Ein ers­tes Urteil gegen Gen­ker Fordwerker

Ver­war­nung mit Strafvorbehalt

Fordwerker aus Genk, Polizei aus Köln. Amts­ge­richt Köln, 5. No­vem­ber 2014, zwei­ter Tag der Ver­hand­lung. An­ge­klagt ist Ga­by Cole­bun­ders aus Genk, vor­mals Ar­bei­ter im dor­ti­gen Ford­werk. Am 7. No­vem­ber soll er Rä­dels­füh­rer von et­wa 200 De­mons­tran­ten ge­we­sen sein, de­ren An­lie­gen es war, in Köln den Eu­ro­päi­schen Be­triebs­rat zu spre­chen, aber auch Ste­phen Odell, den Ford-Chef von Eu­ro­pa. Odell hat­te 14 Ta­ge vor­her die Schlie­ßung der Ford­wer­ke in Genk/Bel­gi­en an­ge­kün­digt. Aber für die De­le­ga­ti­on war we­der der Eu­ro­päi­sche Be­triebs­rat zu spre­chen noch der Ford-Chef. Statt­des­sen gab es ei­nen Po­li­zei­ein­satz, 22 Er­mitt­lungs­ver­fah­ren und 13 Straf­be­feh­le. Und nicht zu ver­ges­sen: am En­de die Ent­las­sung von 10 000 Be­schäf­tig­ten in Genk, ei­ner Stadt mit 65 000 Einwohnern.

Aber vor Gericht recht­fer­ti­gen muss sich Gaby Cole­bund­ers, Mit­glied der christ­li­chen Gewerk­schaft ACV und der PVDA, unse­rer Bru­der­par­tei in Bel­gien. Ihm wer­den Land­frie­dens­bruch, Haus­frie­dens­bruch, Sach­be­schä­di­gung, Wider­stand gegen Voll­stre­ckungs­be­amte, Bei­hilfe zur Nöti­gung sowie Ver­stoß gegen das Ver­samm­lungs­ge­setz zur Last gelegt. Auf den Wider­spruch gegen den Straf­be­fehl folgte die Klage.

Zwei Jahre nach dem Ereig­nis kommt es zur Ver­hand­lung. Am 20. Okto­ber konnte nur ein ein­zi­ger Zeuge befragt wer­den, sie­ben hat­ten sich ent­schul­di­gen las­sen. Heute sind sie voll­zäh­lig. Poli­zei­be­amte, Mit­ar­bei­ter von Werk­schutz, Werks­feu­er­wehr und zwei Mana­ger kom­men zu Wort. Trotz reich­li­cher Wider­sprü­che und Abwei­chun­gen wird der Her­gang der Pro­test­ak­tio­nen sowie der Reak­tion von Poli­zei und Geschäfts­lei­tung anschaulich.

Fordwerker und Polizei.Werk­schutz­mann E. hatte an die­sem Tag Dienst am Tor 3. Er schil­dert, wie die Busse mit den Gewerk­schaf­tern nach­ein­an­der ein­tra­fen. Die bel­gi­schen Rich­tungs­ge­werk­schaf­ten sind an den Far­ben der Müt­zen, Schals und Ano­raks zu unter­schei­den. Zuerst lang­ten die Roten an, die Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen der sozia­lis­ti­schen Gewerk­schaft ABVV. Ihnen wurde noch gestat­tet, durchs Tor zu gehen, um die Toi­let­ten zu benut­zen. Es folg­ten die Blauen von der libe­ra­len Gewerk­schaft ACLVB. Erst nach der Ankunft der Grü­nen von der Christ­li­chen Gewerk­schaft ACV habe es Ran­ge­leien am Tor gegeben.

Über diese Ran­ge­leien wer­den ganz unter­schied­li­che Anga­ben gemacht. Die Staats­an­wäl­tin spricht von 20 Kol­le­gen, die sich auf das Tor gewor­fen hät­ten. Herr L., Mit­glied der Geschäfts­füh­rung, ver­hed­dert sich, als deut­lich wird, dass das Tor nur nach außen, nicht nach innen auf­geht. Und schließ­lich wird klar, dass es offen stand und der Werk­schutz gehin­dert wor­den ist, es zu schlie­ßen, so dass in der Folge etwa 30 der Gen­ker Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen auf das Gelände gelan­gen konn­ten. Dies erschien bedrohlich.

So kam Kol­lege E. vom Werk­schutz unver­züg­lich sei­ner Auf­gabe nach, die Vor­stands­räume zu eva­ku­ie­ren. Er hatte etwa 25 Per­so­nen durch Not­aus­gänge in sichere Räume zu führen.

Der­weil konn­ten sich die bel­gi­schen Ford­wer­ker Zugang in die Vor­stands­etage des Ver­wal­tungs­ge­bäu­des verschaffen.

Werk­schutz­mann B. schil­dert die Situa­tion im Ver­wal­tungs­ge­bäude. Er habe nicht beob­ach­ten kön­nen, durch wel­che Ein­wir­kun­gen die Glas­tür zer­sprun­gen sei. Er hält es für mög­lich, dass sie dem Druck der Menge habe nach­ge­ben müssen.

