Köln: 80 000 bei Arsch huh

Große Kund­ge­bung gegen Rechts in Köln

Panorama auf Zuschauer, im Hintergrund der Rhein.

„In den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren hat das Ras­sis­mus­pro­blem nicht an Gewicht ver­lo­ren. Die Nazis zei­gen sich immer wie­der unver­hoh­len – auch in Köln. Ihre popu­lis­ti­sche Aus­gabe in Gestalt von Pro Köln schafft es immer wie­der, Plätze im Stadt­rat zu beset­zen. Wir wis­sen seit eini­gen Mona­ten, dass Neo­na­zis bereit sind, für ihre Ideo­lo­gie zu mor­den. Der 20. Jah­res­tag von ‚Arsch huh’ muss ein Tag des Pro­tes­tes sein. Dis­kri­mi­nie­rung, Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen, Ras­sis­mus, Aus­gren­zung und Aus­beu­tung sind nicht hinzunehmen…“

Das erklärt die Jour­na­lis­tin Sonia Mikich im Namen der Künst­ler, die am ver­gan­ge­nen Frei­tag, den 9. Novem­ber, diese Ver­an­stal­tung tra­gen. Motto: „Arsch huh – Zäng ussen­an­der gegen Ras­sis­mus und Neo­na­zis­mus“. Ein­tritt frei. Die Deut­zer Werft ist über­voll. Alle wol­len BAP, Bläck Fööss, Klaus, den Gei­ger, Köbes Unter­ground, die Höh­ner, Nick Niki­ta­kis, Zelt­in­ger, 150 Mit­glie­der von Spiel­manns­zü­gen sowie Caro­lin Kebe­kus, Mariele Mil­lo­witsch und andere hören. Den Ober­bür­ger­meis­ter Rot­ers neh­men sie hin.

Das titel­ge­bende Lied beginnt:

„Do mähst et Fröh­stöcks­fern­se­hen ahn un – selvs­ver­ständ­lich wie die Wet­ter­kaat – kütt unger ‚fer­ner lie­fen’, wo ’se wie­vill Asy­lante platt­je­maat. Na klar, dä Mob hätt wid­der ran­da­liert, dä Bür­ger applau­diert: ‚Die Kanake sinn ald umquar­tiert, die Naach hätt sich rentiert.’“

Und endet: „Dä Schoß ess frucht­bar noch, uss dämm die Nazi­brut russ­kroch. Jetz jillt et: Arsch huh, Zäng ussen­an­der! Jetz, nit nähxte Woch!“

[Du machst das Früh­stücks­fern­se­hen an und – selbst­ver­ständ­lich wie die Wet­ter­karte – kommt unter „fer­ner lie­fen“, wo sie wie viele Asy­lan­ten platt gemacht. Na klar, der Mob hat wie­der ran­da­liert, der Bür­ger applau­diert: „Die Kana­ken sind schon umquar­tiert, die Nacht hat sich ren­tiert.“ – Der Schoß ist frucht­bar noch, aus dem die Nazi­brut her­aus­kroch. Jetzt gilt es: Arsch hoch, Zähne aus­ein­an­der! Jetzt, nicht nächste Woche!]

Der Kaba­ret­tist Wil­fried Schmick­ler trägt ein Gedicht vor. Da heißt es: „Wenn die Reichs­ten den Ärms­ten Kre­dite geben, zum Ster­ben zu viel, zu wenig zum Leben, wenn sie dann, kurz bevor diese Ärms­ten ver­re­cken, ganz schnell noch die Pfän­dungs­be­scheide vollstrecken.“

Das ist normal.

„Wenn 7,3 Mio Nied­rig­löh­ner zu einem Stun­den­lohn von unter 7,18 Euro arbei­ten, wenn 7 Mil­lio­nen Men­schen Hartz IV bekom­men, davon 2 Mio Kin­der und Jugend­li­che, wenn es kei­nen Min­dest­lohn gibt, kein halb­wegs bezahl­ba­rer Wohn­raum in den Städ­ten.“ Dann ist auch das nor­mal, sagt er.

Und Rot­ers, der Ober­bür­ger­meis­ter, der so schön gegen soziale Aus­gren­zung redet, hört nicht hin.

Am 20. Sep­tem­ber 2008 konn­ten die Ras­sis­ten von „Pro Köln“ ihren Anti-Islam-Kon­gress nicht durch­füh­ren. Meh­rere 10 000 Men­schen ver­hin­der­ten das. Die Musi­ker von „Arsch huh – Zäng ussen­an­der!“ hal­fen mit einem Konzert.

Am 9. Novem­ber 1992 hat­ten sich erst­ma­lig unter die­sem Motto 100 000 Men­schen auf dem Chlod­wig­platz eingefunden.

