberseite.“

Die Stutt­gar­ter Zei­tung: „Es ist schon viele Jahre her, dass sich eine Gewerk­schafts­füh­rung in der Ein­schät­zung ihrer Mit­glie­der der­art ver­kal­ku­liert hat. Die Große Tarif­kom­mis­sion hatte dem Schlich­ter­spruch zugestmmt, aber die Streik­de­le­gier­ten­ver­samm­lung hat ihn abge­lehnt. Es ist ein Rich­tungs­streit ent­brannt, wie er schon lange nicht mehr öffent­lich gewor­den ist. Hard­li­ner haben Ober­was­ser bekom­men. Dass die GEW noch Kamp­fes­lust zeigt, kann zwar nicht über­ra­schen. Dass aber auch der Beam­ten­bund eine über 60 pro­zen­tige Ableh­nung des Schlich­ter­spruchs ver­mel­det, dürfte Fra­gen aufwerfen.“

Und die taz:“verdi befin­det sich in einer veri­ta­blen Krise. Das Füh­rungs­per­so­nal um den Dau­er­vor­sit­zen­den Frank Bsir­ske, der seit Grün­dung von verdi 2001 an der Spitze steht und seine bei­den Stellvertreter/innen.….. wirkt kon­zep­ti­ons­los und aus­ge­laugt. Doch hoff­nungs­volle Nach­wuchs­kräfte sind nicht in Sicht. Dabei wäre es höchste Zeit für einen Neu­an­fang. Dafür spricht die dra­ma­tisch schlechte Figur, die die verdi-Spitze zuletzt in gleich zwei zen­tra­len Arbeits­kämp­fen abge­ge­ben hat, im Sozial- und Erzie­hungs­dienst und bei der Post. In bei­den Fäl­len hat die Füh­rung ihre Mit­glie­der in den unbe­fris­te­ten Streik geführt – und ist dann jeweils zum völ­li­gen Unver­ständ­nis ihrer kämp­fe­ri­sche­ren Basis vor den Arbeit­ge­bern ein­ge­knickt.
Hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand heißt es, die Streik­kos­ten seien dem Vor­stand zu teuer gewor­den. Auf fast 100 Mil­lio­nen wer­den sie geschätzt.…“

Aller­dings muß „kon­zep­ti­ons­los“ und „aus­ge­laugt“ ganz sicher wider­spro­chen wer­den, verdi befin­det sich gerade der­zeit mit „Per­spek­tive 2015„ und „Bau­stelle Zukunft“ in einem gro­ßen Umbruch. Und die Beliebt­heit von Frank Bsir­ske wird sich Mitte Sep­tem­ber auf dem verdi-Kon­gress in Leip­zig bei sei­ner Wie­der­wahl erweisen. 

Eli­sa­beth Korn