Demons­tra­tion am 9. Mai 2015 in Köln

Rede von Peter Tri­no­gga, Spre­cher der VVN-Köln, die er auf der Auf­takt­kund­ge­bung am 9. Mai gehal­ten hat.
Wir doku­men­tie­ren:

Jugendliche mit Fahnen und Transparent: »1945-2015 Krieg dem Krieg«.

»Tag der
Befrei­ung«

Liebe Anti­fa­schis­tin­nen und Anti­fa­schis­ten, liebe Freunde,

herz­lich will­kom­men bei un­se­rer De­mons­tra­ti­on ge­gen Fa­schis­mus und Krieg an­läss­lich des 70. Jah­res­ta­ges der Be­frei­ung, den wir ges­tern be­gin­gen und den die An­ti­fa­schis­tin­nen und An­ti­fa­schis­ten in Russ­land und den Nach­fol­ge­staa­ten der So­wjet­uni­on so­wie die Ve­te­ra­nin­nen und Ve­te­ra­nen der Ro­ten Ar­mee, von de­nen ei­ni­ge auch hier in Köln le­ben, heu­te be­ge­hen, feiern.

»Tag der Befrei­ung« – das hört sich gut an. Aber wer wurde befreit und vor allem: wer fühlte sich vor sieb­zig Jah­ren befreit? Natür­lich die Häft­linge in den faschis­ti­schen Lagern, den Tötungs­fa­bri­ken, den Zucht­häu­sern, im Klin­gel­pütz, in Sieg­burg. Ebenso natür­lich die Zwangs­ar­bei­te­rin­nen und Zwangs­ar­bei­ter aus vie­len Län­dern Euro­pas, die Ille­ga­len (von denen es im zer­stör­ten Köln viele gab), die weni­gen Jüdin­nen und Juden, die dem ras­sis­ti­schen Mord­wahn ent­ge­hen konn­ten, die Wider­stands­kämp­fe­rin­nen und Wider­stands­kämp­fer. Für all diese Men­schen war es die erste Gele­gen­heit, wie­der frei atmen zu können.

Für die meis­ten Deut­schen aber war die Befrei­ung durch die alli­ier­ten Trup­pen zuerst höchs­tens eine Befrei­ung vom Krieg, von den Tagen und Näch­ten in den Luft­schutz­bun­kern. Ihre Befreier kamen von außen, waren die­je­ni­gen, die ihnen jah­re­lang als Tod­feinde dar­ge­stellt wur­den und die sie mit Sicher­heit auch in vie­len Fäl­len als Feinde ansa­hen. Die Deut­schen hat­ten trotz aller Anstren­gun­gen von Anti­fa­schis­tin­nen und Anti­fa­schis­ten, sich nicht selbst befreit – und das sollte Fol­gen haben:

Jahr­zehn­te­lang war der 8. Mai in der Bun­des­re­pu­blik wahl­weise der »Tag der Kapi­tu­la­tion«, der »Tag des Kriegs­en­des« oder, in den aller­meis­ten Fäl­len, ein Tag wie jeder andere. Es sollte 40 Jahre dau­ern, bis der dama­lige Bun­des­prä­si­dent Weiz­sä­cker in sei­ner berühm­ten Rede am 8. Mai 1985 auch offi­zi­ell vom »Tag der Befrei­ung« sprach. Die­ser Kurs­wech­sel, der vie­len Ewig­gest­ri­gen in Weiz­sä­ckers Par­tei, der CDU, gar nicht schmeckte, fiel aber nicht vom Him­mel son­dern war das Ergeb­nis jah­re­lan­ger Bemü­hun­gen und Aktio­nen von Lin­ken, Gewerkschafter(inne)n und Antifaschist(inn)en.

Heute fühle ich mich fast wie­der 30 Jahre zurück­ver­setzt: In den Medien (und nicht nur dort) ist in ers­ter Linie vom Ende des Krie­ges die Rede, wird zual­ler­erst der »eige­nen«, deut­schen Opfer gedacht, ist vom Grauen des Bom­ben­krie­ges die Rede, den Trau­ma­ti­sie­run­gen, die die dama­li­gen Kin­der und Jugend­li­chen davon­ge­tra­gen haben. Im Köl­ner Stadt-Anzei­ger vom ver­gan­ge­nen Mitt­woch gab es einen ganz­sei­ti­gen, über­aus ent­schul­di­gen­den, ja gera­dezu wohl­wol­len­den Bei­trag über die Kosa­ken, die auf Seite der Nazi­in­va­so­ren gegen ihre rus­si­schen Schwes­tern und Brü­der gekämpft hat­ten, Kol­la­bo­ra­teure waren, Hel­fer der Mör­der! In unse­ren Mas­sen­me­dien ist das Bewusst­sein der Befrei­ung vom Faschis­mus jeden­falls seit gerau­mer Zeit wie­der ver­lo­ren gegan­gen und ersetzt wor­den durch ein her­bei­phan­ta­sier­tes natio­na­les Kollektiv.

Die Hoff­nun­gen vie­ler Anti­fa­schis­tin­nen und Anti­fa­schis­ten spie­geln sich nir­gends so gut wie­der, wie im Schwur von Buchen­wald, dem Ver­mächt­nis der Über­le­ben­den, der sich selbst befreit haben­den Häft­linge des Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers unmit­tel­bar vor den Toren Wei­mars: »Wir stel­len den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schul­dige vor den Rich­tern der Völ­ker steht. Die Ver­nich­tung des Nazis­mus mit sei­nen Wur­zeln ist unsere Losung. Der Auf­bau einer neuen Welt des Frie­dens und der Frei­heit ist unser Ziel. Das sind wir unse­ren gemor­de­ten Kame­ra­den und ihren Ange­hö­ri­gen schul­dig«. Was wurde aus der »Ver­nich­tung des Nazis­mus mit sei­nen Wur­zeln«, dem »Auf­bau einer neuen Welt des Frie­dens und der Frei­heit«. Wie stand und steht es um »Nie wie­der Faschis­mus, nie wie­der Krieg!«? Wie und wohin hat sich die Bun­des­re­pu­blik in den ver­gan­ge­nen 70 Jah­ren entwickelt?