Daran soll die Ver­an­stal­tung in Deutz erin­nern. Das scheint ange­sichts der Nazi­morde nötig. Wir haben es auch wie­der mit Hetze gegen Flücht­linge zu tun.

BAP, Bläck Fööss, die Höh­ner, Zelt­in­ger waren 1992 dabei. In der Liste der Red­ner fin­den sich Jür­gen Becker, Klaus Bednarz, Willy Mil­lo­witsch – und Kurt Bach­mann, heißt es. Tat­säch­lich hat der 83jährige Wider­stands­kämp­fer, Über­le­ben­der des KZ Buchen­wald und zeit­wei­lige (1969−1973) DKP-Vor­sit­zende an die­sem Tag gespro­chen, aber nicht auf dem Chlod­wig­platz, son­dern auf dem Offen­bach­platz. Hier endete kurz vor­her die Demons­tra­tion „Grund­rechte ver­tei­di­gen, Flücht­linge schüt­zen, Ras­sis­mus bekämp­fen“. 20 000 Men­schen waren durch Köln gezo­gen. Kurt Bach­mann sagte damals: „1992 ist nicht 1933. Aber es ist auf dem Weg dahin. Heute bren­nen täg­lich Aus­län­der­heime. Junge Neo­fa­schis­ten sind dies­mal die Brand­stif­ter. Was heute auf dem Spiel steht, sind alle Grund­rechte unse­rer Ver­fas­sung, kon­kret das Recht auf poli­ti­sches Asyl. Noch nie tra­ten Neo­na­zis, Skin­heads und ihre Mit­läu­fer so gewalt­tä­tig und orga­ni­siert auf. Offen­sicht­lich besteht die Gefahr, dass eine bun­des­weite Befehls­struk­tur aus bestehen­den neo­fa­schis­ti­schen Orga­ni­sa­tio­nen ent­steht. […] Die Rechts­kon­ser­va­ti­ven in den Regie­rungs­par­teien betrei­ben eine Poli­tik der Aus­höh­lung unan­tast­ba­rer Grund­rechte unse­rer Ver­fas­sung. Dabei wird ein Zusam­men­spiel mit rechts­extre­men Kräf­ten sicht­bar. Die Über­gänge sind flie­ßend […] Eine demo­kra­ti­sche, anti­fa­schis­ti­sche Bewe­gung, die Bün­de­lung all die­ser Kräfte – dies ist das Gebot der Stunde.“

1992 beherrschte das Asyl­recht die öffent­li­che Dis­kus­sion. Allein in dem Jahr gab es 27 Morde an Aus­län­dern und Flücht­lin­gen, ver­bun­den mit einer bei­spiel­lo­sen Hetze. Im August hat­ten in Ros­tock-Lich­ten­ha­gen Hun­derte, vor allem Jugend­li­che, ein Viet­na­me­sen-Wohn­heim in Brand gesetzt. Die Poli­zei behin­derte sie nicht. Das war Teil der Stra­te­gie, den vor­geb­li­chen Volks­zorn als Rücken­wind für die Abschaf­fung des Asyl­rechts zu nut­zen. Es gelang bin­nen Jah­res­frist im Mai 1993.

Nun wurde 20 Jahre spä­ter das legen­däre Kon­zert wie­der­holt. 80 000 Men­schen freu­ten sich, wie­der dabei zu sein.

Da kamen drei Wan­de­rer des Wegs.

Der erste sprach: Ach, ist Hop­pe­ditz schon wach?

Der zweite sprach: „…wirk­lich von Her­zen und ohne jeden Eigen­nutz gegen rechts kämp­fen. Zum Bei­spiel ‚Arsch huh’. Der Ver­such, die Nazis mit der Andro­hung pene­trant köl­scher Musik aus der Stadt zu trei­ben. Das ist rich­tig gut, dass Köln hier Flagge zeigt. Denn rechts­extre­mes Gedan­ken­gut ent­steht ja immer aus über­trie­be­ner Liebe zu dem Ort, an dem man gebo­ren ist. Aus unre­flek­tier­ter, stump­fer Hei­mat­ver­bun­den­heit. Wenn man denkt, die eigene Kul­tur, das eigene Volk und die eigene Lebens­weise sei das Beste auf der Welt und für die Welt. Ein Gedanke, der Köln bekannt­lich kom­plett fremd ist. Und das demons­triert man, indem aus­schließ­lich Köl­ner Bands in Köln vor Köl­nern mit einem Kölsch in der Hand auf kölsch sin­gen, wie schön kölsch-mul­ti­kul­tu­rell et in Kölle is.“ Das war Jür­gen Becker.

Der dritte sprach: Wer ver­legte Sar­ra­zin? Ran­dom House von Ber­tels­mann. Wer orga­ni­siert Arsch huh? Der­selbe Verlag.

Klaus Stein
Pan­orama-Mon­tage: Klaus Müller