Herr L. hatte unter­des­sen durch einen beson­de­ren Not­ruf die Poli­zei alar­miert. Sie stand nun 400fach bereit. Zivil­kräfte dar­un­ter. Die Gen­ker wur­den von den Beam­ten all­mäh­lich aus dem Gebäude hin­aus­ge­lei­tet. Vor dem Gebäude tra­fen sie auf den Köl­ner BR-Vor­sit­zen­den. Er hielt eine Anspra­che und ver­si­cherte ihnen seine Solidarität.

Schließ­lich hielt die Poli­zei die bel­gi­schen Kol­le­gen in einem Kes­sel fest. Ein­zeln wur­den sie zur Fest­stel­lung der Per­so­na­lien da her­aus­ge­führt und in die Busse gelei­tet. Poli­zei­es­korte bis zur Grenze.

Polizei und Fordwerker, dahinter Werktor.Zwei Zivil­be­amte sagen aus. Ihre Beob­ach­tun­gen vari­ie­ren auf­fäl­lig. Der erste glaubt sehr genau zu wis­sen, wer die Glas­scheibe zer­stört hat, selbst­ver­ständ­lich Gaby Cole­bund­ers, das habe der Beklagte sogar, auf seine ver­letzte Hand deu­tend, zugegeben.

In wel­cher Spra­che? Ver­ste­hen sie Flä­misch? Nein? Aber ihr Kollege?

Der wie­derum kann sich gar nicht an das angeb­li­che Geständ­nis erinnern.

Dann ist die Ver­mum­mung Thema. Zwei andere Zeu­gen behaup­ten steif und fest, Sturm­hau­ben gese­hen zu haben. Andere spre­chen von her­un­ter­ge­zo­ge­nen Schirm­müt­zen, von Schals, die den unte­ren Teil des Gesichts bede­cken. Es wird erör­tert, ob diese Schals nicht als Atem­schutz gegen den zeit­weise dich­ten Rauch von Böl­lern und bren­nen­den Rei­fen nütz­lich waren. Schließ­lich inter­es­siert den Rich­ter, mit wel­chen Metho­den die Beschul­dig­ten (es ste­hen wei­tere Ver­fah­ren an) iden­ti­fi­ziert wor­den seien. Dazu befragt er eine Poli­zei­be­am­tin, die mit der Aus­wer­tung des Bild­ma­te­ri­als befasst war. Mit merk­li­chem Berufs­stolz erläu­tert sie am Lap­top des Rich­ters die Ergeb­nisse ihrer Arbeit. Die Zeu­gin hat TV-Sen­dun­gen, ins­be­son­dere sol­che aus Bel­gien, aus­ge­wer­tet sowie zahl­rei­che Fotos aus dem Inter­net. Cole­bund­ers sei an einem nach hin­ten gebun­de­nen Schal kennt­lich gewesen.

Der Ver­hand­lungs­be­ginn sollte an die­sem Tag um 11.30 Uhr sein. Es sind aber fast 50 Zuschauer, etwa die Hälfte davon Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen aus Genk. Sie wer­den vor dem Saal ein zwei­tes Mal nach Metall­ge­gen­stän­den durch­sucht und betas­tet. Viel Zeit nimmt das hand­li­che Gerät in Anspruch, mit dem die Per­so­nal­aus­weise kopiert wer­den. V‑o-r-d-e-r-s-e-i-t‑e. R‑ü-c-k-s-e-i-t‑e. Schließ­lich ist es soweit. Kurz nach 12.00 Uhr belehrt der Rich­ter Rolf Kreb­ber die Zeu­gen. Einen Stö­rer ver­weist er des Saa­les. Dann folgt eine Ein­las­sung des Ver­tei­di­gers Michael Biela-Bätje, mit der die Vor­würfe gegen Cole­bund­ers bestrit­ten werden.

Nach mehr als vier Stun­den hal­ten Staats­an­wäl­tin und Ver­tei­di­ger ihre Plä­doy­ers. Sie stim­men darin über­ein, dass sich weder Bei­hilfe zur Nöti­gung noch Sach­be­schä­di­gung, weder Haus­frie­dens­bruch noch gar Land­frie­dens­bruch nach­wei­sen las­sen. Auch kein Wider­stand gegen Voll­stre­ckungs­be­amte. Aller­dings ver­langt die Staats­an­wäl­tin eine Bestra­fung wegen Ver­sto­ßes gegen das Ver­samm­lungs­ge­setz. Denn Gaby Cole­bund­ers habe sich wider­recht­lich ver­mummt. In die­sem Detail folgt der Rich­ter der Staats­an­wäl­tin. Er ver­warnt Gaby Cole­bund­ers mit »Straf­vor­be­halt«. Knöll­chen auf Bewäh­rung. 600 Euro seien zu zah­len für den Fall, dass er in Deutsch­land inner­halb eines Jah­res straf­fäl­lig werde.

Die Ver­hand­lun­gen gegen wei­tere Gen­ker Ford­wer­ker sind für den nächs­ten Som­mer terminiert.

Text und Fotos: Klaus Stein
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