Nach ers­ten Erfol­gen unmit­tel­bar nach der Befrei­ung, als selbst Alfred Krupp und Fried­rich Flick, die am Mas­sen­mord blen­dend ver­dient hat­ten, auf einer Ankla­ge­bank und kurz­zei­tig in Haft lan­de­ten und in Hes­sen die große Mehr­heit der Men­schen für eine Sozia­li­sie­rung der Schwer­indus­trie stimmte, begann mit dem Kal­ten Krieg der gesell­schaft­li­che Weg zurück: Nazis und Kriegs­ver­bre­cher wur­den begna­digt, reha­bi­li­tiert und kamen wie­der in Amt und Wür­den (der Kom­men­ta­tor der anti­se­mi­ti­schen »Nürn­ber­ger Gesetze«, einer der juris­ti­schen Vor­be­rei­ter des Holo­caust, Dr. Hans Globke wurde ab 1953 ganze 10 Jahre lang Chef des Bun­des­kanz­ler­am­tes). Wider­stands­kämp­fer und Wider­stands­kämp­fe­rin­nen, die Kom­mu­nis­ten waren, erhiel­ten ab 1951 Berufs­ver­bot im öffent­li­chen Dienst, ihre Par­tei wurde 1956 ver­bo­ten und viele wan­der­ten (wie­der) in die Gefäng­nisse – ver­ur­teilt häu­fig von Rich­tern, die bereits zwi­schen 1933 und 45 poli­ti­sche Geg­ner ver­ur­teilt und in den Tod geschickt hat­ten. Die Nazi­bü­ro­kra­ten, ‑juris­ten, ‑mili­tärs und ‑geheim­dienst­leute, die Schreib­tisch- und ande­ren Täter wur­den eben drin­gend gebraucht um den neuen Staat auf­zu­bauen. Und anders als sein öst­li­cher Kon­kur­rent und Nach­bar hatte die »Bon­ner Repu­blik« nicht ein­mal den Anspruch, ein anti­fa­schis­ti­scher Staat zu sein. Anti­fa­schis­mus galt als kom­mu­nis­ti­sches Schlag­wort, gegen die VVN wurde ein Ver­bots­ver­fah­ren eröff­net (da nach­ge­wie­sen wer­den konnte, dass der vor­sit­zende Rich­ter auch ein alter Nazi war, ver­lief die­ser Pro­zess aller­dings recht schnell im Sande). Vom Groß­ka­pi­tal, der Schwer­indus­trie und den Ban­ken, die die Nazis finan­ziert hat­ten und an Krieg und Zwangs­ar­beit Mil­li­ar­den ver­dient hat­ten, will ich gar nicht reden – sie wur­den stär­ker und rei­cher denn je.

Einen Ein­schnitt gab es Ende der sech­zi­ger Jahre im Zuge der 68er Bewe­gung. Nach lan­ger Zeit und mit vie­len Wider­sprü­chen, wie­der ein­mal gab es Berufs­ver­bote für Linke und der NPD fehl­ten nur wenige Stim­men, um in den Bun­des­tag ein­zu­zie­hen, sah es so aus, als wehte ein anti­fa­schis­ti­scher Wind. Aber das war nur von kur­zer Dauer: Nach der Anglie­de­rung der DDR an die Bun­des­re­pu­blik durfte man wie­der stolz dar­auf sein, Deut­scher zu sein. Es dau­erte nicht lange und es brann­ten Flücht­lings­heime, das Grund­recht auf Asyl, das auf­grund der Erfah­run­gen des Exils wäh­rend des Faschis­mus ins Grund­ge­setz auf­ge­nom­men wor­den war, wurde geschleift, Deutsch­land führte wie­der ein­mal Krieg in und gegen Jugo­sla­wien und Rechts­ter­ro­ris­ten und Geheim­dienste wirk­ten so eng zusam­men, das nicht mehr fest­stell­bar ist, wer da wer war – kurz gesagt: die braune Scheiße kam wie­der nach oben – und da schwimmt sie immer noch!

Aber natür­lich gab es für Anti­fa­schis­tin­nen und Anti­fa­schis­ten, für Frie­dens­be­wegte und für Linke auch Erfolge: in den fünf­zi­ger Jah­ren wurde die Bewaff­nung der Bun­des­wehr mit Atom­waf­fen, die das Ziel der Regie­rung Ade­nauer war, ver­hin­dert. Am Irak­krieg nahm die Bun­des­wehr nicht aktiv teil und der von den USA und ihren engs­ten euro­päi­schen Ver­bün­de­ten ange­strebte Krieg gegen Syrien fand nicht statt. Wir brau­chen also nicht mut­los zu sein, uns klei­ner zu machen, als wir sind und wir haben im Kampf gegen Rechts, gegen Mili­ta­ris­mus und Krieg viele Auf­ga­ben. Lasst uns begin­nen, sie gemein­sam zu lösen, um den Schwur von Buchen­wald, das anti­fa­schis­ti­sche Ver­mächt­nis end­lich ein­zu­lö­sen. Das sind wir nicht nur den Ver­folg­ten und Kämp­fern gegen den Faschis­mus schul­dig, son­dern auch und vor allem den­je­ni­gen, die unter Ras­sis­mus, rech­tem Ter­ror, deut­schen Waf­fen und Krieg leiden.

Foto: Klaus Stein